Ich nahm wieder die Haltung ein, die man uns zuvor angewiesen hatte.
Wie dumm ich mich fühlte. Wie töricht ich gewesen war!
Ich war an einer Kette. Man hatte mich nicht hierhergebracht – zweifellos unter einigen Mühen und verbunden mit einigen Kosten –, um mir jetzt Gnade zu erweisen.
Wie hatte ich nur so reagieren können? Ich hoffte, dass ich nicht dumm war und dass er mich nicht für dumm halten würde.
Einmal mehr spürte ich, wie sich sein Blick auf mich richtete, und erneut wurde ich dieser ruhigen, abschätzenden Musterung unterzogen, die mich vor einem Moment noch so irritiert hatte.
»Bitte«, flehte ich noch einmal.
Er blickte mich an, als wäre er daran gewöhnt, derartige Begutachtungen durchzuführen, und als würde er sich in Gedanken Notizen machen. Nichtsdestotrotz wollte ich nicht auf diese Weise angesehen werden. Nur ein Tier sollte so gemustert werden. Und ich war ganz bestimmt kein Tier!
Meine Hände glitten von meinen Hüften, um, ganz gleich wie unzureichend, meine Blöße zu bedecken.
»Nein«, sagte er sanft.
Der Tonfall und die Freundlichkeit, die darin mitschwang, ließen darauf schließen, dass er mich trotz meines vorherigen Gefühlsausbruchs nicht für dumm hielt. Und aus irgendeinem Grund war ich froh darüber.
Dann kniete ich mich hin, wie zuvor, während die Tränen über meine Wangen rannen, nackt und seinen abschätzenden Augen ausgesetzt.
So wollte er mich vor sich sehen, und so würde ich vor ihm verharren.
Bei Männern wie ihm, das wurde mir klar, hatte ich keine Wahl in solchen Angelegenheiten.
»Angeblich bist du sehr rege«, sagte er. »Stimmt das?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete ich, ohne die Frage wirklich zu verstehen. Oder vielleicht war es eher so, dass ein bestimmter Teil von mir diese Frage nur allzu gut verstand.
Würde er mich jetzt für dumm halten? Ich hoffte nicht, denn ich hielt mich nicht für dumm.
Er fuhr mit der Begutachtung meines Körpers fort.
Aus irgendeinem Grund wollte ich verzweifelt, unbedingt, dass er zufrieden, wirklich zufrieden mit dem war, was er sah.
War ich rege? Was sollte das bedeuten?
Woher sollte ich wissen, ob ich rege war oder nicht?
Hätte er mich jetzt berührt, ich schätze, ich hätte vor Hilflosigkeit laut aufgeschrien.
Wenn ich rege war, dann wusste ich nicht, warum! Es war nicht mein Fehler! Ich konnte nichts dafür!
Damals verstand ich natürlich noch nicht, wie man so etwas beurteilen kann, erst recht nicht bei jemandem wie mir, die ich bis gerade eben untätig und empfindungslos gewirkt haben musste. Oder wie man solche Dinge vermuten, herausfinden, enthüllen oder bestimmen konnte. Wie man sie berücksichtigen, ausbauen, entwickeln und trainieren konnte oder sollte, bis sie, ausgehend von nichts weiter als einer ziellosen Rastlosigkeit zu einem fiebrigen, sanften, unnachgiebigen Wunsch wurden, nur um sich schließlich im Laufe der Zeit zu unerbittlichen, unerklärlichen, verzweifelten und unwiderstehlichen Zwängen zu entwickeln. Zwängen, die alles andere überdeckten und einen überwältigten, über die man keine Kontrolle hatte, in deren Ketten man vollkommen hilflos ist.
Ich kniete da, wie man es mir befohlen hatte, und ich wagte es nicht noch einmal, zu ihm aufzublicken. Ich behielt meinen Kopf unten.
Dann, nach einiger Zeit, hatte er seine Untersuchung, oder war es vielleicht doch eher, wie ich befürchtete, eine Einstufung gewesen, beendet. Zu welchem Schluss er dabei gekommen war, vermochte ich nicht zu beurteilen. Er sagte etwas zu einem der anderen Männer. Ob es dabei um mich ging, ließ sich dabei nicht sagen, allerdings klang ihr Tonfall anerkennend. Beide schienen sie zufrieden. Wie gesagt, ich wusste nicht, ob sie über mich redeten oder nicht, aber ich vermutete, dass es so war.
Wenn ich mich nicht irrte, fanden sie mich also zumindest im Augenblick akzeptabel, und das erfüllte mich mit grenzenloser Erleichterung.
Ich hoffte, dass der Mann vor mir nicht glaubte, dass ich dumm war, denn ich wollte nicht, dass er das dachte. Wo ich herkam, hatte ich als intelligent gegolten. Ich war eine gute Schülerin gewesen. Allerdings würde das, was ich hier lernen sollte, sofern man überhaupt vorhatte, mich in etwas zu unterweisen, sich vermutlich grundlegend von dem unterscheiden, was man mich bislang gelehrt hatte, darauf ließ der Halsreif um meinen Hals schließen und die Ketten um meine Glieder.
Vor mir hörte ich Stimmen, ebenso wie hinter mir.
»Ihr dürft euren Kopf heben«, sagte der Mann vor mir. Der andere war wieder die Reihe entlang davongegangen.
Ich hob meinen Kopf. Der metallene Reif war mir von hinten um meinen Hals gelegt worden. Natürlich kann man es auch auf andere Weise tun, aber meist, und vor allem bei Wesen wie mir, die noch nicht daran gewöhnt und naiv sind, wird es auf diese Weise getan, vermutlich, damit wir nicht in Panik geraten und zu fliehen versuchen. Manchmal wird einem der Halsreif jedoch auch von vorne angelegt, vor allem bei Personen, die genau erkennen, was vor sich geht, damit sie es auf sich zukommen sehen, intellektuell, emotional und in vollem Ausmaße verstehen, was sie erwartet, bis sie sich schließlich in der starren Umarmung des Halsreifs wiederfinden, sich in nichts mehr von den anderen unterscheiden. Die Erste mag beim Anblick des Halsreifs in ihrer Naivität noch von Angst übermannt werden und zu fliehen versuchen, doch schon die Zweite, obgleich ebenfalls noch voller Grauen wegen seines Anblicks, wird erkennen, dass es kein Entkommen gibt.
Vor und hinter mir hörte ich Stimmen.
Nicht ohne Grund hatte man mir gestattet, den Kopf zu heben.
Hier und da vor mir, und vermutlich auch hinter mir, schlugen die Männer mit ihren Peitschen über die Münder einiger der Gestalten in der Reihe. Der Mann vor mir hatte seine Peitsche am Gürtel befestigt, doch nun löste er dieses wirkungsvolle schlanke Werkzeug unter meinem ungläubigen Blick von seiner Seite. Ich begann zu zittern. »Hab keine Angst«, sagte er beruhigend.
Ich blickte mit beinahe hypnotischer Faszination auf die Peitsche, während er sie ein Stück weit ab- und neu zusammenrollte.
»Es wird nur einen Moment dauern«, erklärte er. »Hab keine Angst.«
Dann war die Peitsche plötzlich nur noch ein paar Inch von meinen Lippen entfernt. Ich blickte zu ihm auf.
»Es war dumm von mir, um Gnade zu bitten«, flüsterte ich. »Es tut mir leid.«
»Du wirst lernen zu betteln, auf vernünftigere und mitleiderregendere Weise«, sagte er. »Es wird noch wichtig für dich sein, richtig zu flehen. Damit meine ich nicht nur, dass man dir beibringen wird, auf ansprechende Weise zu bitten, auf deinen Knien und dergleichen. Ich meine, dass du dich immer wieder in einer Situation wiederfinden wirst, in der nur die Aufrichtigkeit und die Qualität deines Bettelns dich davor bewahren kann, deine Nase, deine Ohren oder dein Leben zu verlieren.«
»Ich möchte nicht, dass du denkst, ich wäre dumm«, sagte ich.
Er blickte auf mich hinab, doch ich konnte seinen Gesichtsausdruck nicht deuten.
»Ich bin nicht dumm«, sagte ich.
»Das werden wir sehen«, meinte er.
Ich hörte Worte und sah, wie die Peitsche über die Lippen des Wesens vor mir wischte.
Und auch vor meinem Mund befand sich eine Peitsche, nur wenige Inch entfernt.
Ich beugte meinen Kopf um eine Winzigkeit nach hinten und blickte zu ihm auf.
Reglos stand er da.
Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Was erwartete man von mir? Ich wusste, was ich tun könnte, was richtig war, was ich tun wollte.
»Ich weiß nicht, was ich tun soll«, sagte ich.
»Was für ein schüchternes verängstigtes, kleines Ding du doch bist«, entgegnete er.
»Die anderen Männer sprechen zu uns. Du sprichst nicht zu mir. Du sagst mir nicht, was ich tun soll.«
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