John Norman - Die Piratenstadt von Gor

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Port Kar, die große Hafenstadt an der Mündung des Vosk, von der aus die Piratenkapitäne die Thassa heimsuchen, das Meer von Gor. Nach Port Kar führt die Spur, der Tarl Cabot folgt, und er ist in seinem Binsenboot unterwegs durch die gefährlichen Sümpfe des Vosk-Deltas, wo die Sklavenhändler von Port Kar ihre grausamen Raubzüge unternehmen. Tarl Cabot fällt den aufgebrachten Schilfbauern in die Hände und wird für einen Sklavenhändler gehalten. Er zieht die Sklaverei dem Tod vor, wird verlacht und bespuckt und hat ein Leben als Entehrter vor sich. Da werden die Sumpfbewohner ihrerseits in die Sklaverei geführt. Tarl Cabot kann entkommen, und er beschließt, furchtbare Rache für seine Erniedrigung zu nehmen – an sich und seinen Gegnern.
Als Bosk wird er der gefürchtetste Kaperkapitän und schließlich der mächtigste Mann in Port Kar, das er vor dem Untergang bewahrt und dem er einen Heimstein schenkt. Aber was ist Berühmtheit und Macht gegen Ehre und Selbstachtung? Bis Tarl Cabot erfährt, daß seine Erniedrigung eine abgekartete Sache war, die seinen Stolz brechen sollte und ihm seine Grenzen zeigen – nur ein weiterer Schritt seiner jahrelangen Ausbildung für die Mission, die er eines Tages im Dienst der Priesterkönige erfüllen soll.

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John Norman

Die Piratenstadt von Gor

1

Ich roch das Meer, das schimmernde Thassa, das den Legenden zufolge endlos war.

Ich bückte mich auf meinem Binsenboot, schöpfte eine Handvoll Wasser und kostete es. Das Thassa konnte nicht mehr weit sein.

Das dreieckige Temholz-Paddel steuerte mein kleines Fahrzeug, das kaum für einen Mann ausreichte. Es bestand aus biegsamen langen Vosk-Binsen, die mit Sumpfranken zusammengebunden waren. Rechts vor mir sah ich plötzlich unter Wasser den gelben Bauch eines Wassertharlarion aufblitzen, der hastig zuschlug und mit seiner Beute abzog – wahrscheinlich ein Vosk-Karpfen oder eine Marsch-Schildkröte. Aus dem Schilf zu meiner Rechten flatterte ein buntgefiederter Vogel und stieg kreischend und flügelschlagend zum Himmel auf. Sekunden später verlor er sich wieder in dem endlosen Binsenwald, den schwankenden Sporenstengeln, den Samenträgern der vielfältigen goreanischen Vegetation im Gezeitensumpf. Nur ein Wesen in der Marsch wagt sich am Himmel sehen zu lassen – das Raubtier Ul, der geflügelte Tharlarion.

Ich vermochte nur wenige Meter weit zu schauen; oft reichte mein Blick kaum über den Bug des kleinen Bootes hinaus, so eng standen die Binsen und die Rencepflanzen.

Es war der vierte Tag der sechsten Wartenden Hand, kurz vor der herbstlichen Tag- und Nachtgleiche, die nach dem allgemeinen goreanischen Kalender den Monat Se’Kara einleitet. Nach dem Kalender Ko-ro-bas, das seine Jahre – wie die meisten goreanischen Städte – nach den Listen ihrer Administratoren zählt, hatten wir das elfte Jahr der Administration meines Vaters Metthew Cabot. Nach dem Kalender Ars, das darf ich vielleicht auch erwähnen, lebten wir im ersten Jahr der Wiedereinsetzung von Marlenus, des Ubar aller Ubars. Am klarsten ist vielleicht die Jahresangabe, die das Chaos goreanischer Zeitrechnung überbrückt – danach hatten wir das Jahr 10.119 Contasta Ar, seit der Gründung Ars.

In dem kleinen Boot lagen meine Waffen, daneben eine Wasserflasche und ein Behälter mit Brot und getrocknetem Boskfleisch. In einer Scheide trug ich ein goreanisches Kurzschwert, dazu besaß ich einen Helm und, in Leder gewickelt, einen goreanischen Langbogen aus biegsamem Ka-la-na-Holz, aus dem Holz der gelben Weinbäume Gors, an jedem Ende von eingekerbten Boskhorn gekrönt, außerdem eine Anzahl von Feder- und Flugpfeilen. Ein Bogen dieser Art wird nicht von allen goreanischen Kriegern benutzt, genießt jedoch Respekt. Er hat die Größe eines ausgewachsenen Mannes, ist in der Mitte etwa vier Zentimeter breit und drei Zentimeter dick, und das Spannen erfordert erhebliche Körperkräfte. Die Durchschlagskraft der mit ihm abgeschossenen Pfeile ist enorm. Auf kurze Entfernung durchdringen sie zehn Zentimeter dickes Holz, auf zweihundert Meter kann man einen Mann noch an einem Baumstamm festnageln, auf vierhundert Meter noch einen Bosk töten. Die Pfeile lassen sich überdies blitzschnell abfeuern. Der Langbogen hat jedoch auch erhebliche Nachteile – er kann nur im Stehen bedient werden und ist vom Sattel aus oder im Nahkampf kaum zu gebrauchen, auch kann man ihn nicht ständig schußbereit halten wie eine Armbrust.

In den Händen eines Experten ist der Langbogen zwar die gefährlichere Waffe; doch es gab im großen und ganzen nur wenige, die die Kraft und das scharfe Auge hatten, gute Langbogenschützen zu sein. Ich war stolz auf meine Geschicklichkeit mit dieser Waffe.

In meinem kleinen Boot kniend, paddelte ich vorsichtig weiter.

Es ist die Waffe eines Bauern, klang eine wohlbekannte Stimme in meiner Erinnerung auf, und ich lächelte. So hatte der Ältere Tarl gesprochen, mein früherer Waffenmeister in Ko-ro-ba, meiner Heimatstadt, die man auch »Die Türme des Morgens« nannte. Ich betrachtete den langen, lederverhüllten Bogen aus weichem Holz, der zu meinen Füßen lag.

Es stimmte, daß der Bogen eine Waffe der Bauern war. Schon allein diese Tatsache führte dazu, daß viele Goreaner – besonders Menschen, die mit der Waffe nicht vertraut waren – verächtlich darüber dachten. Die goreanischen Krieger, im wesentlichen aus den Städten stammend, sind Krieger von Geburt an, aus ihrer Kaste heraus; zudem gehört ihr Stand zu den Hohen Kasten, wozu die Bauern, die in ihren kleinen Dörfern isoliert leben, nicht zählen. Von den Stadtmenschen wird der Bauer bestenfalls für ein unwissendes und abergläubisches Tier gehalten, für jemand, der im Dreck wühlt, für ein schwerarbeitendes, unberechenbares Wesen, das bauernschlau und gefährlich ist. Doch ich wußte, daß in jeder Strohhütte der Bauern ein Heimstein zu finden ist, und der Bauer selbst bezeichnet sich stolz als der Ochse, auf dem der Heimstein lastet.

Die Bauern werden übrigens nur in Notfällen für den Dienst bei den Streitkräften der Städte herangezogen; ein weiterer Grund, warum ihre Waffe, der Langbogen, in den Städten und bei den Kriegern allgemein recht wenig bekannt ist.

Ich hielt den Langbogen für eine vorzügliche Waffe und hatte mich von Anfang an damit vertraut gemacht, sehr zur Verwunderung meiner Freunde.

Vierzig oder fünfzig Meter rechts von mir schrie ein Vogel; es hörte sich nach einer Marschgans an, einem kleinen gehörnten, schwimmfüßigen Wasservogel mit breitem Schnabel und großen Flügeln.

Der Ruf wurde aufgenommen und erwidert, aus gleicher Entfernung, diesmal jedoch aus der entgegengesetzten Richtung.

Es war später Nachmittag, meiner Schätzung nach die vierzehnte goreanische Stunde. Da und dort hingen Insektenschwärme über dem Schilf, aber sie hatten mich bisher nicht sehr gestört; das Jahr ging seinem Ende zu, und die unangenehmeren Insekten dieses Planeten zogen ohnehin Gebiete vor, in denen es weite, stille Wasserflächen gab.

Ich war seit Wochen unterwegs. Auf Flußbooten hatte ich mich mit der Strömung des Vosk treiben lassen, doch wo der mächtige Fluß sich zu teilen begann und in unzählige sich ständig verändernden Kanäle verzweigte, die sich in den gewaltigen Gezeitensümpfen seines Deltas verloren, bevor sie in das Thassa, das Meer, mündeten, hatte ich die Barken verlassen und von Rencebauern an der Ostgrenze des Deltas Vorräte und dieses kleine Riedboot erstanden.

In diesem Augenblick entdeckte ich an einer Rencepflanze unter den Staubgefäßen und schmalen Blütenblättern ein weißes Reptuch, das dort angebunden war.

Ich paddelte näher heran und betrachtete meinen Fund. Dann blickte ich mich um und verhielt einige Sekunden lautlos. Schließlich steuerte ich mein Boot an der Pflanze vorbei, drückte das Rence zur Seite und setzte meinen Weg fort. Irgendwo hinter mir schrie erneut eine Marschgans.

Es hatte sich niemand gefunden, der mir als Führer durch das Voskdelta dienen wollte. Die Barkenschiffer des Vosk steuern ihre breiten, flachen Kähne nicht bis in das Mündungsgebiet. Tatsächlich verändern sich die Kanäle des Flusses von Jahr zu Jahr, und das ganze Delta ist oft nicht mehr als ein undurchdringlicher Sumpf, Hunderte von Quadrat-Pasangs aus überfluteter Wildnis. Oft ist es sogar für die großen flachen Barken zu seicht; außerdem müßte den Booten Meter um Meter ein Pfad durch das Schilfdickicht geschlagen werden. Der wichtigste Grund für den Mangel an Führern – auch bei den Rencebauern des Ostens – liegt jedoch in der Tatsache, daß das Delta von Port Kar beansprucht wird, das mitten darin liegt, etwa hundert Pasang von seinem nordwestlichen Rand entfernt, am Ufer des flachen Tambergolfs, der den Beginn des schimmernden Thassa kennzeichnet.

Port Kar, eine dicht bevölkerte, schmutzige, herrschsüchtige Stadt, wird manchmal auch der Tarn des Meeres genannt. In der goreanischen Sprache steht ihr Name für Grausamkeit und Piraterie. Die Flotten der Tarnschiffe aus Port Kar sind die Plage des Thassa, schöne Galeeren mit Dreieckssegeln, die das Thassa durchstreifen auf der Suche nach Beute, die Küstenstädte und Kauffahrer überfallen, ausplündern und ihre Opfer in die Sklaverei verkaufen. Sie machen die Meere unsicher von den Ta-Thassa-Bergen der südlichen Hemisphäre bis zu den Seen des Nordens, und sogar im Westen bis zur Terrasseninsel Cos und zum felsigen Tyros mit seinen labyrinthhaften Varthöhlen.

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