Was meine Neugier weiter angestachelt hatte, war die Art und Weise, wie mein Schicksal sich so abrupt verändert und wie man mich hierher gebracht hatte, so heimlich, so versteckt. Eine wie ich, von meiner Sorte, wird nicht in den Garten gebracht. Normalerweise wird man sehr früh, gleich zu Beginn, für den Garten ausgewählt oder erst später, nachdem man verschiedene andere Stufen und Ränge durchlaufen hat. Dass man von einem Moment auf den nächsten ausgewählt, sozusagen direkt von Strohmatten und Lehmschüsseln zu Seide und Gold wechselt, geschieht nur sehr selten, denn zwischen diesen beiden Extremen liegen zahlreiche andere Stufen, Kupferreifen und Bronzeteller, Eisenbarren und Silbertabletts und vieles mehr. Natürlich besteht die Möglichkeit, dass jemand einen sieht und Gefallen an einem findet. So etwas lässt sich nicht voraussagen, außerdem wird man manchmal unbemerkt an einen solchen Ort gebracht. Damit meine ich natürlich nicht diejenigen, die rechtlich und offiziell nicht von meiner Art sind, aber zweifelsohne bald sein werden, sondern diejenigen, die schon von dieser Art sind, wenn man sie hierherbringt. Ja, einige von ihnen werden im Verborgenen hierhergebracht, ebenso wie einige auch im Verborgenen gekauft werden.
Sie müssen verstehen, das, was sich in diesem Garten befindet, seine Blumen und deren Wert, davon soll nicht jeder erfahren.
Doch ich glaubte nicht, dass ich nur wegen solcher logischer Überlegungen hierhergebracht worden war. Natürlich hatte ich keine Gewissheit, vielleicht war nur irgendjemanden die Grazie meines Knöchels aufgefallen, die Bewegung meiner Hand oder die Art, wie das Haar auf meinen Rücken fiel. Vielleicht war es nur das verheißungsvolle Rascheln einer Tunika gewesen, mein Gesichtsausdruck, etwas, das jemandes Interesse geweckt hatte. Ich wusste es nicht. Konnte es wirklich so einfach sein? Vielleicht. Ich hoffte es, doch ich war mir nicht sicher, und das beunruhigte mich. Konnte es sein, dass ich auf eine Weise, die ich selbst nicht verstand, anders war als die anderen Mädchen? Irgendwie vermutete ich es. Natürlich diente ich hier ebenso wie die anderen und war denselben Regeln unterworfen wie sie. In dieser Hinsicht war ich kein bisschen anders als sie. Einige von ihnen schienen eifersüchtig auf mich zu sein oder mich zu hassen, aus einem Grund, den ich nicht verstehe. Aber an einem Ort wie diesem sind solche Gefühle wohl nur natürlich. Sie schienen es aber nicht wirklich seltsam zu finden, dass eine wie ich hier war, ebenso wenig die Wachen. Sie nahmen meine Gegenwart an diesem Ort als selbstverständlich hin, so, wie man die Gegenwart von Wesen wie mir an Orten wie diesen eben als selbstverständlich hinnimmt, abgesehen von der ein oder anderen, die hin und wieder ein wenig mehr Beachtung geschenkt bekommt.
Soweit ich das sagen konnte, war ich für die anderen Mädchen und die Wachen nur eine weitere Zierde dieses Gartens, eine weitere Blume.
Ich hatte die Mauer berührt, zu den Klingen hinaufgeblickt. Ich wollte nicht in diesem Garten sein! Gewiss, es gibt schlimmere Orte, und zweifelsohne gibt es viele Frauen, die sich nach dem Garten sehnen, mit seinem Überfluss, seiner Sicherheit und seiner Schönheit. Gewiss ist man hier sicherer als auf der anderen Seite der Mauer, daran lassen die vielen Alarme und die hastenden Schritte und die Schreie, die man draußen hören kann, keinen Zweifel. Wann immer ein solches Geräusch ertönte, blickten wir einander voller Furcht an, und in diesen Momenten waren wir froh, im Garten zu sein. Manchmal hatten wir Angst davor, dass die Tore des Hauses eingetreten, dass die Angeln des verriegelten Tores aus dem Stein der Wände gebrochen werden könnten, dass jemand von draußen in den Garten käme, dem wir hilflos ausgeliefert wären, wie reife Früchte in einem Obstgarten, dessen angeblich unüberwindbare Mauern niedergerissen worden waren. Diese Ängste sind nicht so unbegründet, wie man meinen könnte. Die Zeiten waren hart in der Stadt, zumindest glaubte ich das, wenngleich ich nicht sehr viel von dem mitbekam, was sich dort draußen abspielte. Manchmal schien so etwas wie Anarchie in den Straßen zu herrschen. Einige Gärten, so hatten wir uns zusammengereimt, waren gestürmt und geplündert worden, ihre Blumen geraubt ... wohin und zu welchem Zweck, wer konnte das schon sagen? Doch unser Haus, so glaubte ich, ließ sich nicht erstürmen, denn es schien zumindest so, als hätte es einen besonderen Stellenwert. Offenbar stand es hoch in der Gunst derer, die die Stadt beherrschten. Bislang waren wir zumindest von Eintreibungen, Beschlagnahmungen, Besteuerungen und dergleichen verschont geblieben. Nichtsdestotrotz war das Leben im Garten von Nervosität durchdrungen, denn oft hörten wir, was draußen in den Straßen, auf der anderen Seite der Mauer vor sich ging, und den Bemerkungen der Wachen, die wir belauschten, ließ sich entnehmen, dass nicht alle Häuser in der Stadt, die einen solchen Garten hatten, von brutalen, abrupten Anstürmen verschont geblieben waren. Hier im Garten mangelte es uns an nichts; wir waren verwöhnt. Alles, was wir tun mussten, war zu gefallen und schön zu sein. Wir hatten Seide, Parfum, Schminke und Schmuck. Darum drehten sich unsere Gedanken. Von den Ereignissen draußen in der Welt wussten wir so gut wie nichts. So gehörte es sich für unsereins. Wir sollten solche Dinge nicht wissen, das war nicht unsere Aufgabe. Manchmal, wenn es draußen auf der Straße laut wurde, blickte ich einige der Mädchen an, und sah, wie sie einander ansahen, mit Furcht in den Augen, die Seide enger um ihre Körper geschlungen. Es gab eine Welt auf der anderen Seite der Mauer, eine Welt, die so anders war, als die, an die wir hier drinnen gewöhnt waren. Eine raue, gewalttätige, ungeduldige und fordernde Welt. Würden die anderen sich dort wiederfinden, würde das ihr Leben zweifelsohne völlig verändern. Ich selbst hingegen wollte gar nicht im Garten bleiben. Draußen, jenseits der Mauer, hatte ich eine Welt gesehen, die viel realer war als diese hier. An diesem Ort wollte ich sein, ganz gleich, welche Gefahren und Gräuel dort auch lauerten. Nicht, dass ich mit meiner gegenwärtigen Lage unzufrieden gewesen wäre, denn, das müssen Sie verstehen, durch sie hatte ich gelernt, was ich war, und gelernt, mich daran zu erfreuen. Vielmehr war es so, dass ich sein wollte, was ich auf der anderen Seite der Mauer sein konnte. Was ich hier, im Garten, nicht sein konnte. Auf dieser Seite der Mauer konnte ich nicht ich selbst sein, nicht wirklich, nicht ganz. Für so etwas braucht man eine volle Welt, mit Tausenden von Zufällen, Konsequenzen und Gefahren. Hätte ich eine Wahl gehabt, ich hätte einen Stofffetzen jenseits der Mauer all der Seide und den Juwelen vorgezogen, den die Favoritinnen hier innerhalb der Mauer tragen durften.
Aus der Richtung des Hauses hatte ich Stimmen gehört und mich daraufhin hastig, so schnell es mir angesichts der Steine möglich war, von der Mauer zurückgezogen. Es hatte schrecklich wehgetan, doch noch schlimmer wären die Schmerzen, wenn man mich hier entdeckte, denn es war verboten, sich der Mauer zu nähern. Selbst auf die Steine an ihrem Fuße hinauszutreten, ist verboten. Oh, ich weiß, ich hätte nicht hinübergehen sollen. Es ist nicht gestattet, aber ich hatte mich zuerst umgesehen, hatte mein Bestes getan, um sicherzustellen, dass niemand mich beobachtete.
Ich war mir so sicher gewesen, dass niemand mich sah.
Mein Plan war es gewesen, mich in einem Kreis zwischen den Büschen und den liebreizenden, kleinen Bäumen des Gartens hindurch in die Nähe des Brunnens zu schleichen, doch kaum, dass meine Füße das Gras berührt hatten, war die Stimme eines Mannes erklungen. »Stopp«, hatte er gesagt.
Natürlich hatte ich mich sofort hingekniet, den Kopf und auch die Handflächen auf den Boden gesenkt.
Warum war um diese Tageszeit ein Mann im Garten?
Ich blickte nicht auf, denn man hatte es mir nicht erlaubt.
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