Oh, es gibt unendlich viele derartige Bewegungen, und sie müssen fließend ineinander übergehen.
»Ah!«, hörte ich.
Ich legte mich hin und bewegte mich auf dem Boden, was oft der Höhepunkt einer solchen Vorführung ist.
Natürlich beendete ich meine Darbietung vor dem, den ich für den höchsten unter den Fremden hielt. Sie vor einem anderen Mann zu beenden, wäre nicht akzeptabel gewesen. Manchmal bewegt sich eine wie ich, wenn sie verliebt, unachtsam oder abgelenkt ist, etwas zu weitschweifig und führt ihre bedeutsamsten Bewegungen nicht vor dem Höchsten einer Gruppe von Zuschauern auf. Obgleich oft verständlich, kann das Verlangen, sich demjenigen zu zeigen, in dessen Besitz man gerne wäre, ihn auf sich aufmerksam zu machen und ihn zu erregen … nun, dieses Verlangen kann sehr gefährlich sein. So etwas kann zu Rivalitäten unter den Männern führen, zu Streit, sogar zu Duellen und Blutvergießen. Und für eine wie mich könnte es bedeuten, an den Pfahl gebunden und ausgepeitscht zu werden.
Ich hörte die Ausrufe der Männer, das scharfe Einatmen, die leisen Laute des Staunens und bewunderndes Gemurmel. Diese Geräusche entstammten der Gruppe der Fremden, doch auch den Männern des Hauses. Sie müssen verstehen: Eine wie ich kann eine gewisse Macht haben, auch wenn die ultimative Macht natürlich nicht in unserer Hand liegt.
Als die Darbietung beendet war, legte ich mich auf den Rücken, das linke Knie etwas weiter angewinkelt als das rechte, die Hände neben meinem Körper auf dem Boden, die Handflächen, wie es sich gehört, nach oben gerichtet. Die weiche Verletzbarkeit der Handflächen trägt ihren Teil zur Symbolik dieser Haltung bei. Ich drehte meinen Kopf nach rechts und blickte zu dem hinüber, der der Höchste war, ehe ich meinen Kopf wieder herumrollte und nach oben blickte. Über mir konnte ich die pockennarbige Decke sehen. Mein Haar umschmiegte meinen Kopf, und das Schimmern von Schweiß bedeckte meinen Körper. Ich atmete schwer.
»Sie ist wirklich schön«, sagte ein Mann.
»Ihr Aussehen hat sich stark verbessert, seit sie hier ist«, stellte der Wortführer aus dem Haus, der mir am nächsten stand, fest.
Ich lag da und fühlte ihre Augen auf mir.
Schon sehr früh, seit dem Moment, als ich in einer Reihe mit den anderen Mädchen aus jenem Korridor gekrochen war, mit einer Fessel um den Hals, war mir klar gewesen, was diese Männer in mir sahen, und von Anfang an war es mir verblüffend oder zumindest sehr merkwürdig vorgekommen. Ich hatte mich selbst auf meiner Heimatwelt, nie wirklich für wunderschön gehalten. Hübsch, bestenfalls. Ich schätze, ich habe feine, oder wie manche sagten, grazile Züge. Aber mein Körper entspricht in meiner Kultur nicht dem Ideal, verstehen Sie? Er ähnelt stark dem statistischen Durchschnitt. Beispielsweise bin ich weder außergewöhnlich groß, noch dick oder dünn. Ich habe keine außergewöhnlich langen Beine, und mein Körper ist wie der eines heranwachsenden Jünglings, würde man von den Brüsten absehen. Im Großen und Ganzen ist es einfach nur der Körper einer normalen Frau, so, wie Frauen sind, mehr nicht. Eine Agentur würde mich ganz gewiss nicht als Model auswählen, zumindest nicht, wenn sie nach einer Frau suchten, die die normalen Modelkriterien erfüllt. Wäre ich mit einer Kette an einen Pfahl gefesselt, ich könnte mich nicht herauswinden. Die Kette würde mich halten, mein Körper würde mich zu ihrer Gefangenen machen. Darum hatte ich mich nie für wunderschön gehalten.
Doch hier und jetzt fand ich mich in einer Kultur wieder, in der Schönheitsideale und Standards sich nach dem richten, was Frauen wirklich sind, nach der Hilflosigkeit ihres hormonellen Reichtums. Aus welchem Grund Männer sich den Körper einer Frau auch wünschen wie den eines Jungen, ehe er die Masse und Stärke des Mannesalters erreicht, hier gilt ein anderes Ideal. Auch wenn ich in schmalen, eng anliegenden Kleidern nicht so gut aussah wie ein Model, hatte ich doch, anfangs zu meiner Überraschung, später zu meinem Grauen und letztendlich schließlich zu meiner Zufriedenheit, ja, sogar Freude gelernt, dass ich etwas bin, das, bekleidet nur mit einem schmalen Streifen Seide oder einer Kette und zwei Armreifen, die Aufmerksamkeit eines Mannes erwecken und fesseln kann. Die meisten der anderen Mädchen an der Kette in jenem Korridor waren wie ich selbst gewesen, Frauen mit gewöhnlicher Figur. Nur zwei hatten den Körperbau eines Models gehabt, und sie, so schien es, waren für ein Haus, das sich auf ausgefallene Ware spezialisierte, hierhergebracht worden. Die Männer hatten ihnen kein großes Interesse geschenkt. Als ich zu begreifen begann, mit welchen Augen man mich und meinesgleichen mit unserer normalen Figur auf dieser Welt betrachtete, da begann ich, Mitleid für diese »Models« zu empfinden, die ich früher absurderweise aus der Ferne beneidet hatte. Wie schwer musste es angesichts ihrer früheren Erfahrungen für sie sein, zu erkennen und sich damit abzufinden, dass sie nun bestenfalls noch toleriert und schlimmstenfalls verachtet wurden.
Doch es gibt Hoffnung für sie, ebenso wie es auf der alten Welt für uns Hoffnung gab. Wie einst wir, so werden nun auch sie angehalten, ihre physischen »Mängel« und ihre »Unansehnlichkeit« durch ihre Persönlichkeit, ihre Aufmerksamkeit und ihren Charakter zu kompensieren. Doch leidtun sie mir nicht. Denn ebenso wie es auch auf der alten Welt zweifelsohne Männer gab, die, wenngleich sie ihre echte Männlichkeit in dieser Kultur verbergen mussten, normale Frauen begehrten, muss es auch auf dieser Welt Männer geben, die sich für den hochgewachsenen »Modeltyp« mit den kleinen Brüsten interessieren. Wie gesagt, von zwei solchen Frauen, die man hierhergebracht hatte, wusste ich. Sie waren an dieselbe Kette gefesselt gewesen wie ich. Doch es ist schön herauszufinden, dass man in einer bestimmten Kultur als wunderschön gilt. Ich glaube, diese Kultur hier ist normaler als diejenige, aus der ich entführt wurde, denn hier sucht man Schönheit sinnigerweise innerhalb der normalen Dimensionen der Weiblichkeit und nicht an ihren Rändern. Das zeigt sich allein schon im wirtschaftlichen Aspekt, denn normal gebaute Frauen, vorausgesetzt natürlich, dass sie attraktiv und wunderschön sind, bringen für gewöhnlich die höchsten Preise. Oder, anders und einfacher ausgedrückt, die Männer auf dieser Welt zahlen, statistisch gesehen, mehr für diese Frauen. Ein oder zwei Punkte sollten hier noch angeführt werden, des Verständnisses wegen. Ich bin zwar klein, wie die meisten Frauen, aber ich bin nicht fett. Meine Figur wurde sozusagen innerhalb der eigenen Verhältnismäßigkeit »optimiert«, zumindest nach dem Dafürhalten dieser Männer. Ich selbst hatte keine Kontrolle darüber. Sie haben dafür gesorgt. Durch meine Ernährung, durch die Übungen, die sie mich machen ließen, durch den Schlaf, den sie mir gönnten, und derlei mehr. Hier im Haus habe ich keine Kontrolle über diese Dinge. Außerhalb des Hauses, so habe ich gehört, tragen Frauen wie ich, je nach ihrer Situation, selbst die Verantwortung für diese Dinge, wobei sie natürlich überwacht und gegebenenfalls auch bestraft werden. Und ebenso wie in diesem Haus scheint man auch außerhalb von diesen Frauen zu erwarten, dass ihr Körper bestimmte Kriterien erfüllt. Falls sie nachlässig und träge werden, bestraft man sie. Ein weiterer Punkt bezieht sich auf das, was einer der Männer sagte: dass mein Aussehen sich stark verbessert hätte, seitdem ich hier war. Das stimmt, wie Spiegel und Wachen bestätigt haben. Die wahrste Schönheit kommt natürlich von innen und vielen anderen Quellen. Sie kann sich entfalten, wenn man seine Hemmungen überwindet oder seine Ängste und inneren Widersprüche vergisst. Sie kann Zufriedenheit entstammen, der Freude, dem Gefühl der Erfüllung oder dem Glücklichsein. So etwas verändert zwangsläufig unseren Gesichtsausdruck, unsere Bewegungen, unsere gesamte Haltung und unser Verhalten. Die äußere Schönheit stammt stets aus dem Inneren. Und davon abgesehen gibt es natürlich noch die Seide, das Parfum, die Schminke und den Schmuck, die ebenfalls ihren Teil zu unserer Schönheit beitragen. Man erwartet, dass wir diese Dinge wissen, dass wir sie einsetzen, um den gewünschten Effekt zu erzielen. Manchmal hatte ich gezittert, wenn ich sah, was sich mir im Spiegel darbot, wenn ich erkannte, auf welche Weise ein Mann darauf reagieren würde und doch wusste ich gleichzeitig, dass das immer noch ich war. Dass dieses billige, schamlose und dreiste Ding ich war, dass sie mein wahres Ich nicht überdeckten, sondern es nur hervorhoben. Natürlich können diese Hilfsmittel auch dezent und stilvoll aufgetragen werden und manchmal, wenn es gewünscht wurde, auch so subtil, dass selbst ich nicht mehr sagen konnte, welche Schminke oder welches Parfum ich aufgetragen hatte. Dann wieder gestand man uns nur einen Fetzen Stoff oder Seide zu und wies uns an, zu stehen, zu sitzen oder zu knien und lehrte uns auch, wenn nur allein das Haar gekämmt war, wunderschön zu sein. In den meisten Ausbildungsräumen gibt es Spiegel. So gewöhnen wir uns daran, uns jederzeit unseres Äußeren und seiner Wirkung auf andere bewusst zu sein. Außerdem ist es vor allem in den frühen Phasen der Ausbildung sehr hilfreich, wenn Dinge wie eine gute Haltung oder grazile Bewegungen uns noch nicht zur zweiten Natur geworden sind. Manchmal führte man mich und andere vor die Spiegel, gekleidet in einen Stoffstreifen oder in Seide, und befahl uns, dort zu stehen, zu knien oder zu sitzen und zu betrachten, wie und was wir wirklich waren. Ich blickte in den Spiegel und sah mich, wie ich wirklich war. Und das war nicht so, wie ich früher gewesen war. Ich war nun anders. Auf diese Weise hatte ich schließlich erkannt, dass ich außergewöhnlich schön war. Wenn ich in den Spiegel blickte, sah ich dort jemanden, der wunderschön war, aber manchmal machte mir der Anblick auch Angst, denn was ich in dem Spiegel vor mir sah, war nicht nur ein wunderschönes Wesen, sondern auch ein Wesen, dessen Schönheit nicht ganz ihm selbst gehörte. Teilweise gehörte es jemand anderem, so, wie auch dieses Wesen selbst jemand anderem gehörte.
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