Abermals schwang er die Waffe und ich wurde wie ein Stück Vieh getrieben.
Meine Füße waren wund, und ich konnte kaum noch atmen. Mein ganzer Körper tat weh, doch schon spürte ich die Fänge des Monsters wieder an meinen Fersen.
Ich stammte noch nicht einmal von dieser Welt! Wie konnte man es wagen, mich so zu behandeln? Wieso tat man mir das an?
Ich war von der Erde entführt und hierher verschleppt worden.
Hielt ich mir vor Augen, dass ich nun eine Kajira war, begriff ich, dass alles mit mir geschehen konnte.
Kaum dass ich hinfiel, raffte ich mich hektisch auf. »Beeile dich, Kajira«, mahnte der Mann, während er das fauchende Tier zurückhielt. Ich trabte weiter und weinte.
Hier durfte ich nicht auf Würde beharren.
Ich wurde getrieben wie ein Stück Vieh, gleich einer Sau den Berg hinauf, ohne zu wissen, wohin genau. Schließlich, als ich japsend versuchte, die Tunika im Mund zu behalten, sank ich vor einer glatten Felswand am Ende des Weges auf die Knie. Der Berg schoss vor mir in die Höhe, und etwa hundert Fuß oberhalb schienen aus dem Stein selbst die Mauern der Festung zu wachsen. Ich konnte nicht weitergehen. Es gab keinen Ausweg mehr, es sei denn zurück. Ich fuhr panisch herum und starrte den Wärter mit seinem Tier an. Es erwiderte meinen Blick finster. Auch ihm war klar, dass wir in einer Sackgasse standen. Der Mann zog eine Pfeife aus seiner Gürteltasche und fing an, eine schrille Melodie zu spielen. Diese Noten – einzelne Töne wie motivische Fragmente – standen für Buchstaben des Alphabets, wie ich später erfahren sollte. Somit drückten sie einen Satz aus, eine Phrase oder ein Passwort, das täglich oder sogar noch häufiger geändert wurde. Von oben hörte ich zur Antwort ein ähnliches Pfeifen. Die erste Melodie und die Antwort fungierten als Signal beziehungsweise dessen Bestätigung. Dem Tier, dessen Hörsinn gewiss ausgeprägter war, schien die Musik nicht geheuer zu sein, denn es wand sich und knurrte. Da vernahm ich plötzlich von oberhalb ein mahlendes Geräusch, woraufhin sich eine hölzerne Plattform mit einer rechteckigen Öffnung darin aus der Wand schob. Aus dieser wurde gleich darauf, wohl mithilfe einer Winde, ein Strick herabgelassen. Daran hing etwas, vielleicht auch mehrere Gegenstände, die zu pendeln begannen, während sie rasch auf uns zukamen. Im Nu konnte man danach greifen. Es handelte sich um eine Art Steigbügel mit einem Sack aus Leinen oder etwas Ähnlichem darüber. Mein Wärter wies mich an, zu ihm zu kommen, was ich zögerlich tat. Er öffnete den Sack und da sah ich, dass der Boden ausgebeult und mit zwei Löchern versehen war. Ich sollte nun hineintreten und meine Beine durch die Öffnungen stecken. Ich befolgte die Anweisung: zuerst ein Fuß, dann der andere. Schließlich zog er den Sack hoch, während ich drinnen stand, bis er mir wie ein Kleid passte, und schloss ihn, sodass ich die Hände mit den Armen am Körper halten musste. Mit einem Gurt zurrte er ihn schließlich fest zu und sicherte mich mit einer zusätzlichen Schnalle am Hals. Jetzt konnte ich dank der Beinlöcher zwar gehen, aber nur so weit, wie es der Radius erlaubte, den der Strick von oben beschrieb. In dem Sack war ich gänzlich wehrlos. Beklommen sah ich den Wärter und sein Tier an, bevor ich den Blick nach oben richtete. Die Plattform kam mir weit entfernt vor, und gern hätte ich gesprochen, doch der Mann fixierte die Tunika noch einmal sorgfältig zwischen meinen Zähnen. Ich durfte nicht reden. So schaute ich ihn nur mitleiderregend mit dem Knebel im Mund an, aber er schenkte mir keine Beachtung, sondern ging von mir fort zu seinem Tier. Nachdem er ihm die Leine abgenommen hatte, hängte er sie an seinen Gürtel, kehrte zum Strick zurück und zog zweimal daran. Als ich sah, dass man es wieder einholte, fing ich an zu wimmern und schüttelte wie wild den Kopf. Natürlich wagte ich es nicht, den Knebel auszuspucken, zumal ich keine Möglichkeit gehabt hätte, ihn aufzuheben, wenn er heruntergefallen wäre. Geschweige denn wusste ich, was mir dann widerfahren mochte, beim Ausstoßen oder auch erst, wenn er am Boden lag. Außerdem hatte ich sonst nichts zum Anziehen, weshalb die Tunika äußerst wertvoll für mich war, und letzten Endes wollte ich einfach jeglicher Bestrafung entgehen. Ich hatte es nicht mit Erdenmännern zu tun und besaß keine eigene Kleidung mehr. Wann und ob überhaupt ich wieder welche erhielt, blieb ungewiss. Plötzlich verlor ich den Grund unter den Füßen. Ich versuchte noch, den Fels mit den Zehen zu berühren, schaffte es aber nicht mehr, weil ich jetzt an dem Strick hing und hochgezogen wurde. Schon sah ich den Wärter unter mir. Er steckte den linken Fuß in den Steigbügel und hielt sich gleichzeitig mit der linken Hand über dem Kopf am Strick fest. Dann trug es auch sein Gewicht. Ein Ring daran sicherte den Sack, in den ebenfalls ein solcher eingearbeitet war, allerdings verfügte dieser über einen Verschluss. So konnte beim Hochziehen nichts passieren, auch wenn sich das Mädchen im Sack wand und zappelte: Er blieb sicher am Strick hängen. Ich vertraute darauf, dass die Ringe hielten, und hoffte, der Strick sei stark genug für unser beider Gewicht. Das Tier blieb unten zurück und schaute uns nach. Kurz darauf trottete es davon, möglicherweise in seinen Bau oder zurück auf den Vorsprung zum Aufpassen. Der Sack schwang ein wenig Hin und Her, doch der Wärter unter mir war so schwer, dass sich die Bewegung in Grenzen hielt. Ansonsten wäre ich mir an dem dicken Strick vorgekommen wie auf einer Höllenschaukel. Nebenbei bemerkt kann derjenige, der den Bügel benutzt, zugleich ein Schwert führen. Dafür, dass er unter dem Sack angebracht ist, gibt es zwei Gründe. Erstens um die Verteidigung zu ermöglichen, zweitens um den Strick zu sichern oder sogar festzuhalten, falls notwendig. Ich hielt die Beine still, da ich die Ringe nicht strapazieren wollte, die den Sack hielten. Fuß um Fuß stiegen wir auf. Ich war völlig unbeweglich, hörte nichts, was darauf hindeutete, dass das robuste Gewebe, welches aus dickem Leinen riss, platzte oder sich allmählich von den Gurten löste. Als ich am Strick nach oben schaute, entdeckte ich keine Stelle, an der er zerfaserte. Wie es aussah, blieben offenbar die Ringe und das Seil intakt. Meine Zuversicht wuchs wieder. So hoch über der Erde hatte ich noch nie geschwebt, jedenfalls nicht ohne Kapuze. Unzählige Bergzüge staffelten sich vor mir in der Ferne, einige davon waren verschneit. Ich schlang die Arme im Sack um meinen Oberkörper und biss auf die Tunika. Die Luft erfrischte mich, die Landschaft sah traumhaft aus. Wenige Augenblicke später hörte ich die Seilwinde quietschen und schaute, so gut es ging, nach unten. Der Wärter mit dem Fuß im Steigbügel und der linken Hand am Strick starrte gedankenverloren auf die Berge. Dies fand ich bemerkenswert, weil ich ihn im Grunde für einen Grobian hielt. Wie es aussah, fühlten wir uns beide klein im Angesicht der Natur und bewunderten ihre Schönheit voller Ehrfurcht. Ich hob den Kopf wieder hoch. Bis zur Plattform und der Öffnung, durch die ich gezogen werden sollte, war es nun nicht mehr weit, nur noch wenige Fuß. Jetzt sah ich auch die Winde, der Strick lief oberhalb des Lochs über eine Haspel, die von einem dreibeinigen Holzgestell gehalten wurde. Über der Plattform erkannte ich die hohen Mauern der Zitadelle, die im Gewölk verschwanden. Wir kamen uns im Vergleich zum Gebirge und seiner stumm erhabenen Unermesslichkeit zwar winzig vor, doch die Menschen hier hatten sich damit arrangiert; ihm Lebensraum abgetrotzt und inmitten dieser Herrlichkeit einen Horst errichtet – genau wie Adler eben.
Nachdem ich durch die rechteckige Öffnung gelangt war, hing ich ungefähr zehn Fuß über der Plattform und ein kurzes Stück unterhalb der Haspel. Dort baumelte ich noch, als der Wärter vom Steigbügel auf das Holz getreten war, nachdem er das Loch passiert hatte. Mehrere Männer kamen auf die Plattform und begrüßten einander. Diese Leute trugen dunkelrote Tunikaröcke, zweifellos eine Art Tracht oder Uniform. Ich nahm an, sie seien Wachleute oder Soldaten. Wieder quietschte die Winde, nun wurde ich heruntergelassen, und als ich wieder über der Öffnung hing, streckte sich mein Wärter aus, um den Sack am Strick auf die Plattform zu ziehen. Ich hatte Schwierigkeiten, die Füße auf den festen Grund zu stellen. Man musste dem Strick noch ungefähr ein Yard mehr Spiel geben. Sobald ich endlich stand, was erst möglich wurde, als sich das Seil entspannte, öffnete er den Ring am Sack und hakte ihn aus. Jetzt war ich den Strick los und ging gleich auf die Knie, wie es sich im Beisein von Männern schickte. Allerdings rutschte ich dabei von der Öffnung weg. Hier oben sah man die Berge besonders gut. Der Wärter betrachtete sie ebenfalls noch einen Moment lang, wohingegen die Umstehenden sie nicht weiter beachteten, wohl, weil ihnen der Anblick allzu vertraut war. Kurz schaute ich zu ihm auf, dann schnell wieder nach unten. Beim Aufstieg mochten wir gemeinsam die Berge bestaunt haben, was uns vorübergehend vereinte, vor allem weil wir am selben Seil zwischen Himmel und Erde, zwischen den Welten in einer Art von ästhetischer Leere oder künstlicher Starre hingen, doch jetzt hatten wir die Plattform erreicht und wieder festen Halt unter den Sohlen. Er stand aufrecht, ich kniete. Erneut klafften gewaltige Unterschiede zwischen uns: Ich war eine Kajira, er ein freier Mann.
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