Was tat ich hier?
Zumindest teilweise befand ich mich an diesem Ort, um für meinesgleichen typischen Zwecken zu dienen. Dies fand ich anhand der Gebaren und Interessen jener, deren Aufsicht ich unterstellt war, heraus. Dieser Fremden, meiner mutmaßlichen Käufer, von denen ich im Pferch begutachtet worden war, wobei ich nackt, bis auf die Halsfessel, zu posieren hatte.
Die Dienste, für die zu verrichten man mich hergebracht hatte, waren jedoch gewiss nicht nur die obligatorischen für eine wie mich. Dahinter steckte definitiv mehr.
Ich dachte über all das nach, während ich am Gitter stand.
Ich kam von weither, eine Frau aus einer sehr anderen Welt, wo Banalität und Heuchelei herrschten, wo man den schönen Schein wahrte und das Authentische, das Ehrliche fürchtete und sich vor Erkenntnis und Emotionen zierte. Für wie einzigartig, bewundernswert und schlau hatte ich mich dort gehalten, bis mich ein Mann wahrscheinlich mehrere Männer sahen und die Entscheidung trafen, mich hierher zu verschleppen. Jetzt war ich nichts weiter als eine Kajira und jemandem zugehörig. Ich grübelte: Hatte ich etwas verbrochen, das dieses Los bedingte? Vielleicht war ich versehentlich gegen die falsche Person gestoßen oder hatte mich zu einer verhaltenen Äußerung des Zornes hinreißen lassen, einen nur flüchtigen Ausdruck der Verärgerung in meinen Zügen gezeigt. Es war auch möglich, dass irgendetwas an meinem Benehmen darauf hingedeutet hatte, dass ich einbildet und selbstverliebt war, einen vermessenen Anspruch auf Überlegenheit stellte oder subtil verächtlich wirkte.
Letztlich konnte auch es Folgendes sein: Man hatte mich entführt, damit sich ein Mann oder mehrere an dem ergötzen konnten, was ich nun war, ein Nichts und abhängig von jenen, die alle Rechte an mir besaßen. Ich musste nicht unbedingt eine größere Rolle spielen als die der Frau, die ich war, reizvoll für einen einzelnen oder mehrere Gutachter, weil ich gewisse Kriterien erfüllte, eventuell sogar vortrefflich. War dem so, hatte man mich entdeckt, vermerkt, verfolgt und beobachtet, aber weniger auf meinen damaligen Status geachtet als auf das Potenzial, das ich mit der entsprechenden Ausbildung in Zukunft nutzen konnte?
Wie, fragte ich mich nun, bewerteten jene, die sich mit solchen Sachverhalten herumschlugen und zweifellos ein Geschäft daraus machten, dieses Potenzial? Stellten sie sich vor, wie ich nackt oder in Seide aussah, während ich mich lasziv bewegte oder in Ketten am Boden lag? Woher wussten sie überhaupt, dass ich insgeheim hitzig und sexuell frustriert war, wo ich es doch vehement vor aller Welt zu verbergen versucht hatte? Verriet ich dies unbewusst Menschen, die es anhand einer bestimmten Bewegung oder Mimik erkannten? Für was hielten sie mich – einen ansprechenden Eigentumsgegenstand, der noch niemandem gehörte, dem der Herr fehlte?
Auf der Erde hatte ich mich zu Tode gelangweilt!
Wie trist war mir dort alles vorgekommen!
Wie unzufrieden und enttäuscht ich mich gefühlt hatte!
Ich war ein winziger Splitter in meiner alten Welt gewesen, hatte mich ohne Sinn hin und her bewegt, je nachdem wie die Wellen schwappten und der Wind wehte. Dann wurde die Entscheidung getroffen.
Ich gelangte hierher und lernte Seide und Eisen tragen.
In gewisser Weise fürchtete ich mich vor diesem Ort.
Andererseits hing ich nun nicht mehr in der Schwebe, sondern war geerdet wie die Gitterstäbe meiner Zelle. Die Wahrheit und die Wege der Natur blieben mir nicht länger verborgen. Hier sollte ich sein, was ich letzten Endes und tief in meinem Inneren immer schon gewesen war, ob ich es nun wollte oder nicht: feminin im wahrsten Sinne des Wortes.
Und dies stimmte mich durchaus nicht traurig.
Plötzlich schnellte ein weiterer großer Vogel über das Tal, dieses Mal nach rechts, von wo aus sie sich alle in die Lüfte erhoben, wie es schien.
Soweit ich es erkannte, trug dieser keine Beute, sondern Transportbehälter an langen Leinen. Der Reiter hatte keinen Panzer, das Tier war kleiner als das Gros und besaß kürzere Flügel. Solche, so sollte ich erfahren, eigneten sich besser für Ausweichmanöver, weil sie wendiger waren.
Wie waren die Männer hier? Welcher Schlag war es, der sich Waren wie mich zulegte? Wem würde ich am Ende persönlich gehören? Ich sehnte mich nach einem festen Besitzer, dem ich in Vollendung und von ganzem Herzen auf jede erdenkliche Art und Weise dienen konnte, aber hoffentlich als einziges Eigentum meiner Art. Leider, so fürchtete ich, hielten sich Männer wie diese stets mehrere wie mich. Würden sie sich überhaupt mit einer einzelnen Frau zufriedengeben? Was, wenn seine Lust oder sein Temperament mit ihm durchgingen? Ich wollte mich so geben, dass für meinen Besitzer kein Anlass bestand, sich noch jemanden zuzulegen, geschweige denn überhaupt an eine andere Sklavin zu denken. Waren wir nicht ohnehin teuer? Dies sprach doch als Argument dagegen, als Rechtehalter mehr als eine zu besitzen, wenigstens jeweils zur gleichen Zeit. Allerdings gewann ich angesichts dessen, was ich aus der Zelle mitbekam, den Eindruck, dass die Männer hier nicht zwangsweise für ihre Frauen zahlten, zumindest nicht für alle. Vielmehr schienen sie sie zu benutzen, wie sie Lust hatten.
Ich schauderte und hatte riesige Angst vor diesen Männern, die solche Monster wie diese imposanten Vögel beherrschten!
Ich war froh gelernt zu haben, wie man Seide und Halsreif trägt.
Dieser Ort, so schwante mir, war ein Adlerhorst.
Auf einmal erschrak ich und konnte einen Schrei nicht unterdrücken, als ein Tier brüllte, weil jemand ein Rohr zwischen die Gitter gesteckt hatte und gegen die Stäbe klopfte. Ich hatte nicht hingeschaut und wurde überrascht, weil ich nicht mit dem Lärm gerechnet hatte.
So stolperte ich in den hinteren Teil der Höhle und presste meinen ganzen Körper gegen die Wand, wobei ich die Hände flach gegen den Fels drückte. Es war, als versuchte ich, das Gestein wegzuschieben. Als ich über die Schulter zurückschaute, sah ich nur Schatten.
»Bitte nicht!«, rief ich in meiner Muttersprache, bevor mir frustriert klar wurde, dass ich mir mit diesem Rückfall eine Tracht Prügel einhandeln konnte. Ich sah das Tier gleich vor dem Portal lauern: schwer, groß und lang, den sechsbeinigen Körper niedrig über dem Boden, ein dreieckiger Kopf wie eine Viper. Neben ihm stand ein kräftiger, korpulenter Mann mit einer Halbtunika, breitem Ledergürtel und Armbändern aus dem gleichen Material. Mit der linken Hand hielt er die Kreatur an einer kurzen Leine. Das Metallrohr, mit dem er gegen die Gitterstäbe geschlagen hatte, trug er an einem Schultergurt auf den Rücken. Mit dieser Waffe hätte er jeden Gegner unschädlich machen können. An seinem Gürtel hingen ein Schlüsselbund und eine Peitsche. Das Tier schnüffelte und knurrte und die Schlüssel klingelten, als er sie vom Gürtel zog. Er trat zur Seite, und ging mit einer halben Drehung von mir aus gesehen, rechts ab, wie ich gerade noch erkennen konnte. Da er außer Sichtweite war, hörte ich jetzt nur noch, wie er sich am Portal zu schaffen machte. Anscheinend öffnete er eine Art von Paneel, steckte einen Schlüssel in ein Schloss und drehte ihn um. Der Mechanismus zur Verrieglung war von der Zelle aus nicht zu sehen, da er sich außen und, wie ich vermutete, in einer Nische mit einer Schutzplatte versehen befand. Bis zu einem gewissen Grad war ich mit solchen Konstruktionen vertraut, nachdem ich mehrmals aufgepasst hatte, wenn die Zelle am Morgen geöffnet wurde. Natürlich lag ich dann, weil das Signal des Klangstabes mich warnte, im hinteren Teil der Höhle und streckte alle Gliedmaßen von mir, sodass ich quasi ausgeliefert war. Dieser Mann verlangte dies vorerst noch nicht, also ging ich an der Wand in die Hocke und drehte mich um, damit ich besser sehen konnte. Da kam er abermals vor die Öffnung, und die Schlüssel befanden sich wieder an seinem Gürtel. Er schaute zwischen den Stäben hindurch, wobei sich unsere Blicke eine Sekunde lang begegneten. Ich schaute schnell wieder weg, weil ich es nicht ertragen konnte. Die Leine nahm er jetzt in die rechte Hand, um sich zu bücken und die linke Hand unter das Gitter zu schieben. Mit einer einzigen Bewegung und einem metallischen Kratzen wuchtete er es nach oben. Ich staunte nicht schlecht, denn dazu bedurfte es augenscheinlich großer Kraft, doch er hatte es ohne Mühe vollbracht. Vermutlich war er oder ein anderer von seiner Fasson zuvor mit den Frauen gekommen. Das Tier senkte seinen Kopf und trat rasch, aber vorsichtig, mit kaum mehr als einer Pfote vorwärts. Ich stöhnte; bestimmt war es effektiv abgerichtet worden, und falls nicht, konnte der Mann es hoffentlich festhalten. Sicher konnte ich mir diesbezüglich nicht sein, denn das Tier war deutlich schwerer und größer als er, zumal es über sechs Klauen verfügte. Die Leine konnte doch nicht reißen oder? Es knurrte immer noch. Ich warf seinem Halter – vielleicht auch meinem? – einen machtlos flehenden Blick zu, aber dem Vieh in die Augen zu sehen, wagte ich nicht, aus Angst, so einen Angriff zu provozieren. Es hätte mich glatt in Stücke gerissen oder in zwei Hälften zerbissen.
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