Es genügt, dass solche wie ich, diese Logik verstehen, andere tun es nicht.
Wer bereits den Gesetzen unterworfen war, begreift es, andere nicht.
Schließlich, nachdem ich auf dem Bauch ausgestreckt gegessen und getrunken hatte, ließ ich das Trockenobst für später liegen und kuschelte mich kniend in die Decke.
Es war jetzt noch kälter in der Zelle. Wie gut, dass ich die Decke hatte.
Ich realisierte, dass man sie mir jederzeit wegnehmen konnte, und hoffte, dies bliebe mir erspart. Ich wollte nicht in der Kälte auf dem Steinboden liegen, die Knie anziehen und die Arme um meinen Oberkörper schlingen müssen, weil ich nur mit der Tunika am Leib zitterte. Und die konnte man mir ebenfalls wegnehmen.
Was würde mit mir passieren? Was sollte ich tun?
Ich wusste es nicht, ich war davon ausgegangen, es gebe nichts zu befürchten.
Falsch gedacht.
Ich tastete im Dunkeln herum und stieß gegen die nächste Felswand mit ihrer körnigen Beschaffenheit.
Die Gefäße in meiner Zelle enthielten Nahrung, eines davon auch Wasser. Der größere Behälter, den ich nun links von mir sah, da ich in die Decke gehüllt Richtung Gitter schaute, war für Abfälle gedacht. Bei den Speisen in den kleineren, die beide an den Rändern abgeplatzt waren, handelte es sich wahrscheinlich um Reste aus irgendeiner Küche. Die Essensschale hatte einen Sprung, und der Abfallbehälter bestand aus einem Material, das wie Porzellan aussah. Metallhaltig war keiner der Stoffe, die man für sie verwendet hatte. Nirgendwo in der Zelle stieß ich auf Metall, das ich etwa als Werkzeug zum Graben verwenden konnte. Selbst ein Löffel blieb mir verwehrt, wenngleich mir dieser sowieso nicht geholfen hätte. Was hätte ich damit tun können, als vergeblich am Gestein zu kratzen, hinter dem ich eingeschlossen war? So kniete ich weiter im Dunkeln und drückte die Decke an mich.
Ich wusste weder, wo ich war, noch was man von mir erwartete.
In dieser Zelle war ich machtlos und bestens verwahrt. Unbekannte hatten mich vollständig in ihrer Gewalt.
Es war finster und kalt.
Was wollte man von mir? Nun bekam ich große Angst.
Plötzlich machte mein Körper sein natürliches Bedürfnis geltend, weshalb ich mich der Decke entledigte und umständlich zu dem größten Behälter krabbelte.
Wenige Augenblicke später war ich wieder auf meinen Platz zurückgekehrt.
Ich hatte den Behälter rechtzeitig erreicht. Dies ist stets wichtig, wenn man einer Strafe entgehen will. Ich hatte im Pferch gelernt, wie man solche Vorrichtungen oder andere Arten von Aborten benutzt. Falls keine zur Verfügung standen, musste man warten, oder benutzte, falls erlaubt, die hintere rechte Ecke eines Raumes.
Eine der ersten Lektionen im Pferch besteht darin, dass man sich einprägt, weder Würde noch Privatsphäre zu besitzen. Ich erinnerte mich an den Wachmann, der im Gegensatz zu den anderen, aus irgendeinem Grund, böse zu mir war und mich seine Peitsche küssen ließ. Er pickte mich mehrmals im Zorn heraus, wie es schien, um mich »auszuführen«. Dabei musste ich wiederholt an Abwasserrohren kauern und mich vor ihm erleichtern.
Obwohl ich Sklavin war, schämte ich mich dafür. Es war mir peinlich, es ausgerechnet vor dem tun zu müssen, der mir in dieser harten Welt von allen besonders am Herzen lag, der Gegenstand meiner lüsternsten und hilflos unterwürfigsten Träume war, dessen Peitsche ich meine Lippen aufgedrückt hatte! Weshalb hasste er mich so sehr? Warum zwang er mich, dies zu tun und wieso wünschte er, mich zutiefst zu beschämen, zu erniedrigen? Wollte er so an mich denken, sich so an mich erinnern – als stinkendes, armseliges Tierchen, das sein Geschäft auf Befehl vor ihm erledigte?
Falls man es darf, macht man sich selbst mit den Mitteln sauber, die gerade vorhanden sind, und diese Erlaubnis wird im Zuge hygienischer Erwägungen fast immer oder eigentlich kategorisch erlaubt. In der Zelle tat ich es, wie es vermutlich vorgesehen war, mit Stroh und Wasser. Dies ist relativ üblich, das Stroh steht dann in einem Behälter bereit, und wie man sich wäscht, lernen wir im Übrigen auch. Falls wir dem nicht nachkommen, droht die Peitsche.
Sklavinnen sind nicht mit Freien zu vergleichen. Sie müssen sich möglichst frisch, sauber und attraktiv halten sowie stets ausgeruht sein.
Nun lehnte ich mich mit dem Rücken an die Wand und deckte mich wieder zu.
Der Stoff der Decke war zwar warm, doch darunter fühlte ich mich in der erbärmlichen Tunika sehr nackt. Ich schob die Fingerspitzen der linken Hand unter den Saum der Tunika, bis ich die winzige Markierung spürte; mein Brandzeichen. Ich kam mir sehr zart und sehr verwundbar vor.
Mit einem Ruck drückte ich mich an die Wand und einen Moment lang verschlug es mir den Atem.
Der Schatten, der mich so erschrocken hatte, lauerte wieder an den Stäben. Inmitten der Dunkelheit war er eine noch dichtere Finsternis, und wie er so dastand, roch ich ihn schließlich. Er stank nach einem großen Tier und ich hörte, wie er schnaufte. Dann stieß er mit der Schnauze gegen das Gitter, woraufhin ich ein tiefes, kehliges Grollen wie zur Warnung vernahm. Ich drängte mich noch fester gegen die Wand. Endlich schritt er davon und verschwand wieder. Mein Mund klaffte offen; ich war erschüttert.
Als ich sichergehen konnte, dass er nicht mehr da war, legte ich mich noch einmal vor den Essensbehältern auf den Bauch. Ich schob den Kopf hinein und biss vorsichtig einen Teil von einem Stück Trockenobst ab. Dann kaute ich und genoss es Biss für Biss, Bröckchen für Bröckchen, obwohl es nur eine kleine Menge war. Es dauerte lange, bis ich das erste der drei Stücke gegessen hatte. Mit dem zweiten und dritten ließ ich mir ebenfalls Zeit. Solche Speisen, also geschnittene Früchte, erachten wir als sehr wertvoll. Ich hatte sie bis zuletzt aufgespart. Als ich fertig war, erhob ich mich auf Hände und Knie.
So trocken die Bissen gewesen waren, so gut hatten sie mir geschmeckt.
Ich war dankbar dafür, dass ich sie bekommen hatte.
Dann drehte ich mich auf allen vieren mit der Decke zu den Stäben um.
Fernab heulte etwas. War es der Wind oder ein Tier?
Wieder bekam ich Angst und fühlte mich einsam.
Hoffentlich waren mir die Männer hier gewogen. Ich wollte mein Bestes geben, um sie nicht zu erzürnen. Bestimmt waren sie nett zu mir – sie mussten es sein! Immerhin hatten sie mir Essen gegeben und eine Decke. Dies war der Inbegriff von Gewogenheit. Dass Tiere mich riechen konnten, war so oder so nicht zu vermeiden. Zudem durfte ich die drei Stücke Trockenobst nicht vergessen.
Dann entsann ich mich des großen Vogels und des umherstreifenden Tieres, jenes fürchterlichen Wächters auf dem schmalen Vorsprung.
Mir schwante, die Männer hier würden streng mit meinesgleichen, also mit Sklavinnen, umspringen.
Schließlich legte ich mich hin und schlief ein.
Ich lag bäuchlings mit dem Rücken zur hinteren Wand auf dem Boden der Bergzelle, hatte die Beine weit gespreizt und die Arme seitwärts über dem Kopf ausgestreckt. Aus einer solchen Position kann man sich nicht schnell erheben. Ich zählte langsam und laut bis tausend. So etwas macht man, während sich die Tür einer Zelle zum Schließen senkt, denn man weiß nicht, ob und wie lange ein Wachmann lauscht, um zu prüfen, ob sein Befehl befolgt wird. Deshalb tut man dies ruhig und klar verständlich bis tausend, dann darf man aufstehen und die Schalen mit Speisen, das Wasser sowie den frischen Abfallbehälter nehmen, die unmittelbar am Eingang deponiert worden sind. Wann man sie wieder dort abstellen muss, erfährt man anhand eines Signals: Ein hängender Klangstab irgendwo vor der Zelle wird angeschlagen, woraufhin man das leere Porzellan und den Abfall vor das Gitter trägt und eine vorgeschriebene Position am Boden einnimmt, ausgestreckt mit Blick in die Zelle hinein zum Zeichen der Hilflosigkeit. Am Morgen nach meiner ersten Nacht in der Zelle erhielt ich diese Anweisungen. Eine weibliche Stimme erteilte sie mir von draußen, doch wem sie gehörte, erfuhr ich nicht. Bisher hatte ich noch keinen meiner Wärter zu Gesicht bekommen. Ich wusste nicht, ob die Stimme einer Freien gehörte oder einer Leibeigenen, für die ich mich selbst auch weiterhin hielt, obwohl ich vorerst keine Halsfessel trug. Wahrscheinlicher schien mir Letzteres, weil freie Frauen auf diesem Planeten bestimmt keine so niederen Pflichten wie die Beaufsichtigung Gefangener übernehmen. Soweit ich wusste, nachdem ich zwei von ihnen im gepflegteren Bereich des Pferchs erlebt und meine Schlüsse aus Bemerkungen oder derben Witzen von Wachleuten gezogen hatte, waren freie Frauen bornierte, elitäre und verbitterte Genossinnen, zudem verhätschelt und herrschsüchtige. Außerdem war ich von mehreren Wärtern gewarnt worden, besonders auf mein Benehmen zu achten, wenn solche Frauen zugegen waren, da sie sich daran erfreuten, sadistische Neigungen auszuleben, kleinlich und jähzornig gegenüber meinesgleichen zu sein, da sie uns aus sicherlich nachvollziehbaren persönlichen Gründen verschmähten und auf das Äußerste hassten.
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