Eta rief nach mir. Jetzt sah ich nur wieder das glanzlose Mädchen im Spiegel, die Schönheit im Sklavenleibchen. Sie trug keinen Schmuck, sondern bloß ein paar Quadratzoll Stoff, der sich straff über ihr Teuerstes spannte. Sie war keine hohe Sklavin in verschnörkelter Kleidung; sie hatte nur einen Fetzen an; sie war eine niedere Sklavin.
Ich sprang auf und lief zu Eta.
Sie kniete bereits, also gesellte ich mich zu ihr. »La Kajira«, sprach sie und meinte sich selbst. »Tu Kajira.« Dabei verwies sie auf mich.
»La Kajira«, wiederholte ich, indem ich auf mich zeigte, dann auf sie: »Tu Kajira.« Ich bin eine Sklavin, du bist eine Sklavin.
Eta lächelte. Sie zeigte auf ihr Brandmal. »Kan-lara«, erklärte sie. Meines nannte sie »Kan-lara Dina«. Ich sprach ihr diese Worte nach.
»Ko-lar«, fuhr sie fort, womit sie sich auf ihren Halsreif bezog.
»Das Wort gibt es auch auf der Erde!«, rief ich.
Sie verstand nicht, weshalb ich mich so freute. Später erläuterte man mir, dass es im Goreanischen zahlreiche Ausdrücke gibt, die Sprachen von der Erde entlehnt wurden, aber ich kenne mich zu wenig in Philologie aus, um einschätzen zu können, wie hoch der Prozentsatz ist. Gut möglich, dass sich nahezu alle goreanischen Wendungen auf die eine oder andere von der Erde zurückführen lassen. Nichtsdestotrotz handelt es sich dabei um eine flüssige, vielfältige und expressive Sprache. Fremde Elemente werden im Falle von Lehnwörtern gemäß der Linguistik generell durch die Zielsprache eingefärbt; mit der Zeit schleifen sich diese Anleihen sozusagen ein und werden zum festen Bestandteil des anderen Sprachsystems. Es gibt ja auch Fremdwörter wie »Automobil«, »Sekunde« oder »Addition«, die niemand mehr für solche hält.
»Collar!«, sagte ich.
Eta runzelte die Stirn. »Ko-lar«, betonte sie noch einmal und zeigte auf den Stahlreif an ihrem Hals.
»Ko-lar«, sprach ich und ahmte den Laut genau nach. Dies akzeptierte sie nun.
Dann zupfte sie an dem unzureichenden Tuch, das sie trug. »Ta-Teera.« Ich schaute an mir hinunter auf das empörend kurze Stück – so skandalös, so beschämend und angemessen nur für eine Sklavin – in dem ich dort kniete. Dann lächelte auch ich: Mir war eine Ta-Teera angezogen worden. »Ta-Teera«, wiederholte ich. Ich trug eine Ta-Teera.
»Var Ko-lar?«, fragte Eta.
Ich zeigte auf ihren Halsreif.
»Var Ta-Teera?«, fügte sie strahlend hinzu.
Daraufhin richtete ich den Finger auf meine knappe Kleidung. Eta wirkte erfreut. Sie hatte eine Reihe von Gegenständen nebeneinandergelegt. Mein Unterricht in Goreanisch war nun im vollen Gange.
Ich platzte stammelnd heraus: »Eta ... var ... var Bina?«
Eta schaute mich verwundert an.
Ich entsann mich der beiden Männer, die zu dem Felsbrocken mit der Kette daran gekommen waren. Var Bina! Var Bina Kajira!, hatten sie geäußert. Ich war nicht imstande gewesen, es zu übersetzen, also auch zu keiner Antwort. Deshalb hatten sie mich geschlagen, was nichts daran änderte: Ich konnte sie nicht verstehen. Dann hatten sie mir beinahe die Kehle durchgeschnitten. Nachdem der Mann in der dunkelroten Tunika über die Wiesen gekommen war, hatte er Kajira canjellne gesagt, einen Kampf provoziert und mich dabei gewonnen. Ich war in dieses Lager gebracht und gebrandmarkt worden. Jetzt besaß er mich als Sklavin.
»Var Bina, Eta?«, fragte ich.
Eta stand auf und ging zur Höhle. Wenige Augenblicke später kam sie wieder heraus. In den Händen hielt sie mehrere Perlenketten, schlichten Halsschmuck mit kleinen, bunten Kugeln aus Holz daran. Sie hatten keinen großen Wert.
Damit ich sie sehen konnte, hielt sie die Sachen hoch. Dann drehte sie die Perlen am Faden, winzig, in vielen Farben und rund.
»Da Bina«, sagte sie grinsend. Sie hielt sich die Ketten selbst vor. »Bina«, meinte sie abermals, da verstand ich, dass sich das Wort auf die Kugeln oder eine Perlenkette beziehen musste. Der Schmuck, den Eta für mich gebracht hatte, war eine Komposition an Farbe und Anziehungskraft, allerdings einfach und wohl kaum etwas wert.
Ich ging selbst zur Höhle, und Eta folgte mir. Nachdem ich den Deckel einer Kiste hochgeklappt hatte, entnahm ich eine Perlenkette, dann eine aus Gold und eine dritte, die mit Rubinen besetzt war.
»Bina?«, fragte ich jeweils.
Eta lachte. »Bana«, berichtigte sie. »Ki Bina, Bana.« Daraufhin kramte sie noch zwei Ketten aus der nächsten Truhe, eine mit billigen Glaskugeln daran, die andere wieder mit einfachen Holzperlen. Sie zeigte auf die beiden.
»Bina«, sagte sie, indem sie sie hochhielt.
Bina waren also minderwertige Schmuckstücke, Strass oder Tand mit einzig ästhetischem Charme. Tatsächlich sprach man auch, wie ich bald beigebracht bekam, abfällig als »Kajira bana« von ihnen. Übersetzen lässt es sich wohl am treffendsten als »Sklavenperlen«. Sie waren nicht kostbar, sondern boten sich hier und dort bloß als günstige Schmuckstücke an, die geknechtete Mädchen anziehen durften.
Eta und ich kehrten nach draußen zurück, um mit dem Unterricht fortzufahren.
Ich begriff immer noch nicht, was an dem Felsen mit der Kette vorgefallen war. Var Bina! Var Bina, Kajira!, hatten die Männer verlangt. Bina beziehungsweise Sklavenperlen waren ihnen mehr wert gewesen als mein Leben. Nicht ich war ihnen wichtig gewesen, sondern der Tand. Als sie eingesehen hatten, dass ich ihnen nicht bei ihrer Suche helfen konnte, wurde ich als nutzlos angesehen und wäre fast beseitigt worden. Ich erschauderte in Gedenken, wenn ich an das Messer an meiner Kehle dachte. Nur knapp war ich von dem Kämpfer gerettet worden, der mich jetzt als Sklavin besaß. Bevor ich eindeutig über das Wesen der Bina aufgeklärt worden war, hatte ich geglaubt, die Männer seien womöglich davon ausgegangen, dass ich behangen mit irgendwelchem seltenen, teuren Flitter an den Felsen gekettet worden war, etwa einem Halsreif, der ein Vermögen kostete. Vielleicht hatten sie dies gewollt. Deshalb war ich entweder nicht derart ausgestattet dort zurückgelassen worden, oder jemand hatte mich wider ihrer Erwartungen früher als sie gefunden und mir den Schmuck in meiner wehrlosen Ohnmacht einfach genommen, ihn von meinem angeketteten Leib gerissen. Zurückgeblieben war ich vielleicht nur wegen der Kette, die sich nicht ohne Weiteres losmachen ließ, oder weil mich der Dieb nicht brauchte. Hätte ich so einen Halsreif tragen sollen, erschien es mir jetzt aber unwahrscheinlich, zuvor keinen erhalten zu haben, und genauso widersinnig, dass jemand in jener Wildnis aufgetaucht war, um ihn zu stehlen, während ich angekettet dagelegen hatte. Die neue Einsicht, wie wertlos Sklavenperlen waren, beunruhigte mich zutiefst. Nun ergab es gar keinen Sinn mehr, dass die beiden so wütenden, erbitterten Männer auf der Suche nach solch trivialem Kram gewesen waren. Was mochte eine Kette mit Sklavenperlen schon bringen? Weshalb hätte man sie mir überhaupt angelegt haben sollen und wohin, falls dies stimmte, waren sie verschwunden? Wer wollte denn so etwas haben? Wieso hätte sich jemand durch die Einöde schlagen sollen, um es an sich zu nehmen? Was war so wichtig daran? Steckte ein Geheimnis dahinter? Ich verstand rein gar nichts.
Eta zog eine dicke Peitsche mit langem Griff hervor, die man beidhändig schwingen konnte. Sie bestand aus fünf herabhängenden Schnüren, weich mit jeweils breiter Angriffsfläche, die etwa ein Yard lang waren.
»Kurt«, nannte sie sie.
Ich erschrak und wiederholte das Wort: »Kurt.«
Dann zeigte sie mir mehrere aufgewickelte Ketten; dabei handelte es sich um miteinander verbundene Fesseln für Hand- und Fußgelenke und den Hals, mit einem Schloss. Sie hingen an einer glänzenden Kette zusammen, die von dem Halsreif ausging, und sah ganz reizend aus. Für einen Mann war sie zu klein, doch dass sie mir passte, und zwar perfekt, erkannte ich gleich.
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