1 ...7 8 9 11 12 13 ...38 Er nahm seinen Marsch wieder auf – ich ebenso, acht oder neun Fuß dahinter mit seinem Schild, der Tasche und dem Schlauch. Vermutlich hätte es mir etwas ausmachen sollen. Mir war klar, dass ich mich von ihm führen ließ. Es kam mir komisch vor; so wenig begriff ich von dem, was gerade geschah. Ich war nackt und in Ketten auf einem fremden Planeten erwacht. Männer hatten sich an dem Felsbrocken eingefunden, wo ich festgehalten wurde. Da sie mit einem Schlüssel gekommen waren, hatten sie mich bestimmt abholen wollen, doch wer hatte mich dort für sie zurückgelassen, und was war ihr Begehr gewesen? Sie hatten mich verhört und verprügelt. Das Wort Bina war häufig gefallen, wenn sie mich etwas fragten. »Var Bina!«, hatte ihre Aufforderung gelautet, die ich natürlich nicht verstanden hatte. Danach hatten sie sich verärgert darauf vorbereitet, mir die Kehle durchzuschneiden. Zufällig war ich von einem anderen Mann, bewaffnet und geübt, den es gerade zur richtigen Zeit über die Felder getrieben hatte, gerettet worden. Er war, wie ich aus dem Verhalten meiner Häscher herauslas, völlig unerwartet und ungebeten aufgekreuzt. Ging ich von seiner eigenen Reaktion aus, so hatte er nichts von den beiden, die er antraf, gewusst und sich wahrscheinlich so benommen, wie er es angesichts jedes anderen seiner Art – in Rot gekleidet, behelmt und wehrhaft – auch getan hätte. Ich hegte den Verdacht, Teil eines Plans, einer Hinterlist gewesen zu sein, die mein Fassungsvermögen überstieg und nur per Zufall hinfällig geworden war. Was aber bedeutete das Wort Bina? Ich ging davon aus, dass man damit gerechnet hatte, ich trage irgendetwas bei mir, doch soweit ich sagen konnte, war dem nicht so. Soviel ich wusste, war nur ich dort gewesen, nackt und angekettet, im Gras, vor einem Granitstein unter freiem Himmel. Der Plan war vielleicht schon vor der Ankunft der beiden Männer an dem Felsen sabotiert worden oder von selbst gescheitert. Ich konnte es nicht wissen; hatte von nichts einen Begriff. Genauso gut mochte noch nichts entschieden sein. Eventuell trug ich gerade in diesem Moment ein Geheimnis bei mir, das den beiden Männern entgangen war. Gut möglich, dass sie nicht verstanden hatten, auf welche Weise ich von Nutzen war, weil sie nur über unvollständige oder falsche Informationen verfügten. Jedenfalls maßte ich mir an, als Mittel eines Zweck zu dienen, den ich zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht erfassen konnte. Meine Rolle oder Aufgabe ließ sich weder erklären, noch überhaupt verstehen, falls sie mir auf dieser Welt überhaupt zufiel. Wäre ich bloß als nacktes Weib hergebracht worden, erschien es mir sinnlos, inmitten der Wildnis ausgesetzt worden zu sein. Von dem ausführlichen Verhör, dem man mich unterzogen hatte, ganz zu schweigen; außerdem drängte sich die Frage auf, weshalb die Männer in ihrem Zorn kurz davor gewesen waren, mich zu töten, falls ich ihnen auf diesem Planeten einen eindeutigen Nutzen erbringen sollte, beispielsweise mit meiner Schönheit. Dass ich eifrig alles getan hätte, was sie verlangten, und nur zu gern in ihren Dienst getreten wäre, konnte ihnen doch nicht entgangen sein. Hätte es sich nur um meine Schönheit gedreht, wäre ihr Verhalten fürwahr ein völlig anderes gewesen. Ich erschauderte, als ich mich der kalten Klinge an meiner Kehle entsann.
Dann war der Fremde dazu gekommen.
»Kajira canjellne«, hatte er gesagt. Ich wurde der Kette und des Halsreifs entledigt. Der eine hatte einen Kreis auf den Boden gezeichnet und dort hatte man mich hineingeworfen. Ich kniete darin und schaute den Männern beim Kämpfen zu.
Dem daraus hervorgegangenen Sieger folgte ich nun, nackt und gefesselt, mit seinem Schild auf dem Rücken. Ich dachte an seine Macht und Erbarmungslosigkeit, sein Geschick und seine Kraft. Als er vorausging, bewunderte ich seine breiten Schultern. Ich erinnerte mich daran, wie ungezwungen und vermessen er mich nach seinem Sieg untersucht hatte.
Jetzt trug ich seinen Schild. Ich ging links hinter ihm her. Vermutlich hätte es mir etwas ausmachen sollen. Mir war klar, dass ich mich von ihm führen ließ. Ich dachte darüber nach. Während es auf der Erde undenkbar gewesen wäre, dass ein Mann über solche Stärke und Macht verfügte, dass ihm eine Frau unterwürfig hinterherlief, lag es auf dieser Welt durchaus im Bereich des Möglichen und wirkte kein bisschen seltsam. Die Männer hier erwiesen sich als stark genug, um sich einer Frau so zu bemächtigen. Einstweilen fühlte ich mich sexuell zutiefst erregt und auch hocherfreut darüber, eine Frau zu sein. Männern wie ihnen – den ersten beiden genauso wie jenem, dem ich nun folgte, dem Überlegenen unter ihnen – war ich noch nie begegnet. Sie vermochten es, sich ohne weiteres und gedankenlos, einer Frau zu bemächtigen. Nein, so jemanden hatte ich noch nie getroffen, ja, nicht einmal geahnt, dass es derartige Männer überhaupt geben konnte! Früher war ich mir nie so ausgesprochen weiblich, lebendig und wirklich vorgekommen und so in höchstem Maß erregt wie in dem Beisein dieser Männer hier. Zum ersten Mal in meinem Leben verschaffte es mir Genugtuung, eine Frau zu sein.
Dann schalt ich mich selbst wegen solcher Gedanken. Männer und Frauen, so hatte man es mir beigebracht, waren gleichgestellt. Biologie und die Natur, das Produkt strenger und unwirtlicher Evolution in Tausenden von Generationen sowie die Zeit, Zucht und tierische Entwicklung bedeuteten nichts. Sie mussten außer Acht gelassen und als nichtig abgetan werden. Daraus ließen sich nur politisch inkorrekte Schlüsse ziehen.
Ich blickte zu den drei Monden auf.
Ich wusste nicht, was ich glauben oder wie ich jetzt weiterleben sollte. Dessen ungeachtet aber, während ich dem Mann im Licht der atemberaubenden Monde auf seinem Weg durch das saftige Gras folgte, seinen Schild trug und mich praktisch führen ließ wie ein Haustier – seine Gefangene, nackt und gefesselt – tat sich mir widersinnigerweise ein fantastisches Gefühl von Freiheit und psychologischer Enthemmung auf. Ich wollte am liebsten zu ihm laufen und meinen Kopf an seine Schulter lehnen.
Stundenlang streiften wir über die Wiesen.
Zuweilen fiel ich hin. Er blieb meinetwegen nicht stehen, also raffte ich mich so schnell ich konnte auf, torkelte unter dem Gewicht des Schildes und lief weiter, um zu ihm aufzuschließen. Irgendwann aber konnte ich nicht mehr. Mein Körper, jener eines einfachen Mädchens von der Erde, war nicht auf so lange Märsche vorbereitet. Ich atmete immer flacher und hatte weiche Knie. Nachdem ich mich ins Gras gelegt hatte, konnte ich mich nicht mehr rühren. Ich lag auf einer Seite, während der Schild gegen meine Schulter drückte. Nach einer Weile bemerkte ich, dass er neben mir stand und auf mich herunterschaute. Ich blickte zu ihm auf und bemühte mich um ein Lächeln.
»Ich kann nicht mehr weitergehen«, gestand ich.
Bestimmt erkannte er, wie erschöpft und ratlos ich war, nicht einmal mehr in der Lage, mich zu bewegen. Ich sah, dass er seinen Gürtel öffnete. Beschwerlich stand ich doch wieder auf. Er zeigte sich unzufrieden. Oh, fast hätte er mich geschlagen! Aber nein, er schloss die Schnalle wieder und drehte sich um. Ich folgte ihm.
Gegen Morgen überquerten wir einen Bachlauf. Das Wasser plätscherte kühl gegen meine Knöchel und Waden. Flankiert wurde er von Gestrüpp und vereinzelten Bäumen. Diese standen jetzt auch zwischen den Feldern, darunter viele mit flachen Kronen. Etwa eine Stunde vor dem Morgengrauen, wie ich schätzte, blieb er vor einem dichten Gehölz in der Nähe eines seichten Flusses stehen. Er nahm mir die Tasche und den Trinkschlauch vom Hals, dann den Schild vom Rücken. Ich ließ mich zwischen den Bäumen in das Gras fallen. Noch während ich die Handgelenke ein wenig drehte, schlief ich ein, doch schon im nächsten oder übernächsten Moment – länger kam es mir nicht vor – rüttelte er mich wach. Ich wurde mit einer Handvoll Trockenfleisch gefüttert, das er in kleine Stücke geschnitten hatte. Ich kaute, während ich auf der Seite lag, und schluckte es hinunter. Ich hatte gar nicht gemerkt, wie hungrig ich war.
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