1 ...6 7 8 10 11 12 ...20 Ich erinnere mich, dass ich in Macao mal einen langstieligen Kelch gesehen hatte, der in der Tat so ein „Opfer der Schönen“ war!
In dieser Stadt gibt es so viele Geschichten von Blut und Tränen, dass sich die Seele Böttgers im Himmel nicht einsam fühlen muss. Eine religiöse Prozession habe ich noch keine gesehen, aber ich habe in den Tempeln der unterschiedlichen Götter des Feuers und des Windes Räucherstäbchen für Böttger angezündet und den zahlreichen Göttern des Porzellans damit meine Verehrung ausgedrückt.
Die Stadt ähnelt einem wütenden Drachen. In Dresden hatte ich mal ein rot glasiertes Teeservice aus China gesehen. Oben war ein sich im Himmel tummelnder Drache abgebildet, der Rauch und Feuer spuckte. Der brennende Himmel über Jingdezhen befeuerte meine Leidenschaft und Inspiration. In einer Wolke am Horizont sah ich das Gesicht Helenas. Sie schien mich zu tadeln, dass ich mich so weit von ihr entfernt hatte. Oder war es nur ein Trugbild? Abwesend ließ ich meinen Blick über den Himmel schweifen und vergaß die Zeit.
Später betrat ich das kreuz und quer verlaufende Straßengewirr der Stadt. Die Häuser stehen dicht gedrängt und die Straßen sind eng. Unentwegt hallen die Rufe der Träger durch die Gassen, die zahlreiche Lagen Porzellan an die Tragestangen gehängt haben. Sie bewegen sich flink durch die Menschenmassen und sind damit so vertraut, dass keiner von ihnen im Geringsten fürchtet, mit anderen zusammenzustoßen. An ihrer statt brach mir der kalte Schweiß aus.
Ich betrat eine etwa zweihundert bis dreihundert Meter lange Straße mit Porzellanläden in der Nähe des „Huangjiazhou“ genannten Viertels. Dort gab es alle nur erdenklichen Arten von Gefäßen mit Dekors von lebendiger Frische. Die Vielfalt neuen und alten Porzellans ließ mir die Augen überlaufen. In jedem Geschäft betrachtete ich sorgfältig die Waren. Ich erfuhr, dass es am Hafen noch einen Porzellanmarkt gäbe, und machte mich eilig auf den Weg dorthin. Als ich ankam, befand sich die Menge in einem hektischen Aufbruch und wollte sich in alle Winde zerstreuen. Einem der Händler, der sich gerade seine Stange auflud, um zu verschwinden, stellte ich mich in den Weg.
„Was ist passiert? Warum laufen alle weg, als sei der Teufel hinter ihnen her?“ Ich hielt den Händler fest, der mir in die Arme gelaufen war.
„Ai! Die Yamenläufer kommen und nehmen Leute fest“, schrie der Mann, gerade als die Läufer und Reiter des Yamens 2abdrehten und in eine andere Richtung liefen. Langsam beruhigte er sich wieder. „Weißt du das denn nicht? Diese korrupten Beamten nennen es Untersuchung, aber in Wirklichkeit wollen sie nur Vorteile für sich rausschlagen.“ Der Mann war eine Plaudertasche, und dass ein ausländischer Teufel Interesse zeigte, bestärkte ihn in seiner Redelust.
„Aber nach was suchen sie denn?“
„Sie sagen, es sei verboten, altes Porzellan herzustellen, aber wie wollen sie erkennen, welches Porzellan alt ist? Sie verstehen doch nichts davon.“
„Darum geht es also?“ Ich war ein wenig enttäuscht, weil ich etwas Spektakuläreres erwartet hatte. Der Mann stellte seine großen Körbe ab, entfernte ein dickes Tuch und präsentierte mir sein Porzellan. Er sagte, er sei einer der fliegenden Händler, die im lokalen Dialekt „Korbträger“ genannt werden und nur im kleinen Stil Porzellan verkaufen.
„Es ist auch verboten, Seqing-Porzellan zu verkaufen.“
„Was ist das?“ Mir fiel nicht ein, was die beiden Zeichen Seqing bedeuteten.
„Aiya, Sie wissen ja eine ganze Menge nicht! Sehen Sie her!“, prustete der Händler los und wickelte einige wohlverstaute Waren aus ihren Tüchern. „Dieses hier zum Beispiel, das läuft sehr gut. An einem Tag verkaufe ich mehrere davon.“ Er übergab mir ein Stück Porzellan und beobachtete aufmerksam meine Reaktion. Ich war kein bisschen überrascht. Schon bevor ich nach China gekommen war, hatte ich einige davon gesehen, die sogar noch plumper gemacht waren. Es war ein zweiteiliges Weingeschirr aus Porzellan, bestehend aus einem Weinkrug und einem Becher. Wenn man sie zusammensteckt, zeigen sie Mann und Frau in coitus. Spielerisch nahm ich es hoch, aber nach einer Weile konnte ich nicht mehr an mich halten und brach auch in Gelächter aus.
„Was soll diese Spielerei denn kosten?“
Er antwortete ausweichend und schien mehr Interesse an mir als am Verkauf zu haben.
„Westlicher Herr, Sie sprechen so gut Chinesisch. Aus welchem Land kommen Sie?“, fragte er mich neugierig.
In diesem Moment fiel ich auch anderen Marktbesuchern auf und sie bildeten peu à peu einen Kreis um mich, um einen guten Blick auf den Ausländer werfen zu können. Ich stellte mich der uns umgebenden Menge kurz und schlicht vor und betonte meine Begeisterung für Porzellan.
„Ich muss jetzt erst noch arbeiten, aber wenn Sie später Zeit haben, könnten Sie ein Weilchen zu mir kommen und Tee trinken. Ich würde dann die Gelegenheit nutzen, Ihnen das großartige Porzellan Chinas näherzubringen.“ Er sagte, er heiße Wang und erklärte mir sorgfältig den Weg zu seinem Haus. Schließlich lieh er sich Papier und Pinsel von einem Wahrsager auf dem Markt und malte mir den Weg in wenigen Strichen auf.
Als ich allein durch die Porzellanstraßen bei Huangjiazhou streunte, bewunderte ich vielerlei Porzellan, das ich noch nie zuvor gesehen hatte. In diesen Straßen wird jedes erdenkliche Porzellan angeboten, so dass man sich einfach nicht sattsehen kann. Ich war derart begeistert, dass ich mich einmal bei einem Mann entschuldigte, der mir auf den Fuß gestiegen war. Er war völlig entgeistert. Die Waren waren leuchtend gefärbt und kühn gestaltet. Manche wirkten auf den ersten Blick etwas plump, waren bei genauerer Betrachtung jedoch ebenso bewegend. Von den Verkäufern erfuhr ich, dass diese Porzellane von einfachen Handwerkern hergestellt werden. In Europa nennt man sie Kraak.
„Das Porzellan aus den privaten Öfen ist nicht unbedingt schlechter als das aus den offiziellen. Manchmal ist es sogar besser“, versicherte mir ein Händler sachlich. Aber es war klar, dass er damit nur den Preis treiben wollte. Ich stöberte interessiert durch seine Waren, von denen manche vielleicht sogar alt waren.
„Das ist blauweißes Porzellan aus der Yuan-Dynastie.“ Er deutete auf eine Schale. Er fragte mich, ob mir die Yuan-Dynastie ein Begriff sei, und als ich bejahte, streckte er überrascht die Zunge raus. Nach einer Weile fragte er, ob ich auch wüsste, was die Longquan- und die Zhanggongxiang-Öfen seien. Diesmal war ich an der Reihe, den Kopf zu schütteln. „Das hier, das ist aus dem Longquan-Ofen.“
„Ah! Und wo ist das her?“, schrie ich unvermittelt heraus. Ich konnte es nicht fassen, es war unglaublich. Genau neben dem Porzellan, auf das er gedeutet hatte, entdeckte ich plötzlich ein Stück aus Meißen. Es war ein Teil aus dem für den Grafen Heinrich von Brühl hergestellten Schwanenservice. Die Sauciere hatte die Form eines Schwans, den ein Engel umarmt. „Ist das ein Original?“, fuhr ich fort, ihn zu befragen.
Er nickte mehrfach. Der Händler schien die Bedeutung dieses Stücks nicht zu begreifen.
„Wo kommt es her?“ Ich fragte ihn wiederholt, ohne eine eindeutige Antwort zu erhalten.
„Vielleicht aus Kanton.“
Kanton? Ich kaufte das Gefäß umgehend.
Natürlich konnte es kein Original sein. Obwohl das Service einige Dutzend Mal hergestellt worden war, stand es nicht zum freien Verkauf. Abgesehen vom Haushalt des Grafen von Brühl befindet sich davon noch ein Exemplar im Zwinger. Auf ein weiteres hatte mich Meißens leitender Modelleur Johann Joachim Kändler heimlich mal einen Blick werfen lassen. Außerdem befinden sich auf der Unterseite jedes Originals aus Meißen die zwei blauen, sich kreuzenden Schwerter. Die weiße Unterseite dieses Gefäßes war völlig blank. Solange ich auch darüber nachdachte, konnte ich mir doch keinen Reim darauf machen, wieso dieses Stück in China aufgetaucht war. Sollte jemand ein Original nach China gebracht haben, um es hier zu kopieren? Wenn nicht, wie könnten die Chinesen es nachgemacht haben? Warum wurde es kopiert? Von wem? Und weiß Meißen davon?
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