Will Berthold - Die Nackten und die Schönen

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Keine deutsche Stadt ist so sehr das Markenzeichen für die nationale Wirtschaftskraft wie Frankfurt am Main. Seine gläsernen Bankpaläste machen das jedermann klar. Messen, Konferenzen haltern die Stadt in Atem. Und wer das große Geld ausgibt, hat gerne auch schöne Frauen um sich. Das ist die Welt, in der Evamarie Dutscheweit wiederum zu den Besten zählt. Das äußerst attraktive Callgirl hat sich auf Manager der Hochfinanz spezialisiert und genießt ein Leben im Luxus. Bis zu dem Nachmittag, an dem sie erwürgt in ihrer Wohnung aufgefunden wird. Die Polizei geht mehreren Spuren nach, aber eine steht im Vordergrund: Hat Evamarie ihre Kunden erpresst? Dass in diesem Fall der Täter aus den besten Kreisen kommen könnte, erschwert die Arbeit der Ermittler. Denn unter keinen Umständen darf die deutsche Wirtschaftsmetropole in Verruf geraten.-

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Will Berthold

Die Nackten und die Schönen

Roman

SAGA Egmont

Die Nackten und die Schönen

Genehmigte eBook Ausgabe für Lindhardt og Ringhof Forlag A/S

Copyright © 2017 by Will Berthold Nachlass,

represented by AVA international GmbH, Germany ( www.ava-international.de).

Originally published 1988 by Goldman Verlag, Germany.

All rights reserved

ISBN: 9788711727010

1. Ebook-Auflage, 2017

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt og Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.comund Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk– a part of Egmont www.egmont.com

1

Frankfurt, des deutschen Wunders liebste Stadt: Wuchtige Geldpaläste liegen nebeneinander wie Zwingburgen, als beherrschten die Banken die Bürger, von deren Geld sie leben. Die Dächer der Hochhäuser ritzen das tiefliegende Gewölk. Nach einem plötzlichen Schlechtwettereinbruch zeigt sich der Himmel über der Rhein-Main-Ebene an diesem frühen Septembertag niedrig wie eine Affenstirn.

Das verspätet gemeldete Sturmtief zieht so schnell nach Osten weiter, als flüchte es vor Main-Babel. Die zwölf Jahre seit Kriegsende haben die einstmals Freie Reichsstadt bis zur Unkenntlichkeit verändert. Typisch für die Platznot in der Innenstadt ist die Misere, daß ein Außenbüro der Staatsanwaltschaft und ein Bordell zu beider Mißvergnügen Wand an Wand miteinander auskommen müssen. Der einst so idyllische Geburtsort Goethes ist zur meistamerikanisierten Stadt Deutschlands geworden, Mainhattan gewissermaßen.

Der Umschlagplatz wirtschaftlicher Macht hätte vermutlich auch den Aufstieg zur politischen Hauptstadt der Bonner Republik geschafft, wäre es in ihren Gründerjahren nicht zu einem nie ganz geklärten Schmierölskandal gekommen. Nun muß sich die Main-Metropole damit begnügen, die zweite Geige zu spielen, wenn auch virtuos. Messen, Ausstellungen und Kongresse jagen einander in Bankfurt – und Amazonen der Halbwelt jagen nach Einbruch der Dunkelheit in schnittigen Sportwagen die Repräsentanten von Handel und Wandel. Ihr Revier ist die große Verkehrsader vom Hauptbahnhof zur Hauptwache, eine bekannte Geschäftsstraße, die nach dem Krieg ausgerechnet in der Hochburg des Kapitals nach einem Sozialdemokraten benannt worden war. Nunmehr heißt die Einkaufsallee wieder Kaiserstraße, und motorisierte Strichdamen sind ihre unaristokratischen Prinzessinnen, Nepper, Schlepper und Zuhälter ihr Hofstaat.

Zeitungen nennen Mainhattan gelegentlich auch das »deutsche Chicago«.

Heute blasen die PS-Lotteramazonen zum Halali auf Filmleute der ersten Garnitur. Einige hochkarätige Zelluloidzaren sind während der Spitzentagung in der Nobelherberge an der Kaiserstraße abgestiegen und fachsimpeln am späten Abend in der Lipizzaner-Bar weiter, Traumfabrikanten, die in dieser Zeit noch märchenhaft verdienen. Die einzigen Schlangen, die es ein Jahrzwölft nach dem Zweiten Weltkrieg noch gibt, stehen vor den Kinokassen. Zwar sind den Filmherstellern auch einige künstlerisch wertvolle Streifen gelungen, aber die meisten Filme dienen dem Massenkonsum, und so verspotten die aufstrebenden und bislang erfolglosen Jungfilmer ihre Machart als »Papas Kino«. Aggressive Kritiker titulieren die Filmindustrie verächtlich als Schnulzenkartell.

Es wirft für Produzenten und Verleiher Millionengewinne und für die Stars hohe Gagen ab. Noch braucht das Monopol das Fernsehen als Konkurrenz nicht zu fürchten. Das Pantoffelkino steckt noch in den Kinderschuhen, ist so klein wie seine Bildschirme. Es fehlt das Geld, die Planung wird vorwiegend von Hörfunkleuten gemacht, die keine Erfahrung mit der optischen Gestaltung haben. Das Programm wirkt so eintönig und einfallslos wie die TV-Geräte der ersten Generation. Zudem werden Stars und Schauspieler, die sich dem neuen Medium zur Verfügung stellen, von der Filmindustrie mit künftigem Boykott bedroht. Noch kann man sich, wie der Erfolgsproduzent August Walter Gärig – gedrungen, gewichtig, übergewichtig – feststellt, »beim Kintopp dumm und dusselig verdienen«.

In der ganzen Flimmerbranche gilt der Aufsteiger als der Mann mit der besten Nase, und diese Nase ist seine Muse. Er pfeift auf die Kritiken und macht Kasse. In seinen Flimmerstreifen gibt es keine Probleme, sondern allenfalls Mißverständnisse, die sich immer gegen Ende klären.

Der smarte Traumfabrikant, Chef der nach ihm benannten AUWAG-Film, von seinen engeren Geschäftspartnern »Auwa« gernannt. ist fast immer umgeben von den Nackten und den Schönen, jungen Starlets und ehrgeizigen Statistinnen, wie sie sich vor den Studios herumtreiben und bereit sind, sich durch Körpereinsatz hochzudienen, um vielleicht so berühmt zu werden wie Romy Schneider, die Schell oder die Leuwerik, die es allerdings ohne solche Gunstbeweise geschafft haben.

Illustrierte, das »Groschenblatt«, die Regenbogenpresse und ein halbes Dutzend spezieller Filmzeitschriften versorgen die Konsumenten mit Tratsch und Indiskretionen, verkuppeln die Filmsternchen mit glückbringenden Filmemachern. Der Starkult wird zur Allerweltsübung. Nicht nur jugendliche Fans versuchen, ihren Leinwandleitbildern zu folgen und wie Dieter Borsche zu gehen, wie Willi Forst zu charmieren, wie Curd Jürgens zuzupacken oder sexy zu sein wie Nadja Tiller, ladylike zu wirken wie Winnie Markus oder auch wie O. W. Fischer bedeutungsschwer vor sich hinzugrübeln.

Der Rummel bestimmt den Massengeschmack, zeigt Wirkung: Eines der Hochglanzprodukte im Dienst der Zelluloidheldenverehrung nennt sich »Film und Frau« und berieselt Aufstreberinnen wie Arrivierte tonnenweise mit »Goldstaub«, so nennt sich die vielgelesene Kolumne. Die Filmmogule wie der weit weniger fotogene AUWAG-Produzent sorgen schon dafür, daß für ihn genügend Sternschnuppen abfallen.

Gärig sitzt ein wenig abseits von den anderen neben Gremlitzka, dem Geschäftsführer des Luna-Verleihs, der viele seiner Streifen heraus- und manche seiner Eroberungen als Kleindarstellerinnen bei der AUWAG-Produktion unterbringt.

»Toll, daß ›Liebe am Lago‹ termingerecht fertig geworden ist«, lobt der schlanke Endvierziger mit der Amerika-Erfahrung. »Und du meinst, du bringst den Streifen schadlos durch die Filmselbstkontrolle?«

»Klar – bis auf die Nacktbadeszene. Die hab’ ich auch nur ins Drehbuch gemogelt, damit diese Brustwarzenspäher etwas zu räsonieren haben. Mit einigem Glück wird der Film vielleicht sogar ›jugendfrei‹«, verheißt der Produzent. »Schluckesaft ist schon am Werk und hat den Boden vorbereitet. Er ist prima, erzählt diesen Moralaposteln was von innerer Ethik und redet ihnen, falls nötig, ein Loch in den Bauch.«

»Genau der richtige Mann dafür«, lobt der Verleihchef Gärigs Hausdramaturgen, den sein Partner bei Meinungsverschiedenheiten sogar gegen ihn einsetzt. »Ich hab’ da nämlich ’ne Idee! Ich möchte die Premiere mit dem Galaabend anläßlich des zehnjährigen Bestehens des Luna-Verleihs am nächsten Wochenende zusammenlegen. Wir hätten dann ein riesiges Staraufgebot, das kostenlos Reklame für ›Liebe am Lago‹ macht.«

»Blendende Idee, Eugen«, erwiderte Gärig. »Außerdem erspart sie uns auch noch Kosten.«

»Deine neue Staffel ist wieder recht erfolgversprechend«, stellt Gremlitzka fest. »Aber wir sollten uns künftig doch etwas Neues einfallen lassen, bevor sich unsere Masche abnützt.«

»Quatsch mit Soße«, erwidert der Produzent gereizt. »Wieviel habt ihr bisher an mir verdient?«

»Bombig«, räumt Gremlitzka ein.

»Was meckerst du dann an meinen Filmen herum?«

»Weil ich auch weiterhin bombig verdienen möchte«, versetzt der Mann mit dem Firmensitz in München. »Heb mal deinen Blick über den Tellerrand hinweg und schau nach Amerika: Dort steht Hollywood in einem mörderischen Konkurrenzkampf mit dem Fernsehen. So wird’s in ein paar Jahren auch bei uns kommen – und darauf müssen wir uns vorbereiten.«

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