Will Berthold - Die Frauen nannten ihn Charly

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Es ist ein dramatischer Roman voll Spannung und überraschender Wendungen.Charly ist für viele Frauen ein aufregender Typ, ein Raubritter mit Herz. Kein Wunder, dass sich auf der ausgelassenen Party im Schwabing des Jahres 1948 einige Frauen von Rang eingefunden haben, die alle hinter Charly her sind. Groß ist daher die Bestürzung, als sie im Laufe der Party erfahren, dass ihr Gastgeber gar nicht mehr am Leben sein soll. Trotzdem sollen sie weiterfeiern. Das lässt die Hoffnung aufkeimen, dass sein Tod nur ein Gerücht ist und Charly einen letzten Coup landen möchte. So wie er sich auch schon in der Nachkriegszeit als charmanter Tausendsassa und Abenteurer hat durschlagen müssen. Holt ihn seine Vergangenheit gerade in diesem Moment ein?-

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Will Berthold

Die Frauen nannten ihn Charly

Roman

Originalausgabe

SAGA Egmont

Die Frauen nannten ihn Charly

Genehmigte eBook Ausgabe für Lindhardt og Ringhof Forlag A/S

Copyright © 2017 by Will Berthold Nachlass,

represented by AVA international GmbH, Germany ( www.ava-international.de).

Originally published 1986 by Goldman Verlag, Germany.

All rights reserved

ISBN: 9788711727102

1. Ebook-Auflage, 2017

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt og Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.comund Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk– a part of Egmont www.egmont.com

I

Charly hatte an diesem naßkalten Dezembertag zu einer Party ohne Anlaß in die »Arche Noah« gebeten, und schon kurz vor 21 Uhr sah es aus, als würden die geladenen Gäste – wie schriftlich zugesagt – ausnahmslos erscheinen und dazu noch ein paar Ungebetene. Man gewährte ihnen Einlaß, schließlich war Charly für seine Großzügigkeit bekannt, die immer dann besonders verschwenderisch wurde, wenn ihm das Geld auszugehen drohte. Als man den Ankömmlingen »Veuve Cliquöt« in die Hand drückte und sich herumsprach, daß Champagner – so keine anderen Wünsche geäußert würden – das abendfüllende Getränk bleibe, schien es wieder einmal so weit zu sein. Die neue Mark war erst sechs Monate alt und hatte bereits im ersten Anlauf die Zigarettenwährung vernichtet – aber die Wohlstandsbrause war doch noch ein reichlich rares Getränk.

Der glatte, selbstsichere Dr. Werner Kündig, Charlys Vertrauter und offensichtlicher Stellvertreter, empfing die Ankömmlinge, entschuldigte sich für die Abwesenheit des Gastgebers und verschob weitere Erklärungen auf später. Der Vierzigjährige wandte sich sofort neuen Gästen zu, aber die kapriziöse Petra Meller ließ sich nicht so schnell abwimmeln. »Wo steckt denn Charly nun eigentlich?« bedrängte sie seinen Bevollmächtigten. Ihre rotblonden Haare fielen, unkonventionell geschnitten, tief in die Schultern. Ihr Gesicht war apart und wirkte ganz natürlich; wenn sie lächelte, hatte sie hübsche Grübchen.

»Geduld, Petra – Sie werden gleich erfahren, was mit Charly los ist«, erwiderte Dr. Kündig der gut figurierten und gut situierten Mittzwanzigerin, die vor kurzem, wie sie annahm, Charlys Einzige gewesen war. »Bitte suchen Sie sich den richtigen Platz. Wir haben bewußt keine Tischordnung aufgestellt, so finden Sie sicher einen passenden Gesellschafter. Es soll ganz zwanglos zugehen: Jeder neben jedem, und –«

»Oder jede gegen jede«, unterbrach ihn Petra lachend und entdeckte im Trubel Gesichter, mit denen sie nicht gerechnet hatte. Die geschlossene Gesellschaft war auch eine gemischte Gesellschaft: Neben Charlys Eintagsfliegen und Favoritinnen ein Staatssekretär, zwei Großindustrielle, der Inhaber eines expansiven Bankhauses, Staatsanwalt Nimm, ein Börsenjobber, ein Schwergewichtsprofi, der frühere US-Major Grady, der jetzt angeblich als Privatmann in Deutschland lebte, der Kripobeamte Gerber und der Präsident der Faschingsgesellschaft, die sich todernst nahm. Auch blaublütige Damen fehlten nicht; in ihrer unmittelbaren Nähe hielt sich Watschel-Paula auf, deren Standplatz sonst in der Sendlingerstraße lag, schräg gegenüber der Asamkirche. Zu ihr gesellte sich die polnische Maria, von der Kenner behaupteten, sie verfüge über einen Zementbusen, wiewohl sie sicher keinerlei Erfahrungen in der Handhabung von Zement hatte. Es ging wirklich quer durch den Gemüsegarten, und die buntschillernde Schar der Versammelten verhieß einen kunterbunten Abend.

Die betuchte Gräfin Grieben hatte einen Platz gewählt, von dem aus sie alles übersehen konnte, ohne in den Trubel einbezogen zu sein. Die wenigsten kannten die Dame mit dem kunstvoll geminderten Alter; die meisten nahmen ohne weiteres an, daß Charly auch in diesen Vollreifen Apfel, fruchtig und saftig, gebissen hatte. Vermutungen, Gerüchte, Anzüglichkeiten, Wahrscheinlichkeiten – doch keiner der Anwesenden kannte die Rolle, die die Gräfin tatsächlich im Leben des Vielgeliebten spielte.

Genauer Bescheid wußte man schon über Julia Semper, die früher vor berühmten Domfassaden und auf alten Marktplätzen in Freilichtaufführungen »Jedermanns« Buhlin gespielt hatte. Heute war sie ein bekanntes und beliebtes Filmstarlet und gleich mit drei Begleitern erschienen. Petra verfolgte, wie die Filmfritzen eine Art Wurstschnappen um die Leinwandschöne veranstalteten. Keiner schien dabei so recht voranzukommen.

Das Terzett hätte bei Charly in die Schule gehen sollen. Er war eben ein Mann für jede und dadurch für keine. Petra konnte auf ihre Rivalinnen zurücksehen ohne Zorn. Seitdem der Vulkan erloschen war, verbanden sie mit Charly nur noch ziemlich problemlose Beziehungen. Das menschliche Erinnerungsvermögen ist bekanntlich so geschaffen, daß es die angenehmen Ereignisse behält und die unangenehmen verdrängt. Vielleicht waren deshalb so viele erloschene Flämmchen heute dem Ruf des Gastgebers gefolgt. Er hatte das Talent, abgekühlte Leidenschaft in bleibende Freundschaft auslaufen zu lassen. Die menschliche Qualität eines Mannes erkennt seine Partnerin nicht vorher und nicht auf dem Höhepunkt, sondern meistens erst danach. So betrachtet schnitt Charly gar nicht so schlecht ab.

Es war für Petra offensichtlich, daß viele weibliche Mitglieder aus Charlys Club und Clique nur aus alter Anhänglichkeit gekommen waren, sicher auch einige aus Neugier oder weil sie seine Großzügigkeit schätzten. Als sie jetzt sahen, daß ein großes kalt-warmes Büfett aufgebaut wurde, wußten sie, daß diese Rechnung aufgehen würde.

Auch die Neugierigen würden auf ihre Kosten kommen, denn der Gastgeber fehlte noch immer, genauso wie eine Erklärung seines Ausbleibens. Da die Versammelten ihn kannten, nahmen sie an, daß er an diesem Abend wieder einen besonderen Coup landen würde, und richteten sich auf die Überrumpelung ein. Jedenfalls mußte man bei Charly auf alles gefaßt sein; gelegentlich gefiel er sich auch als Exzentriker.

Sein Bevollmächtigter erblickte in der Tür Cynthia, die amerikanische Generalstochter, begleitet von einem französischen Journalisten. Er ging ihr entgegen. »I’m sure, you’re Miss Macomber«, begrüßte er die Amerikanerin. »Nice to meet you. My name is Kündig. I’m a friend of Charly’s and also his lawyer. I’m sorry, but Charly has been delayed.«

Sie schien enttäuscht, daß Charly aufgehalten worden war, aber von allen Seiten wurde versichert, daß er bald kommen würde. Cynthia stellte ihren Begleiter vor, und der schlanke Rechtsanwalt mit der randlosen Brille und den schütteren Haaren, die ihm eine hohe Stirne machten, geleitete als besondere Auszeichnung diese Gäste persönlich an einen reservierten Tisch, dicht an der Tanzfläche.

Hier tummelten sich bereits die ersten Paare. Die Combo war Charlys Lieblingsband; die drei Musiker beherrschten zusammen zwanzig Instrumente, und sie spielten die Gassenhauer der Saison: »Im Hafen von Adano«, »O mein Papa«, und »Sentimental Journey«; tatsächlich waren ja auch viele mit dem Frauengünstling auf die sentimentale Reise gegangen. Doch immer wieder setzte die Band zu seiner Erkennungsmelodie an: »Don’t fence me in.« Es war das Lieblingslied des abwesenden Gastgebers: »Sperr mich nicht ein.« Tatsächlich hatte der liebe Augustin der Nachkriegszeit schon ein paarmal im Knast gesessen, doch niemals lange. Niemand wußte so recht zu sagen, ob er ein Romantiker war oder ein Abenteurer, ein Michael Kohlhaas oder ein charmanter Freibeuter.

An die hundert Gäste, vorwiegend junge Frauen, begleitet von brandneuen Ehemännern, oder hübsche Mädchen mit ihren Freunden auf Zeit, hatten sich bereits eingefunden, Nachzügler drängten herein. Die »Arche Noah«, Schwabings berühmter Treffpunkt an der Leopoldstraße, würde überfüllt sein, aber das machte schließlich Stimmung. Nach der biblischen Überlieferung waren in Noahs Arche die Tiere, ein Paar jeder Gattung, über die große Sintflut gerettet worden – auch Charlys Gäste glichen Überlebenden einer Zeit, die endlich ihre schlimmsten Zeiten hinter sich gebracht hatte.

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