Marius Ivaškevičius
Die Grünen
Aus dem Litauischen von Markus Roduner
ATHENA
Literatur aus Litauen
Band 14
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Die litauische Originalausgabe erschien 2002 bei
Tyto Alba, Vilnius, unter dem Titel »Žali«
E-Book-Ausgabe 2014
Copyright © der Originalausgabe
by Marius Ivaškevičius and Tyto Alba
Copyright © der deutschen Print-Ausgabe
2012 by ATHENA-Verlag,
Mellinghofer Straße 126, 46047 Oberhausen
www.athena-verlag.de
Lektorat: Heiko Stullich
Satz und Layout: Anja Lapac
Umschlagabbildung: © Stefan Gräf – Fotolia.com
Alle Rechte vorbehalten
ISBN (Print) 978-3-89896-522-4
ISBN (ePUB) 978-3-89896-850-8
Egal, wo man anfängt, es ist und bleibt verworren. In der Natur existieren unzählige Farben und Farbtöne. Und es gibt keine einzige Farbe, um die noch nie Krieg geführt worden wäre. In diesem Krieg nun kämpften – ganz allgemein gesagt – die Menschen für Grün. Die Farbe unserer Wälder. Am heftigsten bekriegten sie Rot. Die Farbe des Blutes unserer Feinde. Obschon manchmal auch Gelb gegen Grün verteidigt wurde. Auch das kam vor.
Außerdem führten sie noch Krieg für ihre Überzeugung, dass sie die Freiheit verdient hätten, gegen die Überzeugung der anderen, dass dem nicht so sei. Doch das ist zu weit gefasst.
Das Ganze begab sich um die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts. Auch als goldenes Zeitalter bezeichnet. Doch auch wenn die Oberfläche eines Dings schmuck glitzert, ist dessen Inneres nicht selten verrottet. Sie lebten tief im Inneren dieses »Dings«, des zwanzigsten Jahrhunderts, und wussten nichts von dessen Glanz.
Am Anfang war die Geografie weiträumig. Denselben Krieg führte eine große Anzahl Menschen von der Ukraine im Süden bis nach Estland im Norden. Doch schließlich waren sie allein.
Sie waren ganz einfach von der fixen Idee besessen, ihren eigenen Staat haben zu wollen. Sie hatten ihn zwanzig Jahre lang zwischen den beiden Weltkriegen gehabt, überdauerten den Zweiten Weltkrieg geduldig und waren an dessen Ende ganz erstaunt, dass man ihnen ihren Staat nicht zugestand.
Das war dasselbe, wie den Wellen beim Überfluten der Brücke zuzusehen. Man weiß doch, sie würde, wenn die Wellen sich zurückziehen, noch da sein.
Genau gesagt waren sie Litauer – ein Volk nördlich von Polen und südlich von Riga – und machten alles verkehrt. Sie ergaben sich, wenn sie kämpfen sollten. Und als die Zeit kam, um Frieden zu schließen, griffen sie zu den Waffen.
Der Charakter des Krieges ist vertikal. Normalerweise führen die Menschen so Krieg: Sie stellen ihre Einheiten unter ihrer Farbe auf und schicken sie gegen die andere Farbe, die anderen Einheiten. Doch das ist ein horizontaler Krieg. Wären diese Einheiten in einem Wolkenkratzer, sagen wir mal vom dreißigsten bis zum achtundfünfzigsten Stock aufgestellt, entdeckten die feindliche Fahne zwischen dem ersten und dem neunundzwanzigsten Stock und erhielten darauf den Befehl zum Angriff – das wäre ein Krieg, den man vertikal nennen könnte. Die Gefechte fänden im Treppenhaus statt.
Sie hatten keine Wolkenkratzer. Die Armeen waren dennoch auf zwei verschiedenen Stockwerken aufgestellt. Die feindliche Armee war auf der für Armeen üblichen Höhe stationiert, wo die Menschen ihre Felder bebauten, zu Verabredungen gingen, sich liebten, wenn gerade kein Bett frei war. Die Litauer hatten ihre Armee da aufgestellt, wo man sich niemals liebte, nicht spazieren ging, und begab man sich dahin, dann nur ein einziges Mal und für alle Ewigkeit – wenn der Sarg unten aufgeschlagen hatte.
»Vertikaler Krieg« ist ein selten verwendeter Begriff. Viel häufiger wird dazu Partisanenkrieg gesagt. Doch dieser Begriff ist zu weit gefasst.
Im Sinne der Evolution des Krieges war er ein Rückschritt. Das von den besten Strategen und den neuesten Waffen verwöhnte Europa hätte wohl kaum gedacht, dass an seinen Rändern ein veralteter Krieg ausbrechen könnte, in dem man auf die neuesten Erfindungen pfiff. Die liegengebliebenen leichten Waffen sämtlicher durchmarschierter Armeen wurden sorgfältig eingesammelt. Darauf wurde mit ihnen noch ein gutes Jahrzehnt erbittert Krieg geführt. Den Krieg leitete ein Mann, der in Europa Artilleriewissenschaften studiert hatte. Er soll über keine einzige Kanone verfügt haben. Von ihm handelt dieses Buch.
Was erhofften sich jene Leute? Anfangs hegten sie vielleicht noch die Hoffnung, selbst etwas gewinnen zu können. Dann hofften sie, unter der Erde ausharren zu können, bis ein anderer käme und ihnen helfen würde, den Krieg zu gewinnen. Die größten Hoffnungen ruhten natürlich auf Amerika. Schließlich machten sie sich wohl kaum mehr Hoffnungen, es gab einfach kein Wohin mehr.
Keiner dieser Menschen würde der Auffassung zustimmen, der zweite Weltkrieg habe mit einem Sieg geendet. Bestenfalls wurde irgendwo in der Ferne ein Unentschieden erreicht, hier jedoch, wo sie ihre Bunker aushoben, gab es nicht einmal dieses Unentschieden.
Zu so einem Krieg könnte man auch Bürgerkrieg sagen. Kein Staat führte mit einem anderen Staat Krieg, ein großer Staat führte Krieg mit sich selbst. Und es war allein seine ganz persönliche Angelegenheit, welches Medikament er anwenden wollte, um den Bandwurm loszuwerden.
Es war der Schmerz des großen Fisches nach dem Verschlingen des kleineren Fisches, den er jetzt bei lebendigem Leib verdaute. Beziehungsweise der Schmerz des kleinen, während er mit den Magensäften kämpfte.
Am einfachsten wäre die Aussage, dass die Litauer mit den Russen Krieg führten. Aber die Russen waren nicht reinrassig, es waren auch Litauer unter ihnen. Auch in den Reihen der Litauer gab es den einen oder anderen Russen, den einen oder anderen Deutschen und noch den einen oder anderen. Die Welt war durchtränkt mit Verrat und Verbrechen, deshalb wurde für viele Bürger der Krieg zur einzig möglichen Lebensweise. Und es war ihnen egal, wofür und mit wem sie Krieg führten.
Doch allgemein gesagt führten die Litauer Krieg mit den Russen. So war es schon im dreizehnten Jahrhundert, im vierzehnten, im fünfzehnten, hin und wieder auch im sechzehnten und später gewesen. Dies war die vorläufig letzte ernsthafte Schlacht.
Zehn Jahre – das war sogar für einen Krieg eine ernsthafte Herausforderung. Obwohl es in der Geschichte auch dreißigjährige und noch angegrautere Kriege gab. Anfangs war es ein ziemlich intellektueller, wenn auch vertikaler Krieg. Geleitet von gebildeten Offiziere, Studierten, Dichtern, Ärzten, all denen, die nicht in den Westen geflüchtet waren – in der Hoffnung, dass der Westen selbst einmal hierher kommen würde. Darüber wurden Gedichte verfasst. Allmählich brachte der Krieg die Dichter, Ärzte und gebildeten Offiziere um und die neuen Intellektuellen waren zu gebildet, als dass sie ihr Leben für eine Farbe geopfert hätten. Und der Krieg wurde allmählich immer gemeiner. Es zogen Burschen vom Land in den Kampf, die nur wenig von Ehre und Menschlichkeit verstanden. Nach und nach übernahmen sie Methoden und Strategien ihrer Feinde. Der Krieg wurde auf beiden Seiten grausam.
Jemand lag mit von Granatsplittern aufgerissenem Bauch da und brüllte fürchterlich. Andere führten ein hungriges Schwein herbei. Und jenes beschnüffelte, da es von Krieg und Menschlichkeit nichts verstand, den aufgerissenen Bauch und fraß alle Innereien auf.
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