Nachdem ich die beiden Männer verabschiedet hatte, aß ich ein chinesisches Frühstück und holte dann weitere Erkundigungen über die Aktivitäten der ausländischen Kaufleute in Beijing ein. Ich schlenderte durch die Hutongs 4und Marktplätze außerhalb der Stadtmauern und sah den Leuten zu, die mit Vogelkäfigen spazieren gingen.
Egal wo ich hingehe, verursache ich Aufsehen. Die Menschen starren mich an wie ein Tier oder sie legen den Kopf in den Nacken und lachen lauthals. Die Kinder umkreisen mich und greifen nach meinem pomadisierten und gepuderten Haar. Wenn ich dann noch Chinesisch spreche, sind sie umso verblüffter und können ihren Ohren kaum trauen. Chinesinnen sind nur selten auf der Straße zu sehen, außer auf dem Markt oder auf Tempelfesten. Sieht man zufällig doch mal eine, zieht sie sich sogleich zurück. Viele Frauen binden sich die Füße ein und müssen sich beim Gehen auf andere stützen. Sie sind hellhäutig und würdevoll. Die Männer scheren sich die Stirn und binden die übrigen Haare zu einem Zopf. Wenn sie eine Glatze haben, gibt es Händler, die ihnen falsche Zöpfe verkaufen.
Chinesen mögen indigogefärbte Kleidung und essen gern gedämpfte Teigtaschen oder Nudelsuppe. Sie haben die Angewohnheit, beim Diskutieren einen unglaublichen Lärm zu veranstalten, aber es scheint darin immer einen geordneten Ablauf zu geben. Nach außen wirkt es zwar wie ein heilloses Durcheinander, folgt im Inneren aber einer gewissen Ordnung. Auf jeden Fall scheinen die Menschen an diesem Ende der Welt mehr Geduld zu haben. Einmal hörte ich, wie ein alter Mann einen hastenden Jüngling maßregelte: „Was rennst du so? Hast du es eilig, den Tod zu treffen?“ Ich erschrak, als ich die Wahrheit hinter den Worten spürte.
Die meisten Chinesen sind schlicht und freundlich, solange es nicht ums Geschäft geht. Die Händler allerdings haben zwei Waagen und entscheiden von Kunde zu Kunde, welche sie benutzen, und auch die Reinheit des Silbers unterscheidet sich stark. Sobald sie merken, dass du das alles weißt, verändern sie ihr Verhalten. In Beijing wohnen viele Beamte und Adelige, aber auch zahlreiche Bettler sind von sonst woher hierhergekommen. In der Stadt stehen nicht nur viele Kiefern und Zypressen, sondern auch Pflaumenbäume, Mei-Pflaumen und Chinesische Zieräpfel. Den Palast habe ich immer noch nicht gesehen, dafür aber anmutige, stille Ahnenschreine und Tempel mit zahllosen Bodhisattwas, die in China verehrt werden.
Ich habe zwei tscherkessische Händler kennengelernt, die über Sibirien nach China gekommen waren. Sie haben Quecksilber und Felle dabei und wollen mit Rohseide, Tee und Porzellan zurückkehren. Sie handeln auch mit Teekannen, haben aber nur zweitrangige Ware, sogenannte Beinware, gekauft. Ihnen selbst gefallen vor allem die vergoldeten Vasen. Beim Wodka erzählten sie von ihrer Reise. Dieses Mal wären sie per Schiff von Yalta bis nach Damaskus gefahren, hätten Persien durchquert, bis sie nach Kabul gelangten. In den Wüsten von Xinjiang verliefen sie sich. Sie sahen zu viele Fata Morganas und traten zu häufig auf zu viele ausgebleichte Knochen der Toten. Einer von beiden kannte sich mit den Sternen aus, und so fanden sie schließlich wieder aus der Wüste heraus. So kamen sie nach Gansu, aber weil einige ihrer Kamele gestorben waren, waren sie gezwungen gewesen, viele ihrer Waren zurückzulassen. Die andere Hälfte hatten ihnen Räuber in der Wüste abgenommen. Beide sprachen Französisch, aber sie sprachen es so tief, leise und derart langsam, dass ich nicht wusste, ob sie eigentlich abenteuerlustige Idioten oder begnadete Geschichtenerzähler waren. Mit großer Leidenschaft berichteten sie von sonderbaren Begebenheiten auf ihrer Reise und über die Prostituierten, die sie getroffen hatten. Auch verglichen sie die Frauen an den jeweiligen Orten. Einer von ihnen verwandte sehr viel Zeit darauf, ausführlich von einer kurzfristigen Eheform in der Nähe einer Sandwüste zu erzählen. Man könne sich dort für nur vierundzwanzig Stunden verheiraten. Trotz der Kürze der Ehe sei die Hochzeitszeremonie immer noch großartig. Der Sternenkundige war wohl so eine Ehe eingegangen und hörte nicht auf, davon zu sprechen. Am meisten kam es ihm darauf an, dass seine Ehe nur drei Tage gedauert hatte. Seit diesem Tag geht ihm das Ganze nicht mehr aus dem Kopf und er überlegt, zurückzugehen und erneut zu heiraten. Der andere erzählte, dass sie in Shaanxi einen Mann mit zahlreichen Ehefrauen und Konkubinen getroffen hatten. Dieser Mann war so überaus gastfreundlich gewesen, dass er sie nicht nur einlud, eine Weile bei ihm zu wohnen, sondern darauf bestand, dass er sich unter den Frauen, Konkubinen und Töchtern eine aussuchen solle. Inklusive der Hauptfrau.
„Inklusive der Hauptfrau?“
Ja, inklusive der Hauptfrau. Aber er habe kein Interesse gehabt.
Nach dieser wodkaseligen Nacht kam ich zu zwei Schlussfolgerungen. Die erste war, dass Wodka sehr gut schmecken kann, und die zweite, dass es nicht sehr klug ist, den Landweg zwischen China und Europa zu nehmen.
Ich lernte auch einen wegekundigen Perser kennen, der sehr oft innerhalb Chinas Handel treibt und ein exzellentes Chinesisch spricht. Er klagte: „Die Chinesen essen zu gern Schweinefleisch. Im Süden braten sie sogar das Gemüse in Schweineschmalz!“ Das sei die größte Widrigkeit auf seinen Reisen in China. Eine andere sei, dass er fünf Mal am Tag nach Mekka bete, weshalb manche Chinesen ihn für einen Verrückten hielten und ihn auch schon mal getreten hätten. Der Perser erzählte, dass es auch in China Muslime gäbe, die „Huihui“ hießen. Nach Phasen der Auflehnung hätten sie sich mittlerweile unterworfen. Er erzählte weiter, dass es in China, genauer gesagt in der Provinz Henan, viele Juden gäbe. Ihre Vorfahren hätten sich vor vielen Generationen dort angesiedelt.
Ich kaufte mir ein Pferd. Die Hufe der Pferde werden hier nicht beschlagen, so dass sie bereits nach wenigen Jahren kaputt sind. Ich zeichnete ein Hufeisen, um es einem Schmied zu zeigen, damit er mir welche anfertigt. Erst nachdem ich mehrere Schmiede aufgesucht hatte, kam ich endlich zu einem, der bereit war, sich meine Beschreibung anzuhören und sich die Zeichnung anzusehen. Er brach in Gelächter aus. Trotzdem konnte ich ihn überreden, mir Hufeisen zu schmieden. Ich bin mir sicher, dass sie mir Glück bringen werden.
4. Anm. d. Ü.: Einstöckige Viertel aus grau gemauerten Hofhäusern, die enge Gassen bilden.
Beijing, 5. November, 1766
Ich war gerade dabei, in eine andere Herberge umzuziehen, als der Missionar wiederkam. Diesmal hetzte er atemlos mit einem chinesischen Priester heran. Sie kamen, um mich darüber zu informieren, dass ich mich für einen Besuch in der kaiserlichen Stadt vorbereiten sollte. Der Enkel des Kaisers war auf dem Weg der Besserung und in seiner großen Freude wollte der Kaiser dem Missionar, der ihn mit der Medizin versorgt hatte, seinen Dank ausdrücken. Le Febvre hatte einem kaiserlichen Beamten mitgeteilt, dass ich derjenige war, von dem das Medikament stammte. Der Beamte gab diese Information an den Kaiser weiter, der nun dem Ausländer, der die Medizin überlassen hatte, eine Audienz gewähren will. Der Beamte sollte mit mir vor den Kaiser treten.
Niemand kann eine Einladung des Kaisers von China ablehnen. Ich widersprach nicht und machte mich sofort mit dem Missionar auf den Weg in die Stadt. Diesmal hielt mich niemand auf, wir mussten nicht einmal anstehen.
Wir liefen den ganzen Weg zur Nordkirche, wo ein Beamter des Ministeriums für Riten uns das kaiserliche Edikt verkünden und die Zeit der Audienz mitteilen würde. Auch sollte mir die höfische Etikette beigebracht werden, denn der Eintritt in den Palast war eine bedeutende Angelegenheit und es gab Tausende Regeln, die unbedingt und exakt beachtet werden mussten. In China gibt es acht Stufen der Höflichkeit, wobei der Kotau die feierlichste ist. Die acht Höflichkeiten sind der Gruß mit der vor der Brust von einer Hand umschlossenen Faust, die Verbeugung mit zum Gruß zusammengelegten Händen, der Kniefall, ein einfacher Kotau, der dreifache Kotau, der sechsfache Kotau, der dreimalige Kniefall und der neunfache Kotau. Die letzte Form wird ausschließlich gegenüber Göttern und dem Kaiser ausgeführt.
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