Bevor ich ging, zeigte mir Herr Shu noch eine bauchige, langhalsige Vase mit einem bunten Dekor aus Kranichen und Kiefern auf einem grünlichen Fond. Die Glasur war von berückender Transparenz. Obwohl ich das Dekor zu kompliziert fand, sprach mich der transparente Schimmer sehr an.
Heutzutage scheint man sich in China nur noch für diese farblos-transparente Glasur zu interessieren, aber der Baron von Seydewitz fand eine pudrige Textur mit einem zahnähnlichen Weiß hochwertiger.
Jingdezhen, 16. Januar 1766
Ich hatte mein Hausboot verlassen und wollte in die Stadt gehen. Als ich mit dem Pferd am Zügel das Ufer flussaufwärts ging, begegnete mir keine Menschenseele, abgesehen von einer Frau, die am Ufer hockte. Wie sie da saß und im Fluss die Wäsche wusch, kam sie mir bekannt vor. Allmählich dämmerte es mir: Es war die Frau, die ich an jenem Abend hatte küssen wollen, die Frau auf dem Blumenboot. Dunkel erinnerte ich mich, dass sie wütend abgezogen war und den Bootsmann dazu angestachelt hatte, mich in den Fluss zu werfen. Jetzt war sie in ein schlichtes, ungefärbtes Gewand gekleidet und trug einen großen Bambushut. Obwohl es helllichter Tag war, sah sie aus wie ein Geist. „Guten Tag, Fräulein.“ Sie war nicht mehr jung, aber ihre ganze Erscheinung verströmte ein anziehendes Flair und ich wollte sie noch einmal ansehen. Sie hob den Kopf und sah mich an. Sie schien sich ein Lächeln verkneifen zu müssen, antwortete aber nicht.
„Wertes Fräulein, gestatten Sie mir die Frage, warum Sie mir an jenem Abend so zürnten?“ Es war, als ob eine fremde Kraft mich zu ihr zog, ich konnte mir nicht helfen und näherte mich ihr. Sie wandte sich ab. Mir ihren Rücken zukehrend wusch sie weiter Wäsche. Ich stand sehr lange neben ihr. Sehr lange. Als ich das Schweigen nicht mehr ertragen konnte, musste ich mich bewegen, stellte mich dicht hinter sie und fragte: „Nun sagen Sie mir doch, wertes Fräulein, warum waren Sie so wütend?“ Sie ließ die Wäsche fallen und stand auf, um zu gehen. Ich wollte sie noch festhalten, aber sie riss sich los und lief weg. Ich sah ihr nach, dann warf ich einen Blick auf die Wäsche, die sie gewaschen hatte. Es war Männerkleidung. Ich entfaltete und untersuchte sie.
Warum mache ich so etwas? Ich weiß es nicht. Wieso will ich mit ihr reden? Wieso halte ich sie fest? Ich bin nicht mehr ich selbst. Jemand anderes in mir zwingt mich dazu. Dieser andere scheint irgendeine Verbindung zu der Frau zu haben. Aber welche?
Verwirrt ließ ich die Kleider fallen und verließ das Flussufer. Ich war noch nicht weit gekommen, da sah ich die Frau zurückkommen, um die Wäsche zu holen. Ich machte auf dem Absatz kehrt und betrachtete die Frau still. Ich fragte sie: „Darf ich ein Bild von Ihnen malen?“ Diese Frage verblüffte sie. Noch erstaunter war allerdings ich, als sie zustimmte. Ich ging mit ihr zu meinem Boot und drapierte eine Ecke für sie. Sie nahm mir gegenüber Platz und saß geduldig Modell. Ich legte mein ganzes Können und meine gesamte Aufmerksamkeit darein, ihren Geist und ihre Schönheit abzubilden. Sie sagte nicht viel und ich fragte sie nicht weiter. Mir genügte es. Mein Herz quoll über vor Dankbarkeit.
Jingdezhen, 28. Februar 1766
Nachmittags kam sie oft zu mir. Ich hatte schon mehrere Zeichnungen von ihr angefertigt, die ihr gut gefielen. Eine schenkte ich ihr. Da sah ich sie das erste Mal lächeln. Ihr Lächeln war bezaubernd.
Wir tranken zusammen Tee, und schließlich begann sie mit mir zu sprechen. Sie sagte, sie heiße Pu mit Familiennamen und stamme nicht von hier, sondern aus dem Grenzgebiet zu Burma, und sie sei keine Han-Chinesin. Sie spreche nicht viel, weil ihr Chinesisch nicht gut sei. Sie sei hierher verkauft worden. Normalerweise müsse sie im Haus helfen und Näharbeiten verrichten. Am Abend müsse sie auf dem Blumenboot die trinkenden Gäste unterhalten. Sie sagte, dass sie es nicht habe ertragen können, mich zu küssen. Auch wenn ich einen vorteilhaften Eindruck auf sie gemacht hätte. Kaum hatte sie das gesagt, lehnte sie sich zu mir und küsste mich.
Ich fragte, ob sie ihre Oberkleidung ablegen würde, damit ich sie so malen könne. Ohne zu zögern streifte sie sie ab und schien keinerlei Scham zu empfinden. Dafür fing ich an, nervös zu werden. Meine Hände wollten nicht aufhören zu schwitzen und der Stift in meiner Hand zitterte. Meine Lenden erwachten. Anstatt mir zu gehorchen, konnte ich sie nicht ignorieren.
Ich machte das Boot los und ließ es an einen einsamen Ort treiben. Den ganzen Nachmittag zeichnete ich ohne konkrete Idee. Sie reagierte mit unerschöpflicher Geduld. Sie war schön, egal aus welchem Blickwinkel. Hohe Wangenknochen, eine Haut so weiß wie Porzellan, funkelnde Katzenaugen und eine ebenmäßige, sanfte Gestalt. Ich starrte sie schier an und wusste kaum, wo ich den Stift ansetzen sollte. Sie wollte gern sehen, was ich malte, aber ich ließ es sie nicht sehen. Mir gelang nichts: Die Striche waren verworren und die Konturen unklar. Ich konnte ihre Schönheit einfach nicht einfangen.
Plötzlich rammte uns ein anderes Schiff. Flink hatte sie sich wieder angezogen, aber ich schaffte es nicht, meine ganzen Skizzen einzusammeln. Dieser Bootsmann, der mich ins Wasser geworfen hatte und der auch ihr Eigentümer war (ich war noch nicht dazu gekommen, sie zu ihrem Verhältnis zu befragen), hörte nicht auf, unser Boot zu rammen. In fliegender Hast griff ich zum Ruder und paddelte so schnell ich konnte. Aber die anderen waren dicht hinter uns. Als wir das Ufer erreicht hatten, ließ ich erst sie an Land gehen, bevor auch ich absprang. Der Mann kam mit fliegenden Fäusten auf mich zu. Ich stand am Ufer und zog, blitzschnell meinen Instinkten folgend, den Mann am Bein. Bevor er in den Fluss fiel, hielt ich inne.
„Verlass Jingdezhen jetzt, sofort. Hau ab!“, zischte der Bootsmann drohend und drückte mir ein Messer in den Rücken.
Ich leistete keinen Widerstand. „Wenn du ihr nichts tust, dann gehe ich.“
Er und ein paar andere packten sie. Bedauernd warf sie mir noch einen Blick zu und ließ sich dann wegführen. Der Bootsmann ließ mich mit einer Drohung zurück: „Wage es, in Jingdezhen zu bleiben, und du bist ein toter Mann.“
Die Scham schmerzte wie ein Messerstich. Ich hatte sie nicht beschützen können. Wieder einmal war ich der Verlierer, einer, der nicht lieben darf.
Sehr verehrter Freiherr von Seydewitz,
ich bin bereits in Jingdezhen und glaube, dass dies tatsächlich der Ort ist, den Marco Polo „Tingui“ genannt hat. Jingdezhen ist eine große Stadt in der Provinz Jiangxi und liegt in der Mitte Chinas. Das Porzellan aus Jingdezhen könnte das Nanjing-Porzellan sein, das Sie erwähnt hatten, denn es wird erst zu Wasser und zu Lande nach Nanjing gebracht, bevor es nach Europa ausgeführt wird.
In der Mitte des letzten Jahrhunderts, als die Mingdynastie zu einem politischen Stillstand gekommen war, war der Export von Porzellan aus Jingdezhen verboten, so dass Europa Porzellan aus Japan kaufte. Aber weder Imari- noch Kakiemon-Porzellan konnte in größeren Mengen hergestellt werden, weshalb überall an der Küste in Fujian Brennöfen errichtet wurden. Zu dieser Zeit gab es in Europa vor allem Fuzhou-Porzellan aus Südchina. Das Beste war das weiße Porzellan aus Dehua, es wird auch „Schneeporzellan“ genannt. Die klare Glasur und die exzellente Qualität verschafften ihm einen cremigen Schimmer, den Delft seither zu imitieren versucht.
Ende des letzten Jahrhunderts hat sich der Stil des Porzellans unter den mandschurischen Qing geändert. Das blauweiße Porzellan genügte nicht mehr den Anforderungen des Hofes und es kamen mehrfarbige Glasuren auf, bis hin zu dem Fünffarbendekor, das wir „Famille verte“ nennen und dessen Grün brillant und transparent wie ein Edelstein leuchtet. Die Farben sind von einer fließenden Kraft und die Maler zeichnen außerordentlich feine Umrisslinien.
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