„So, passende Rahmenbedingungen.“
„Passende Rahmenbedingungen, ja“.
„Eure Rahmenbedingungen schließen nicht zufällig den plötzlichen Tod zweier Könige ein?“
„Ich sehe, wir verstehen uns prächtig“, sagte der Fremde und lächelte.
*
Ganz Sawateenatari war auf den Beinen und jubelte. Zumindest schien es Sirit so. Zur Abwechslung war sie froh um die Sänfte und ihre Vorhänge. Wer wusste, ob die Karapaki noch jubeln würden, wenn sie sehen könnten, was für eine Frau ihr Kronprinz heiraten sollte. Das eine wusste sie mittlerweile mit Sicherheit: Hellhäutige Menschen gab es so gut wie gar nicht im Reich Karapak, und die Karapakier betrachteten helle Haut und helle Augen als abgrundtief hässlich. Freiwillig hätte Tolioro sie bestimmt nie genommen. Es war also zumindest zweifelhaft, ob diese Jubelrufe wirklich ihr galten.
Natürlich konnte auch Ioro der Adressat sein. Von dieser Brandnarbe abgesehen, sah der junge Mann wirklich gut aus. Ja gut, er hatte die Falkennase aller Männer aus dem Hause Mehme, aber in seinem Gesicht wirkte sie irgendwie passend. Man konnte sich daran gewöhnen. Insbesondere dann, wenn er lächelte. Dann strahlten auch seine Augen förmlich. Schade, dass nicht Ioro ihr Gemahl sein würde.
Sirit hörte den schrillen Ruf des Falken, der Ioro ständig begleitete. Der Prinz konnte nicht weit weg sein. Sie hatte ihn jetzt mehrere Wochen jeden Tag gesehen, mit ihm gespeist und mit ihm gesprochen. Er war ein guter Unterhalter, wusste genau, was bei Frauen gut ankam. Mindestens jede zweite ihrer Dienerinnen war in den Prinzen verliebt. Ioro hatte sie alle höflich, aber bestimmt abgewiesen. Wirklich sehr, sehr schade, dass nicht Ioro der Kronprinz von Karapak war.
*
Iragana beobachtete das Eintreffen der Hochzeitskarawane unten im großen Hof des Palastes. Ihr Mann und Tolioro standen vor den bronzebeschlagenen Flügeltüren. Die Sänfte mit den aquamarinblauen Vorhängen wurde nach vorne getragen. Ioro sprang vom Pferd und schritt zu der Sänfte, um die Vorhänge zurückzuschlagen. Dann erschien eine zarte, sehr blasse Hand. Ioro ergriff sie und half der zukünftigen Frau seines Bruders, die Sänfte in formvollendeter Haltung zu verlassen.
Iragana nickte zufrieden. Die Tolorierin hatte es nicht gewagt, die Sitten ihrer barbarischen Heimat einzuführen. Sie trug, wie jede ehrbare karapakische Frau, den blauen Hochzeitsschleier über den Kopf gezogen. Die schweren Kleider ermöglichten ihr keine raumgreifenden Bewegungen, sie trippelte neben Ioro her, fast wie ein kleines Mädchen. Sie war tatsächlich sehr kurz geraten. Das war gut, Tolioro mochte kleine Frauen. Allerdings … wenn man genauer hinsah, konnte man sehen, dass diese tolorische Frau deutlich fülliger war als eine Karapakierin. Und nach allem, was Iragana gehört hatte, war diese fremde Prinzessin ziemlich hässlich. Blasse Haut, blaue Augen, zu dick. Nichts, was Tolioro anziehend finden würde. Nicht einmal ihr Name war schön. Sirit. Hart klang das. Aber was sollte man von einem Weib aus den Bergen schon besseres erwarten.
Zumindest bestand so die Chance, dass sie lange genug leben würde, um Tolioro einen Erben zu gebären.
*
Sirit schielte durch den dünnen Stoff ihres Schleiers hoch zu den beiden Männern. Kanata sah aus wie Ioro. Wie ein deutlich älterer Ioro. Die gleiche Haltung, die gleiche Nase, die gleiche Selbstsicherheit. Neben ihm wirkte Tolioro wie ein grüner Junge. Es verbesserte keineswegs die Lage, dass er ziemlich gelangweilt wirkte und seine zukünftige Ehefrau keines Blickes würdigte.
Sirit verbeugte sich schweigend. Nur gut, dass das Protokoll von ihr keine Worte verlangte. Zwar konnte sie fließend Karapakisch, aber jetzt und hier … sie war sich nicht sicher, ob sie wirklich ein Wort herausgebracht hätte. Ein dicker Kloß schien in ihrem Hals zu stecken.
Kanata winkte sie herauf. Sirit gehorchte und stellte sich neben Tolioro. Kanata winkte erneut. Ein Schreiber präsentierte ihm den Vertrag. Kanata tat, als ob er ihn lesen würde, aber sein Blick ruhte dabei auf Sirit. Sie hob trotzig das Kinn. Was sollte das? Auch ihr Vater war ein König! Kanata nickte und unterschrieb. Dann wandte er sich an das junge Paar. „Morgen, wenn ihr die Ehe vollzogen habt, werde ich den Vertrag siegeln.“
Dann stolzierte er zurück in den Palast.
Sirit stand wie vom Donner gerührt. Das war alles? Das sollte ihre Hochzeitszeremonie sein? Die hatte sie sich anders vorgestellt. Kanata hatte ihr überdeutlich gezeigt, dass nicht sie selbst wichtig war, sondern nur der Vertrag. Sie schluckte. Ioro hatte ihr immer wieder gesagt, dass in Karapak die Frauen nicht die gleiche Rolle spielten wie in Tolor. Zum ersten Mal glaubte sie ihm wirklich.
Tolioro zerrte ungehalten an ihrem Ärmel. Er wollte hinein. Sirit senkte den Kopf und folgte ihrem Ehemann.
Tolioro sah angewidert auf seine schluchzende Frau herab. Ihre blassen Rundungen wirkten in den blauen Kissen noch mehr als sonst wie die Haut eines toten Fisches. Hässlich, hässlich, hässlich. Mit Kleidern hatte er sie schon hässlich gefunden. Ohne war sie regelrecht abstoßend. Na gut, für heute Nacht hatte er seine Pflicht bei ihr erfüllt. Die dunkelroten Flecken auf den Kissen zeugten davon. Kanata würde zufrieden sein. Man sah den Flecken nicht an, dass die meisten davon aus Sirits gebrochener Nase stammten. Nicht, dass ihre Nase dadurch gewonnen hatte. Sie war vorher schon zu klein gewesen. Jetzt war sie fast ganz platt. Dumme Pute. Jedenfalls wusste sie nun, wer der Herr im Haus war. Noch einmal würde sie es nicht versuchen, ihn zurückweisen zu wollen. Nur weil sie noch nicht bereit gewesen war. Pah. Eine Frau hatte immer für ihren Mann bereit zu sein. Tolioro versetzte Sirit noch einen letzten Fußtritt, dann schlenderte er aus dem Zimmer. Nur gut, dass Graf Chilikit seine Versprechungen immer schnell in die Tat umsetzte. Ihm war jetzt nach einer richtigen Frau.
*
Kanata schüttelte ungläubig den Kopf. Wie konnte Tolioro nur so dumm sein! Seine Frau in der Hochzeitsnacht alleine zu lassen, und noch dazu in dem Zustand? Hielt Tolioro jeden im Palast für stumm und taub? Oder, noch schlimmer, für dumm? Wie ein Lauffeuer war es durch alle Gemächer gegangen. Tolioro hatte keinen Gefallen an seiner neuen Frau gefunden. Gut, er hatte Verkehr mit ihr gehabt, schließlich war es seine verdammte Pflicht und Schuldigkeit, den nächsten Thronerben zu zeugen. Aber er hatte es auf seine übliche, abstoßende Art getan. Sirit wurde gerade von ihren Dienerinnen verbunden, ihre Nase gerichtet und mit kühlenden Kompressen versorgt. Sollte König Dacas je zu Ohren kommen, wie es seiner geliebten Tochter erging, dann, Vertrag hin, Vertrag her, würde Dacas rot sehen. Dafür kannte Kanata seinen königlichen Kollegen gut genug. Die Familie ging dem über alles.
Er gab dem Hofmarschall einen Wink. Der Mann nickte und verschwand. Er würde dafür sorgen, dass die Kunde von Tolioros Benehmen nicht über die Mauern des Palastes hinausdrang. Was Tolioro anging, dem würde er selbst die Leviten lesen müssen. Wieder beschlich ihn das unangenehm nagende Gefühl, den falschen Sohn als Thronerben gewählt zu haben.
*
Arme Sirit. Ioro verspürte einen Anflug von Mitleid. Auch wenn die junge Frau seines Bruders wirklich hässlich war, so etwas hatte sie nicht verdient. Die junge Prinzgemahlin besaß alle Qualitäten für eine gute Königin, von ihrem Äußeren einmal abgesehen. Und sie vereinte die Zukunft zweier Königsreiche. Ioro seufzte. Sein Bruder war ein Vollidiot. Eine intelligente, gutwillige Frau, die strategisch denken konnte und ihm später bei der Regierungsarbeit eine wirkliche Stütze gewesen wäre, so zu verprügeln. Keine Chance, dass Sirit nach dieser Hochzeitsnacht jemals mit mehr als Hass an ihren Mann denken würde. Dafür kannte Ioro sie mittlerweile zu gut. Er konnte nur hoffen, dass ihre Loyalität zum Reich und zu dem Friedenspakt ihres Vaters Sirit dazu bewegen würde, ruhig zu bleiben und keinen Aufstand zu machen.
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