Chris Svartbeck - Steinfaust

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Nirgendwo sonst hätte ein Waisenknabe in der Armee Karriere machen können.
In Karapak nicht, denn dort kommandiert nur der Adel.
In den Grauen Schluchten nicht, denn die sind noch hochnäsiger.
In Kirsitan nicht, denn da regieren die Frauen.
In den Nordlanden nicht, denn die haben überhaupt keine Armee, da ist jedermann ein Krieger.
Und in seiner alten Heimat Meelas nicht, denn … die gibt es nicht mehr.
Steinfaust weiß, worauf er sich eingelassen hat. Wer in Narkassias Armee an die Spitze kommen will, muss mit allem kämpfen: Worte, Waffen und Verrat. Nur mit einem hat er nicht gerechnet: Dass ihm auch Magie in die Quere kommen könnte.

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Steinfaust

Spiegelmagie Band 7

Chris Svartbeck

Chris Svartbeck 2018 Machandel Verlag Charlotte Erpenbeck 2018 ISBN - фото 1

©Chris Svartbeck 2018

Machandel Verlag

Charlotte Erpenbeck

2018

ISBN 978-3-95959-324-3

Bildquelle cover: Fotokostic /www. shutterstock. com

Titelvignette: Fernando Cortes/www.shutterstock.com

Die Welt des Königreichs Karapak

Sie können das Buch direkt zu lesen beginnen, ohne dass Sie deswegen die ganze Vorgeschichte kennen müssen. Falls es Sie aber doch interessiert: Zu dieser Welt gibt es bereits acht Bücher plus eine Kurzgeschichtensammlung. Näheres finden Sie im Anhang.

Soweit Sie zu bestimmten Dingen wie der Magie, Geschichte oder Völker dieser Welt nähere Informationen benötigen, finden Sie diese ebenfalls im Anhang des Buches.

Und da in diesem Buch von mehreren Staatsgebilden die Rede ist, dürfte Sie auch die Landkarte im Anhang interessieren.

Steinkind

1083 - Narkassia, beginnender Winter

Es gab eine Zeit vor den Steinen.

Eine Zeit, in der er eine Familie gehabt hatte, eine Heimat, ein Zuhause.

Eine Zeit vor den weißgesichtigen Ungeheuern.

Freundlich waren sie gewesen, oh ja. Hatten sich zu den Ältesten gesetzt, Brot und Wasser mit ihnen geteilt und dann über die Frostgeister geredet. Darüber, dass Meelas Schutz brauchte, mehr Schutz, als Mauern und Feuer und Schwert ihnen bieten konnten. Die Ältesten hatten zugestimmt.

Wie konnte jemand ehrlich sein und gleichzeitig lügen? Damals hatte er es nicht begriffen, heute schon. Heute beherrschte er selbst diese Kunst.

Helfen wollten sie Meelas, hatten die Weißgesichtigen gesagt. Schutz vor den Frostgeistern sollte das Land finden. Natürlich, dieser Schutz würde Opfer fordern, am meisten von denen, die weit außen, am Rand des Landes, ihre Dörfer hatten, aber die waren es ja auch, die ohnehin schon die Hauptlast der Abwehr gegen die Frostgeister trugen.

Die Ältesten hatten genickt. Und die Laren hatten gelächelt.

Noch heute packte ihn Schrecken, wenn er an dieses Lächeln dachte. Noch heute sah er es in seinen Alpträumen. Nicht mehr so häufig wie früher, aber häufig genug.

Damals … damals war er geflohen. Dieses Lächeln war ihm zu unheimlich gewesen. Seine Mutter hatte noch hinter ihm hergerufen. „Bleib, du dummer Junge!“, hatte sie ihn gescholten, aber sie war ihm nicht nachgekommen, und auch kein anderer, denn es war Sommer, die Frostgeister waren weit fort in den Eisbergen, die Hornziegen sorgten dafür, dass die Raubtiere dem Dorf fernblieben und so wusste sie, dass für ihn keine Gefahr bestand.

Genau zu diesen Ziegen war er gelaufen, hatte sich in der Herde versteckt, war mit ihnen am Abend zum Grat aufgestiegen, weit hinauf, wie die Hornziegen es liebten.

Die Hirten hatten den umgekehrten Weg gewählt, waren hinab ins Dorf gegangen, die unerwarteten Gäste zu feiern.

Sie waren in den Tod gegangen.

Nein, in etwas, das schlimmer war als der Tod. Er erinnerte sich. Gelächter war dort unten im Tal zu hören gewesen, er hatte die Menschen, klein wie Spielzeug in der Entfernung, zwischen den Hütten gehen sehen, einige der jungen Männer und Frauen hatten sich zum Tanz um das Festfeuer eingefunden. Lieder hatte er gehört und er war kurz davor gewesen, seinem knurrenden Magen mehr Glauben zu schenken als seinem Instinkt.

Und dann waren die Lieder verstummt.

Er hatte niemanden mehr gesehen.

Das Feuer war langsam heruntergebrannt, ohne dass jemand kam, Holz nachzulegen.

Sein Herz hatte sich angefühlt wie ein Klumpen Eis, als nach und nach auch die Rauchfahnen aus den Schornsteinen der Häuser vor dem sternhellen Nachthimmel erloschen. Die Kochfeuer gingen niemals aus. Nie!

Dann ging die Sonne auf. Die zwei Weißgesichtigen kamen aus dem Haus des Dorfvorstehers und gingen bedächtig auf ihren kurzen, dicken Beinen Richtung Hochtal, Richtung Hauptstadt.

Es gab noch anderes Leben im Dorf. Er konnte das gefleckte Fell von dem großen Hütehund des Dorfvorstehers ausmachen. Der Hund umkreiste das Haus, wagte sich aber nicht hinein.

Er war hinuntergeklettert, langsam, um seiner Welt Zeit zu geben, wieder normal zu werden.

Aber das wurde sie nicht.

Da war niemand in dem Dorf. Stattdessen … Steine. Vierkantige, graue Steine, halb so groß wie er selbst. Um die kalte Feuerstelle, in den Häusern.

Er war zurückgewichen, langsam erst, dann fast rennend. Der gefleckte Hund war ihm gefolgt.

Auf halbem Weg zwischen den Ziegen und dem Dorf hatte er den Rest des Tages gewartet. Mit knurrendem Magen und brennendem Durst und soviel Angst, dass er den Hund krampfhaft festhielt und nicht von seiner Seite ließ.

Dann war die Sonne untergegangen. Etwas hatte sich bewegt im Dorf. Einen Moment hatte er gedacht, sie sind zurück, alles ist wieder gut. Dann sah er, dass es nur die Steine waren. Sie glitten durch Geröll und Gras wie Schnecken über Gemüseblätter. Der erste kam unweit von ihm zum Stehen. Die anderen verteilten sich nach links und rechts, in ungefähr gleichen Abständen.

Da war es ihm eingefallen. Die Weißgesichtigen hatten davon gesprochen, eine Art Schutzzaun gegen die Frostgeister zu errichten. Und davon, dass das Dorf einen Preis zahlen würde. Zum Wohl des ganzen Landes.

Steine. Sie waren alle zu Steinen geworden. Seine Eltern. Seine Geschwister. Seine Nachbarn. Deren Kinder. Die Ältesten. Alle.

Er hatte sich übergeben. Es war nichts in seinem Magen gewesen, aber er hatte gewürgt, bis die bittere Galle herauskam.

Dann war er davongestolpert. In der Nacht, nur mit dem Hund an seiner Seite. Fort, weg von dem Dorf, weg von dem Hochtal, aus dem die Teiggesichter gekommen waren.

Der alte Mann starrte blicklos in die Nacht.

Die Schneeflocken tanzten um ihn herum. Er rührte sich nicht. Hier in Narkassia war der Schnee harmlos. Hier gab es keine Frostgeister.

Im Nordland

Sechzig Jahre früher (Sommer 1023)

Hätten ihn nicht zu Anfang noch einige der Ziegen begleitet, er wäre verhungert. So hatte er Milch, und er gab auch dem Hund davon ab.

Aber vor fünf Tagen waren die Ziegen verschwunden. Wahrscheinlich wollten sie zurück zu ihrer Herde. Und der Hund lag jetzt tot zu seinen Füßen, einen Pfeil zwischen den knochigen Rippen in seinem abgemagerten Leib.

Einen Pfeil wie der, den der fremde Krieger gerade auf seinen Bogen gelegt hatte.

Er rührte sich nicht. Mochte der Fremde ihn töten. Das war ihm auch schon egal.

Wenigstens würde ihn hier niemand zu Stein verwandeln.

„Was willst du hier? Wo sind deine Leute?“

Die Frage des fremden Kriegers klang holprig, als wäre ihm die Sprache von Meelas nicht vertraut.

„Meine Leute sind tot.“

„Warum bist du dann in unsere Richtung geflohen und nicht dorthin, wo mehr von euch leben?“

„Da ist es nicht sicher.“

„Nicht sicher?“ Der Krieger ließ verblüfft den Bogen sinken. „Mitten zwischen denen von deinem Volk?“

„Es sind Fremde gekommen.“ Der Junge konnte nicht verhindern, dass Bitterkeit in seine Stimme kroch. „Fremde, die uns Schutz versprachen. Aber dieser Schutz vernichtet uns. Mein Dorf … meine Eltern … Es hat nur eine einzige Nacht gedauert.“

Der Krieger steckte den Pfeil wieder in den Köcher. Der Junge musterte ihn misstrauisch. „Willst du mich nicht töten?“

„Wozu? Ein Junge alleine ist keine Gefahr.“

„Aber … du hast doch auch meinen Hund getötet!“

„Dein Hund wollte mein Fleisch rauben.“

„Er hatte nur Hunger.“

„Er hat mich angegriffen, als ich ihn davon abhalten wollte. Jeder, der mich angreift, stirbt. Interessiert mich nicht, warum.“

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