1 ...6 7 8 10 11 12 ...16 Taephe hatte Bauchschmerzen. Seit einem Tag schon. Verzweifelt marterte sie ihr Gehirn, was sie falsches gegessen haben könnte. Ihr wollte nichts einfallen. Schon wieder ein heftiger Krampf. Taephe stöhnte auf. Hinen erhob sich und kam zu ihrem Bett. „Was ist los?“, fragte sie. Taephe biss sich auf die Unterlippe. Es war nicht ehrenhaft, Schmerz so deutlich zu zeigen.
Hinen wartete nicht auf eine Antwort. Sie griff nach der dünnen Decke und schlug sie zurück. „Oh!“, sagte sie nur. Dann ging sie mit energischen Schritten zu ihrer Truhe und kramte etwas heraus. Als sie zurückkam, erkannte Taephe einige lange, weiße Stoffstreifen. „Mir scheint, du wirst jetzt eine richtige Frau“, stellte Hinen mit einem Lächeln fest. „Du blutest. Ein warmes Bad wird dir jetzt gut tun. Komm, ich bringe dich hin.“
Taephe rutschte aus dem Bett und nahm dankbar Hinens Arm. Erst jetzt registrierte sie, dass es zwischen ihren Schenkeln nass war, und dass sich auf ihrem Bett ein dicker roter Fleck gebildet hatte.
*
„Das kann nicht Euer Ernst sein!“ Sirit spürte, wie die Ader an ihrer Schläfe pulsierte. Dieser Thronrat! Idiotische alte Männer! Nur die konnten auf eine so schwachsinnige Idee komme. „Taephe hat gerade erst zum ersten Mal geblutet. Sie ist noch viel zu jung! Bei der Göttin! Soweit ich weiß, ist es selbst hier in Karapak üblich, wenigstens eine Regenzeit zu warten, wenn ein Mädchen zur Frau wird, bevor sie verheiratet wird!“
Die Herren des Thronrates hatten noch nicht einmal den Anstand, beschämt auszusehen. „Dieses Mädchen muss so schnell wie möglich aus Inagoros Nähe verschwinden. Sie ist ein Fleck auf seiner Ehre. Je eher sie fort ist und vergessen wird, desto besser. Und wenn wir damit zusätzlich einen unzuverlässigen Mann an den Thron binden können, gewinnen wir doppelt. Abgesehen davon kann dieses Mädchen froh sein, dass sie überhaupt jemand nimmt.“
„Wenn Ihr sie mit dem Mann verheiratet, schickt ihr sie wahrscheinlich geradewegs in den Tod.“
Die Herren des Thronrates reagierten nicht. Lediglich ihr Sprecher zuckte kurz mit den Achseln. „Das hat keine Bedeutung. Sie ist nur die Tochter einer Konkubine.“
Einen Moment lang fühlte Sirit sich versucht, eine der Zeremonialwaffen von der Wand zu greifen und den gesamten Thronrat damit niederzustrecken. Leider war das Staatsrecht auf Seiten der Männer. Sie würde versuchen müssen, ihnen diesen dämlichen Plan auszureden. Oder ihn zumindest abzumildern, irgendwie. Das war sie Taephe schuldig.
Aber Sirit wusste beim besten Willen nicht, wie sie das Taephe beibringen sollte, wenn die Männer auf diesem speziellen Ehekandidaten beharrten.
Am Ende lud sie Hinen und Taephe zu einem Tee. Hinen war vorgewarnt. Gemeinsam brachten sie das Gespräch auf jene Zukunft, die für Taephe außerhalb des Palastes liegen musste. Das Mädchen argumentierte überaus rational. Hinen hatte sie gut unterrichtet.
Sirit musterte die Teeschale unschlüssig. Liebend gerne hätte sie dieses Gespräch zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt geführt. Aber es brachte nichts. Der Kronrat hatte sich bereits vor zwei Tagen endgültig entschieden, und Taephe musste es wissen.
„Was willst du, Taephe? Was siehst du für dein Leben?“
Das Mädchen zögerte kurz. „Verehrte Mutter des Königs, ich bin nur die Tochter einer bedeutungslosen Konkubine.“
„Ja“, sagte Sirit, „und die eines wenig geschätzten toten Königs. Aber“, setzte sie hinzu, „du bist auch die Enkelin Kanatas, eines großen Herrschers aus dem Mehme-Geschlecht, dessen Hand nach Tolor griff und der fast erreicht hätte, dass sich beide Länder vereinen.“
„Wäre Euch das Recht gewesen?“
„Vielleicht. Je nachdem, wer König gewesen wäre.“
Taephes Augen waren dunkel von dem Wissen, das ihre Jahre überstieg. „Inagoro hätte es sein können.“
„Inagoro“, sagte Sirit sanft, „hat die undankbare Aufgabe, aus den Scherben, die sein Vater hinterließ, wieder ein starkes Reich zu schaffen. Du könntest ihm dabei helfen.“
„Wen soll ich heiraten?“
„Wieso …“ Sirit unterbrach sich. Taephe war nicht dumm. Im Gegenteil. Sie setzte erneut an. „Was denkst du, wer dafür infrage kommt?“
Taephes Gesicht verriet nichts. Auch ihre Stimme nicht. Sie zählte die Kandidaten auf, als ob es sich um Diener handelte, die sie zur Arbeit schicken wollte. „Viridase, der Sohn des Prakatori-Grafen, der den Norden und die Handelsschiffe sichert. Fugata, der Sohn Trimikis, der das Delta schützen soll, aber dick und faul und unfähig und bestechlich ist. Tusikomo aus der Pakteri-Sippe, dessen Vater im letzten Wüstenkrieg gefallen ist und der dringend einen Erben braucht und zudem jemanden, dessen Existenz ihn mit dem Königshaus verbindet. Vielleicht auch noch Kohame, den Sohn des erst kürzlich geadelten Schanka aus der Kaufmannsgilde, um diese einflussreiche Gilde zu einer besseren Zusammenarbeit mit dem Königshaus zu bewegen.“
Nicht schlecht. Das Mädchen dachte mit.
„Da ist noch einer“, sagte Sirit. „General Ordunats Sohn. Shioge. Wir hätten allen Grund, das Haus Ordunat wieder zu besänftigen.“
Taephe zuckte zusammen. „Shioge hasst meinen Vater. Er hasst ihn über den Tod hinaus“, sagte sie leise. „Er wird auch mich nicht lieben.“
Hinens Hand wanderte herüber zu Taephe und legte sich auf ihren Arm.
Einen Moment sah es aus, als ob Taephe weinen wollte. Aber sie schluckte nur und senkte den Kopf. „Wann?“
„Der Thronrat will dich noch vor der Regenzeit zu ihm schicken.“
„Wie viele Tage bleiben mir noch?“, fragte Taephe tonlos.
„Vier.“
Jetzt begann Taephe doch zu weinen. Hinen nahm sie in den Arm und strich ihr übers Haar. Sirit erhob sich leise und ging hinaus. Taephe sollte wenigstens in Ruhe weinen dürfen.
*
Da stand er. Shioge.
Wenn Taephe noch irgendwelche Zweifel über die Art ihrer Ehe gehabt hätte, wären sie jetzt verflogen. Ihr zukünftiger Ehemann musterte sie, wie man ein giftiges Insekt musterte. Shioges ganze Haltung zeigte, wie sehr er diese aufgezwungene Ehe als Zumutung betrachtete. Natürlich hatte er sowenig eine Wahl gehabt wie Taephe. Ein Provinzadeliger, der die Tochter eines Königs angeboten bekam, sagte nicht nein. Nicht einmal dann, wenn besagte Tochter die Tochter eines glücklosen, toten Königs und seiner ebenso glücklosen, toten Konkubine war.
Sirit hatte lange genug mit dem Thronrat diskutiert und versucht, das Unheil doch noch abzuwenden. Taephe hatte hinter dem Wandschirm neben ihr gesessen und alles gehört. Sirit hatte mindestens ein Dutzend anderer möglicher Heiratspartner vorgeschlagen. Aber die Herren des Kronrates waren der Meinung, Ordunats Sohn sei der optimale Heiratskandidat für sie. Ein unzuverlässiger, aber einflussreicher junger Adeliger in einer wichtigen militärischen Position wurde damit an den Thron gebunden. Und für eine bessere Partie hätte ihre Abstammung eh nicht gelangt.
Taephe hatte Sirits Gesichtsausdruck bei diesen Worten gesehen. Kurz hatte sie überlegt, ob sie jetzt schon ein Kondolenzschreiben für die Familie des betreffenden Ratsherren ausstellen sollte.
Wie auch immer, die Männer hatten das letzte Wort gehabt. Nicht einmal Inagoros entrüsteter Einspruch hatte geholfen. Plötzlich war er für den Thronrat, der ihn sonst doch immer hofierte, nur ein kleiner Junge, dessen Worte nicht zählten. Inagoro hatte kein Wort mehr gesagt, danach. Aber hinterher war er zu Taephe gekommen, hatte sie umarmt und leise geflüstert: „Große Schwester, ich schwöre dir, wenn es dir in dieser Heirat nicht gutgeht, dann werden die es mir mit ihrem Blut büßen.“ Und in seinen Augen hatte die Liebe gestanden, die ein König von Karapak einer Frau gegenüber niemals äußern durfte.
In Shioges Augen stand alles andere als Liebe. Er bellte schroff nach einer Feder, setzte dann seine Unterschrift auf die Heiratsurkunde, drückte sie dem Hauptmann der Eskorte in die Hand, drehte sich wortlos um und ging in die Burg. Und damit war Taephe Ehefrau.
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