Wahrscheinlich hatte Hinen Recht, wie immer. Taephe vermisste sie trotzdem.
Shioges Burg war interessant. Taephe stellte recht schnell fest, dass eine Frau auf so einem Außenposten bedeutend mehr Freiheiten hatte als im Palast. Die Dienerin hatte sie verblüfft angesehen, als sie gefragt hatte, ob sie mal in den Garten gehen dürfe. „Aber es ist doch Eure Burg!“, hatte sie gesagt.
Der Garten war nur ein kleiner Küchengarten. Kein Vergleich mit dem Palastgarten. Aber er lag vor den Mauern der Burg, und sie konnte von hier aus ungehindert über die Weite der Landschaft sehen. Und niemand schalt sie, wenn sie selbst eine Schaufel in die Hand nahm oder ein Pflänzchen anband.
Auch sonst schien es keinen Raum zu geben, der ihr als der Gemahlin des Burgherren nicht offenstand. Hätte sie einen anderen als Ehemann bekommen, hätte Taephe vielleicht sogar hier glücklich werden können. Aber ihr war bewusst, dass es nur ein Glück auf Zeit war. Früher oder später musste sie ihrem Ehemann den Beischlaf erlauben. Taephe war durchaus bewusst, wie hoch das Risiko war, bei einer Geburt zu sterben, und Shioge hatte keinen Zweifel daran gelassen, dass er das überaus billigend in Kauf nehmen würde, solange sie nur seine Kinder gebar.
Taephe dachte an das kleine Kräuterbündel, das Hinen ihr gegeben hatte.
Die Bergfrauen wussten, wie man Schwangerschaften verhinderten.
Natürlich war das keine Dauerlösung, irgendwann musste sie schwanger werden, sonst würde ihr Gatte sie als unfruchtbare Frau verstoßen und zur Dienerin degradieren. Das wollte Taephe ganz bestimmt nicht.
Aber sie wollte auch nicht dauernd schwanger sein, bis sie draufging wie eine Zuchtkuh, die am Ende ihrer produktiven Zeit nur noch für den Schlachter taugte.
Es musst einen Mittelweg geben. Es musste einfach.
*
Da draußen schimpfte jemand ganz fürchterlich. Eine Frau, deren Stimme Taephe nicht kannte. Taephe hörte Stimmengewirr und Männerlachen. Die Stimme der Frau überschlug sich jetzt fast. „Dummer Mann!“, schrie sie. „Ich schneide dir die Eingeweide heraus und lasse dich vor dem Tor daran baumeln!“
Die Drohung klang ernst gemeint. Und, wie Taephe jäh bewusst wurde, sie wurde auf Kirsitanisch ausgesprochen. Da draußen bahnte sich offensichtlich Unheil zusammen. Taephe eilte zur Tür und trat in den Hof.
Eine kleine Gruppe von vier kirsitanischen Frauen und drei Männern stand dort neben einem kleinen Karren mit Handelswaren. Um sie herum hatte sich fast die halbe Burg versammelt. Die Leute lachten und zeigten mit den Fingern auf ihre Besucher.
Taephe steuerte zielsicher in ihre Mitte. „Was ist hier los?“, verlangte sie zu wissen.
Der Oberst der Burgwache, der seine Burgherrin erkannte, verbeugte sich kurz, aber ehrerbietig. „Diese Leute sind zum Handeln hierhergekommen“, sagte er. „Aber sie scheinen nicht zu verstehen, was wir mit ihnen handeln wollen. Koro versucht sein einer halben Kerze, ihnen begreiflich zu machen, dass er diese kleine Puppe für seine Tochter erwerben will.“ Er zeugte auf eine kleine geschnitzte Figur, die vorne an dem Karren baumelte.
Taephe besah sich das Objekt des Streites. Kein Wunder, dass die Kirsitaner so erbost waren! „Ich fürchte, Koro hat sich ein sehr schlechtes Handelsobjekt ausgesucht“, sagte sie. „Das ist ein Rigitarat. Eine Statue des Glücksgottes. Keine Puppe, und ganz sicher kein Handelsgut, oder würdet Ihr einem Fremden eine Statue Eures Hausgottes verkaufen wollen?“
Sie wartete die Antwort nicht ab, sondern wandte sich gleich auf Kirsitanisch an die Händlerin, die mit hochrotem Kopf dastand und deren Hand bereits auf dem Dolchgriff lag. „Verzeiht meinen Leuten, Meisterin. Sie sind leider schrecklich unwissend. Es war dumm, dass sie Euch derart bedrängten, und ich entschuldige mich für sie. Wäret ihr geneigt, als Ausdruck meines Bedauerns einen Ballen Seide zu akzeptieren?“
Die Händlerin atmete sichtlich auf, als sie die kirsitanische Sprache hörte. „Werte Frau“, sagte sie und neigte leicht den Kopf, „es ist eine Wohltat, zu sehen, dass wenigstens eine Person in dieser Burg Verstand und Verständnis zeigt. Ich nehme Eure Entschuldigung an und werde mit Freuden weiter meinen Geschäften hier nachgehen.“
Taephe nickte und wollte gerade gehen, um den versprochenen Ballen Seide aus ihrer Aussteuerkiste zu holen, als ihr Blick auf ihren Gatten fiel. Shioge stand oben auf der Treppe, die zur Haupthalle führte, und mustere sie mit einem Blick, den sie nicht deuten konnte. Taephe überlegte kurz. Nein, sie war sich sicher, alles richtig gemacht zu haben. Mit hocherhobenem Kopf eilte sie an ihm vorbei und in die Burg.
Welcher Ballen war angemessen? Die blaue Seide nicht, das war die Farbe ihres Hauses, die durfte sie nicht fortgeben. Rot war die Farbe Tolors, und Tolor hatte bestenfalls einen halbherzigen Waffenstillstand mit Kirsitan. Blieb nur Grün oder Gelb. Taephe entschied sich für einen Ballen mit gelben Blumen. Hinen war immer fasziniert gewesen von der Vielfalt karapakischer Blumen.
„Eine gute Wahl für einen schlechten Anlass.“
Taephe ließ fast den Ballen fallen. Sie drehte sich um. Ihr Gatte stand in der Tür.
„Verzeiht“, murmelte Taephe. „Ich weiß, dass es sich für eine Frau meines Standes nicht gehört, in der Öffentlichkeit aufzutreten. Es ist Euer Recht, mich zu tadeln.“
Seine Augenbrauen rutschen hoch. „Eigentlich hatte ich das genaue Gegenteil vor. Es war genau richtig von Euch, einzugreifen. Diese kirsitanischen Frauen messen dem Wort einer anderen Frau ohnehin mehr Bedeutung zu als dem Wort eines Mannes. Überdies hat es mich angenehm überrascht, dass Ihr Euch die Mühe gemacht habt, die kirsitanische Sprache zu lernen. Vielleicht habt Ihr ja doch noch einen Wert für mich.“
Mit diesen Worten drehte Shioge sich um und ging wieder. Taephe schaute ihm reglos nach. Wenn sie das richtig verstanden hatte, waren soeben ihre Chancen, die kommenden Monde lebend zu überstehen, deutlich gestiegen. Sie konnte Sirit und den Göttern dankbar sein, dass sie Hinen gehabt hatte.
„Marle!“
Die junge Frau fuhr mit fliegenden Röcken herum. Ein Leuchten glitt über ihr Gesicht „Grau! Du bist wieder zurück!“ Sie umarmte den Jungen, der mit ein paar langen Schritten bei ihr war. „Du bist ordentlich gewachsen im letzten Winter! Du siehst mindestens drei Winter älter aus!“
„Du bist kaum gewachsen“, gab der Junge zurück. Er musterte sie von oben bis unten. „Aber du siehst auch irgendwie anders aus.“
Marle lachte auf. „Natürlich sehe ich anders aus! Ich trage jetzt lange Röcke! Ich bin jetzt eine Frau!“
„Ist man eine Frau, wenn man lange Röcke trägt?“
„Grau! Unter welchem Stein lebst du eigentlich? Natürlich nicht! Ein Mädchen wird eine Frau, sobald sie ihre erste Mondblutung hat. Und als Zeichen, dass ich eine Frau bin, darf ich die langen Röcke tragen.“
„Was ist eine Mondblutung?“
Marle schüttelte irritiert den Kopf. „Das sollte dir deine Mutter erklärt haben.“
„Meine Mutter ist sehr weit weg. Ich habe sie seit meinem ersten Jahr nicht mehr gesehen.“
Graus Stimme klang sachlich, aber Marle fühlte trotzdem, wie sich ihr Herz zusammenzog. Er war ohne Mutter aufgewachsen! Kein Wunder, dass er sich manchmal merkwürdig benahm. Vielleicht war es das, was die Duka so an dem Jungen irritierte. „Komm“, sagte sie. Ich habe Beerenkuchen gebacken. Du magst doch bestimmt ein Stück.“
Der Mann und der Junge waren wieder da. Die Duka konnte nicht sagen, warum, aber irgendwie hatte sie damit gerechnet. Der Junge war deutlich gewachsen. Unnatürlich schnell. Entweder er war von vornherein älter gewesen, als er ausgesehen hatte, oder … Die Duka war sich nicht sicher, was dieses „oder“ war, aber sie spürte, dass es sie beunruhigte.
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