Wenig später stand das ganze Schilf auf dieser Seite des Tsaomoogra lichterloh in Flammen. Schwarzer Rauch ballte sich darüber, zog mit dem Wind und den Flammen in Richtung Meer. Enki stand an der Bordwand, beobachtete mit geballten Fäusten und zusammengepressten Lippen das Schauspiel und sagte keinen Ton.
Inagoro wartete.
Das Feuer erlosch spät in der Nacht, als es keine Nahrung mehr fand.
Am nächsten Morgen kamen Boote aus dem verbrannten Delta. Männer, Frauen und Kinder waren darauf, auch einige Hunde und Hühner. Sie sahen nicht auf, als sie an den karapakischen Booten vorbeiruderten.
Aber Enkis Fäuste lockerten sich.
Inagoro trat zu ihm. „Deine Leute?“
„Sieht so aus, als ob sie es überlebt haben.“
Enki klang nicht sonderlich glücklich darüber. „Willst du zu ihnen?“
„Wozu? Sie würden mich bestenfalls erschlagen.“
„Hast du gesehen, ob alle aus deiner Sippe dabei waren?“
Enki sah ihn ziemlich merkwürdig an. „Nein. Ein paar der Männer fehlten.“
Das konnte nur eines bedeuten. Sie waren zu den Piraten gegangen.
Die Sumpfleute kannten das Schilf, wussten wie schnell es sich in der Trockenzeit durch ein unachtsames Feuer oder ein Gewitter entzünden konnte. Es hatte nur wenige Opfer unter ihnen gegeben, ganz so, wie Inagoro es kalkuliert hatte. Schließlich wollte er seine Untertanen nicht umbringen, ihnen nur eine Lehre erteilen. Es sah nur nicht so aus, als ob sie das verstanden hatten. Etliche der Ruderer desertierten. Vermutlich würde er sie bei den Piraten wiederfinden.
Als ihm der nächste Deserteur gemeldet wurde, ließ er die ganze Rudermannschaft hinrichten. Danach war Ruhe. Aber es war eine ungemütliche Ruhe.
Gerade war Inagoro soweit, dass er auch die andere Hälfte des Schilfsumpfes niederbrennen wollte, da kamen endlich Unterhändler mit der grünen Fahne. Etliche der Dorfältesten aus dem Delta, und zwei, drei Gestalten, die ihm unbekannt waren, die, ihrer strohähnlichen Haarfarbe nach, wohl mischblütig waren. Vermutlich Abgesandte der Piraten. Sie stellten sich nicht vor, sie redeten auch nicht, beobachteten nur, und Inagoro hütete sich, sie anzusprechen. Er tat so, als gäbe es diese Männer überhaupt nicht.
Die Dorfältesten führten die Verhandlungen. Sie versicherten ihm, dass die Piraten sich zurückgezogen hatten. Die beiden Hauptarme des Tsaomoogra-Deltas waren wieder frei, hier würden die Handelsschiffe nichts zu befürchten haben. Bei den Seitenarmen mochte das anders aussehen, aber dort würden doch wohl ohnehin keine Handelsschiffe fahren. Die Flussarme dort waren viel zu eng, verwinkelt, der reinste Irrgarten, in dem außer ein paar Verrückten und den Krokodilen niemand freiwillig hineinschwamm. Und eine weitere Strafexpedition dort hinein sei unnötig, viel zu aufwändig für das Wenige, was man damit erreichen könne.
Inagoro verstand die unterschwellige Drohung. Mit steinernem Gesicht hörte er die Gesandten zu Ende an, hieß sie dann, in zwei Tagen zurückzukommen, wenn er sich entschieden habe.
Zwei Tage, in denen er auf Krokodiljagd ging.
Danach teilte er den Dorfältesten mit, dass er die Strafexpedition als erfolgreich betrachtete und sie jetzt beenden würde, da er keine Lust habe, noch länger in diesem mückenverseuchten Sumpf zu bleiben. Zuhause warteten wichtigere Dinge auf ihn.
Enki fuhr mit nach Sawateenatari. Er hatte nicht im Sumpf bleiben wollen, sich stattdessen freiwillig zur Armee des Königs gemeldet.
Auf der Fahrt den Fluss hinauf trommelten die Siegestrommeln der roten Schiffe. Die Handelswege waren wieder frei. Niemand erwähnte, dass dieser ganze Feldzug keinen einzigen Piraten eliminiert hatte.
*
Sirit hörte, dass ihr Sohn aus dem Delta zurück war, und ging, ihn zu begrüßen.
Inagoro stand am Kartentisch. Die steile Falte, die in der letzten Zeit so häufig seine Stirn durchfurchte, hatte sich vertieft. Er starrte auf die Karte, auf das Abbild des Deltas, das immer noch tiefrot schimmerte. Lediglich an den beiden Hauptarmen des Tsaomoogra durchbrach eine dünne braune Linie das Rot.
„Soll ich dich beglückwünschen?“, fragte Sirit.
„Wozu?“ Inagoro hob nicht den Kopf. „Dieser Kriegszug war ein Fiasko. Das weißt du so gut wie ich. Meine Truppen waren dreimal so stark wie damals die meines Großvaters. Er hat das Delta erobert. Ich habe es kaum geschafft, eine einfache Handelsroute wieder zu öffnen.“
„Den Händlern wird das reichen. Und die sind diejenigen, die dir Steuern zahlen.“
„Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Piraten diesen Handelsweg wieder schließen.“
„Das werden sie nicht“, sagte Sirit.
Jetzt sah Inagoro sie doch an. „Was macht dich so sicher, Mutter?“
„Die Dörfer am Strom zahlen jetzt wieder Schutzgeld. So, wie vor ihrer Eroberung durch Kanata.“
„Das heißt, sie arbeiten mit den Piraten zusammen. Verdammt, ich hätte doch das ganze Schilfmeer abbrennen sollen.“
„Du siehst das falsch“, sagte Sirit sanft. „Es ist nicht ausschlaggebend, wer tatsächlich die Macht im Delta hat. Solange alle finanziellen Interessen abgedeckt sind, stört sich kein Pirat daran, wenn deine Fahne offiziell über dem Delta weht. Die Piraten brauchen das Geld der Dörfer. Die Kaufleute brauchen freie Handelswege. Die königliche Schatzkammer braucht die Steuern der Kaufleute. Und dein Stolz braucht die Fahne. Ihr habt doch alle bekommen, was ihr wolltet.“
Mit einem Lächeln, das die königlichen Wachen erblassen ließ, rauschte Sirit wieder hinaus. Inagoros Hand krallte sich in die Karte.
Das Volk feierte seinen erfolgreichen König. Die Vergleiche mit seinem ruhmlosen Vater wurden weniger. Die mit seinem verehrten Großvater häufiger.
Der Thronrat feierte ihn nicht. Der rechnete ihm stattdessen vor, wie teuer diese Strafexpedition gekommen war. Pro eingesetztem Soldat die fünffachen Kosten eines Soldaten im Vergleich zu Tolioros Zeiten. Und dessen Kriege hatten damals schon als exorbitant teuer gegolten.
So langsam begriff Inagoro die feindselige Haltung seiner Mutter. Ganz offenkundig diente der Thronrat nicht dazu, den König zu unterstützen, sondern sah seine Existenzberechtigung darin, ihn zu gängeln.
Das Spiel konnten zwei Seiten spielen. Der königliche Geheimdienst bekam Befehl, das Privatleben gewisser Mitglieder des Thronrates einmal näher unter die Lupe zu nehmen. Irgendwo würde sich schon ein wenig schmutzige Wäsche finden lassen. Und wenn nicht … Nach der letzten Debatte war Inagoro durchaus bereit, besonders lästigen Nörglern den einen oder anderen Beweis unterzuschieben.
*
Die Festlichkeiten aufgrund seines hochgespielten Erfolges im Delta waren kaum beendet, als Inagoro einen weiteren Grund zum Feiern bekam. Fabriele gebar ihr Kind, und wie bei seinen ersten beiden Gemahlinnen war es ein Sohn. Der zweite lebendige, gesunde Sohn. Inagoro gab ihm den Namen Tokana. Draußen in den Straßen tanzte das Volk ausgelassen. Die Götter blickten wohlwollend auf Karapak und auf das Königshaus. Wie sollte man da nicht feiern wollen!
Zum dritten Mal hielt Sirit einen Enkel in den Armen. Zumindest hatte dieser keine Mutter, die darauf aus war, die königliche Familie umzubringen. Fabriele brachte sogar ein schwaches Lächeln zustande, als sie ihre Schwiegermutter mit dem Kind sah. Sie atmete allerdings hörbar erleichtert auf, als Sirit das Kind der Amme zurückgab. Durchaus verständlich. Nicht einmal Inagoro konnte seiner Mutter völlig unbefangen ins Gesicht sehen. Ihre Spiegelaugen hatten sie vom Rest der Menschheit abgesondert.
Fabriele bemühte sich. Aber sie konnte nicht verhindern, dass ihre Unterlippe leicht zitterte, als sie Sirit jetzt ansprach. „Ihr habt mir diese Schwangerschaft überhaupt erst ermöglicht. Ohne Euch hätte ich noch immer keinen Sohn. Ich würde es begrüßen, wenn Ihr auch weiterhin in meiner Nähe bleibt und über die Familie Eures Sohnes wacht.“
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