Ein Schadensersatzanspruch aus § 831 I BGB scheidet daher aus.
Besonderer Diskussionsbedarf besteht bei Eingriffen in das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 I GG iVm Art. 1 I GG).[53] Grundsätzlich ist auch hier eine Einwilligung denkbar. So kann der Träger dieses Rechts dem Herausgeber einer Zeitung beispielsweise erlauben, über seine persönlichen Angelegenheiten zu berichten. Auch dass eine Person sich gezielt in das Licht der Öffentlichkeit begibt, kann dazu führen, dass eine an sich das Persönlichkeitsrecht verletzende Berichterstattung, etwa über ihre Privatsphäre, nicht als rechtswidrig anzusehen ist. Für die verschiedenen Ausprägungen des Persönlichkeitsrechts existieren zum Teil besondere Regelungen, wie etwa § 22 KUG für das Recht am eigenen Bild.
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Mit Hilfe einer Patientenverfügung (§ 1901a I 1 BGB) kann ein einwilligungsfähiger Volljähriger vorab schriftlich seine Einwilligung in ärztliche Behandlungen oder Eingriffe oder deren Untersagung für den Fall seiner späteren Einwilligungsunfähigkeit festlegen.[54] Tritt dieser Fall ein, sind Betreuer bzw. Vorsorgebevollmächtigter grundsätzlich verpflichtet, dem erklärten Willen Geltung zu verschaffen (§ 1901a I 2 BGB).[55] Angesichts der Parallele zur Einwilligung in eine ärztliche Behandlung erscheint die gesetzliche Beschränkung auf Volljährige zweifelhaft.[56] Die Patientenverfügung selbst enthält noch keine Willenserklärung zum Abschluss eines Behandlungsvertrages, sodass insoweit ein Vertreter (Betreuer; Vorsorgebevollmächtigter) handeln muss.[57]
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Die sog. Realakte sind keine Rechtsgeschäfte.
→ Definition:
Unter Realakten versteht man Handlungen, die ohne Mitteilungs- und Kundgabezweck vorgenommen werden und an die das Gesetz eine Rechtsfolge ohne Rücksicht auf das Gewollte knüpft.[58]
Im Unterschied zu den rechtsgeschäftsähnlichen Handlungen und zu den rechtsgeschäftlichen Willenserklärungen fehlt bei Realakten sowohl ein Erklärungs- und Kundgabezweck, als auch ein Rechtsfolgewillen. Für die Vornahme von Realakten ist grundsätzlich weder Geschäftsfähigkeit noch die Einhaltung der allgemeinen Vorschriften über Willensmängel, Einwilligung, Genehmigung und Stellvertretung notwendig.[59]
Realakte sind z.B. die Verbindungund Vermischunggemäß §§ 946–948 BGB, die Verarbeitunggemäß § 950 BGB, die Übergabeim Sinne des § 929 I 1 BGB, die Besitzbegründungund -aufgabegemäß §§ 854 I, 856 I BGB sowie der Fundgemäß § 965 I BGB.
6. Gefälligkeit und Rechtsgeschäft
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Rechtsgeschäfte sind von Geschäften unterhalb der Ebene des Rechts, den sog. reinen Gefälligkeiten, abzugrenzen.[60] Alltäglich ist der persönliche Austausch auf gesellschaftlicher Ebene, der zwar in Form des Rechtsgeschäfts vorgenommen werden könnte, aber nicht wird. Es fehlt üblicherweise am Willen, sich rechtlich zu binden (z.B. Lottospielgemeinschaft,[61] Einladung zum Essen, Winkzeichen zum Herausfahren aus einer Parklücke,[62] kostenlose Mitnahme im Pkw[63]). Ein erkennbarer Rechtsbindungswillewird über Indizien bestimmt, wie z.B. die erkennbare wirtschaftliche und rechtliche Bedeutung, den Wert der anvertrauten Rechtsgüter, die in Anspruch genommene Sachkunde,[64] die Zumutbarkeit im Hinblick auf das Schadensrisiko und ein mögliches Eigeninteresse des Leistenden.[65] Maßgebend ist bei der Abgrenzung zwischen einer Willenserklärung und einer Gefälligkeitserklärung eine Auslegung analog §§ 133, 157 BGB(objektiver Empfängerhorizont!).[66] Fehlt es an einem erkennbaren Rechtsbindungswillen, so ist der objektive Tatbestand einer Willenserklärung zu verneinen.
Die Abgrenzungsprobleme zwischen der reinen Gefälligkeit, den Gefälligkeitsverhältnissen und den Gefälligkeitsverträgen (Schenkung [§ 516 BGB], Leihe [§ 598 BGB], unentgeltliche Verwahrung [§ 688 BGB], Auftrag [§ 662 BGB, mit Einschränkung des § 670 BGB]) sind für Haftungsfragen von Bedeutung. Anders als bei den echten Gefälligkeitsverträgen ist die Haftung bei den Gefälligkeitsverhältnissen und der reinen Gefälligkeit nicht gesetzlich geregelt. Mangels erkennbaren Rechtsbindungswillensexistieren bei der reinen Gefälligkeit weder vertragliche Primär- noch Sekundärpflichten, wohl aber verbleibt es bei der Schadenshaftung nach Deliktsrecht. Eine Haftung wegen einer Schutzpflichtverletzung (§§ 280 I, 241 II BGB) kommt dagegen nur ausnahmsweise in Betracht.[67]
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Probleme tauchen hinsichtlich der Reichweite der Haftung auf, so z.B. ob der Gast auf Schadensersatz haftet, wenn er ein Glas Rotwein umwirft und dabei das Tischtuch des Gastgebers und das Hosenbein des neben ihm sitzenden Gastes verunreinigt.
Eine Lösung der Problematik besteht darin, eine konkludentevertragliche Haftungsmilderunganzunehmen. Doch fehlt bei reinen Gefälligkeiten gerade eine rechtsgeschäftliche Verpflichtung und regelmäßig der Wille, eine Haftungsmilderung zu vereinbaren. Deshalb bleibt nur die Annahme einer gesetzlichen Haftungsmilderung.[68] Da das BGB in § 521 BGB (Schenkung), § 599 BGB (Leihe) und 690 BGB (unentgeltliche Verwahrung) Haftungsmilderungen für bestimmte unentgeltliche Rechtsverhältnisse gewährt, sind diese Milderungen auch für Deliktsansprüche zu gewähren, wenn es sich um Schädigungen bei unverbindlichen Gefälligkeiten handelt.
Die Annahme einer gesetzlichen Haftungsmilderung ist nicht unproblematisch. Die gesetzlichen Haftungsmilderungen gelten nur für den Schenker (§ 521 BGB), den Verleiher (§ 599 BGB) und den unentgeltlichen Verwahrer (§ 690 BGB). Bei auftragsähnlichen Dienstleistungen soll keine Haftungsmilderung eingreifen, weil auch das Auftragsrecht keine derartige gesetzliche Regelung kennt. Der Geschäftsführer ohne Auftrag haftet nur milder, wenn die Geschäftsführung eine dringende Gefahr abwenden sollte (§ 680 BGB).
Nach einer anderen Ansicht ist danach zu differenzieren, welcher Art die gefälligkeitshalber gewährte Leistung ist.[69] Bei einem deutlichen Überwiegen des haftungsrechtlich privilegierten Teils soll die Haftungsmilderung auch auf die übrigen Teile erstreckt werden. Die Zufallsergebnisse, die daraus entstehen, lassen sich aber nicht rechtfertigen. Falls eine Einordnung der gewährten Leistung nicht eindeutig möglich ist, wird man es bei der nach geltendem Recht vollen Deliktshaftung belassen müssen.
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Fall 8:
A bat seinen Nachbarn B, während eines Kuraufenthalts sein Haus zu versorgen und den Garten zu bewässern. Am 10. Juni bewässerte B den Nachbargarten mit einem an eine Außenzapfstelle des Hauses montierten Wasserschlauch. Anschließend drehte er die am Schlauch befindliche Spritze zu, stellte aber nicht die Wasserzufuhr zum Schlauch ab. In der Nacht vom 10. auf den 11. Juni löste sich der weiter unter Wasserdruck stehende Schlauch aus der Spritze. In der Folge trat aus dem Schlauch eine erhebliche Menge Leitungswasser aus, lief in das Gebäude des A und führte im Untergeschoss zu Schäden. B ist für Schäden bei Nachbarschaftshilfe und Gefälligkeitshandlungen privat haftpflichtversichert. Der Privathaftpflichtversicherer hat allerdings eine Regulierung abgelehnt. Hat A gegen B einen Anspruch auf Schadensersatz?[70]
Lösung:
I.A könnte gegen B einen Anspruch auf Schadensersatz nach §§ 280 I, 241 II BGBwegen einer Schutzpflichtverletzung aus einem Auftrag (§ 662 BGB) haben. Fraglich ist, ob A und B eine unentgeltliche Übernahme der Gartenbewässerung vertraglich vereinbart haben oder lediglich von einem reinen Gefälligkeitsverhältnis (unter Nachbarn) auszugehen ist. Im Wege der Auslegung ist aus der Perspektive eines objektiven Empfängers (analog §§ 133, 157 BGB) zu entscheiden, ob die Parteien einen erkennbaren Rechtsbindungswillen hatten. Indizien dafür sind die erkennbare wirtschaftliche und rechtliche Bedeutung, der Wert der anvertrauten Rechtsgüter, die in Anspruch genommene Sachkunde, die Zumutbarkeit im Hinblick auf das Schadensrisiko und ein mögliches Eigeninteresse des Leistenden. Besondere Risiken (etwa für besonders wertvolle Pflanzen) übernahm B mit der Gartenbewässerung nicht. Vielmehr handelte es sich bei dieser Nachbarschaftshilfe um eine übliche soziale Gepflogenheit, bei der B weder eine eigene Sachkunde einbrachte noch ein Eigeninteresse verfolgte. Es ist von einer reinen Gefälligkeit auszugehen. Ein vertraglicher Schadensersatzanspruch scheidet daher aus.
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