„Also doch dienstlich?“, fragte Lissy stirnrunzelnd.
„Eigentlich nicht. Aber Leni schwärmt so von Ihren Hähnchen-Flügeln. Wie wäre es, wenn sie uns eine Riesenportion davon bringen würden.“
„Für Sie alle?“, fragte Lissy ungläubig.
„Ja, machen Sie eine große Platte. Sehen Sie es als meinen Einstand in dieser Runde. Ich hoffe Ihnen ist das Recht, meine Herren?“
„Welch eine Frage?“, ließ sich Lauheim vernehmen, während Hildebrandt sein Handy verstaute und zurück an den Tisch kam und missmutig Platz nahm.
„Manchmal glaube ich, es geht nirgends ohne mich“, brummte er und griff nach seinem abgestandenen Bier.
„Lassen Sie es. Es gibt gleich ein neues“, sagte Lauheim und sah zu Lissy hinüber, deren Biergläser sich unter dem Zapfhahn auf und niederbewegten. Dann lachte er vor sich hin, als sei ihm etwas Lustiges eingefallen. „Wissen Sie eigentlich, warum Lissy de Biergläser unter dem Zapfhahn auf- und niederbewegt? Na?“
Als keine Antwort kam, prustete er hinaus: „Wenn sie die Gläser von links nach rechts bewegen würde, liefe alles daneben. Hahaha. Gut, nicht?“
Das Gelächter der Stammtischbesatzung hielt sich in Grenzen. Um genau zu sein, niemand schien sich für die Pointe zu interessieren. Es herrschte kurzes betretenes Schweigen, ehe Lauheim mit seiner Fettnäpfchenpolitik ein neues Schälchen aufmachte.
„Unser Feuerwehrchef ist ja richtig unter die Sportler gegangen. Ich sehe ihn ab und zu am Bahnhof vorbeifahren, mindestens zweimal die Woche. Ja, als Feuerwehrmann muss man sich ja in Form halten.“
„Ja, der Radweg“, schien Glasheber sich seinem Lieblingsthema zuzuwenden. „Erst baut man über eine Strecke von drei Kilometern eine Schikane dort ein, nur weil ein Jagdpächter seine Grenzen markiert haben möchte und das mit irgendwelchen Mitteln … mit welchen auch immer … auch durchsetzt und nun …“
„Lassen Sie doch den Radweg aus dem Spiel“, griff Lauheim in die beginnende Diskussion ein. „Seien Sie doch froh, dass wir diese Errungenschaft haben und dass der Weg –wer hätte das gedacht- in dieser Vielfalt genutzt wird.
„Und nun hat dieser Jagdpächter plötzlich das Weite gesucht –er will einfach nicht mehr Jagdpächter sein- und uns hinterlässt er einen solchen Schikanenweg. Ist doch unglaublich, was Geld bewirken kann. Übrigens“, man sah ihm an, dass es ihm Spaß machte, Lauheim an gewisse Dinge zu erinnern. „Sie wollten doch einen oder zwei Eisenbahnwaggons auf den Gleisen vor dem Bahnhof aufstellen. Daraus wird sicherlich nichts, oder?“
Glasheber hatte den Einwand von Lauheim einfach überhört und dort weitergemacht, wo er begonnen hatte. Und er wollte noch einen draufsetzen. Der lange erwartete Eisenbahnwagen. Doch es blieb bei der Fragestellung. Gottlob kam Lissy mit der Runde Bier und der Bemerkung, dass die Hähnchen-Flügel in wenigen Minuten fertig seien.
Overbeck erhob sein Glas und schaute mit gekünstelter Miene, die eine Drohung widerspiegeln sollte, in die Runde. „Wenn keine weiteren streitfähigen Diskussionen mehr im Raum stehen, würde ich gerne noch etwas bleiben, was meinst du Leni? Könnte doch ein schöner Abend werden.“
Detlef Hildebrandt hatte inzwischen sein drittes Telefonat beendet, doch das letzte war entgegen aller Erwartungen ziemlich kurz ausgefallen.
„Auch mal wieder hier?“, fragte er überflüssigerweise und sah dabei Leni an, als ob ihn die Situation am Stammtisch erst jetzt vereinnahmte. „Ist was passiert?“ Dann fügte er hinzu: „Ein Ortsbürgermeister sollte eigentlich wissen, was in seiner Gemeinde so … anfällt.“
„Der Ortsbürgermeister erfährt es sofort, wenn in seiner Gemeinde was … anfällt“, lachte Leni und prostete Hildebrandt zu. „Am besten, Sie geben Ihr Handy an der Garderobe ab. Tragen Sie Ihren Teil zur Gemütlichkeit bei!“
„Gemütlichkeit? Was soll denn das werden, hier … heute Abend? Ich muss nachher noch …“
„Verschieben Sie alles auf morgen. Sie werden die Welt heute Abend nicht mehr verändern können. Kommen Sie, trinken Sie mit uns. Der Tag morgen wird schon schwer genug.“
„Aha, also doch!“, ließ Schaeflein sich vernehmen. „Also ist doch etwas passiert. Ich wusste es, gleich, als Sie beide hier eintraten. Aber ich sehe schon: wir sind es nicht wert, darüber etwas zu erfahren.“
„Sagen Sie, Herr Pfarrer“, meldete sich Overbeck zu Wort, „wie halten Sie es eigentlich mit dem Beichtgeheimnis? Ich meine, wenn Sie jemand aus irgendeinem Anlass nach einem Gespräch in Ihrem Beichtstuhl fragt. Wie reagieren Sie dann?“
„Lissy, bringen Sie noch eine Runde!“, rief Schaeflein durch den Gaststättenraum und Lissy winkte zurück, das sie verstanden habe. „Kommt sofort.“
Dann wandet er sich Overbeck zu und sagte kurz: „Sie haben Recht. Wenn etwas passiert ist, erfahren wir es noch früh genug.“ Dann lehrte er auf einen Zug den Rest in seinem Bierglas und wischte sich über den Mund. „Ich werde ja hier in Forstenau eh nicht mehr allzu viel erfahren“, sagte er und es klang irgendwie eingeschnappt oder auch mitleidheischend.
„Wo Sie gerade davon reden. Sollten Sie nicht in diesem Monat Ihre neue Dienststelle antreten?“ Hildebrandt sah Schaeflein erwartungsvoll an. „Nicht, dass ich Sie loswerden wollte, im Gegenteil. Aber Sie selbst sprachen davon und sagten …“
„Da sieht mal wieder einmal, wie Sie zuhören, Herr Ortsbürgermeister.“ Schaeflein schüttelte missbilligend den Kopf. „Es geht nicht um meine Versetzung, sondern um meine Pensionierung. Und, wie ich Ihnen bereits berichtete, hat man mich gebeten, noch ein wenig seelsorgerisch für meine Schäfchen hier in Forstenau da zu sein. Ich habe das Gefühl, dass sie mich auch noch ein wenig brauchen werden. Also, finden Sie sich mit meiner Gesellschaft noch eine Weile ab.“
In diesem Augenblick kam Lissy, die ein Gespür für den richtigen Moment zu haben schien und brachte die Lage Bier. „Wir hoffen alle, dass Sie uns noch lange erhalten bleiben, Herr Pfarrer“, bemerkte sie freundlich. „Was würden wir nur ohne Sie tun?“
„Sie fürchten doch nur um Ihren Umsatz, wenn ich diesen Ort verlassen muss“, lachte Schaeflein. „Aber nun mal Spaß beiseite.“ Schaeflein wurde ernst und alle sahen ihn erwartungsvoll an. „In vier Wochen ist es so weit. Man hat einen Nachfolger für mich gefunden. Ich werde Sie also verlassen müssen.“
„Jetzt auf einmal“, sprudelte es aus Hildebrandt hervor. „Das wird eine große Lücke in unseren Stammtisch reißen.“
„Darüber machen Sie sich nun mal keine Sorgen, lachte Schaeflein. „Falls mein Nachfolger meinen Platz hier einnehmen sollte, was ich Euch gönnen würde, dann wird wohl einer von Ihnen seinen Platz räumen müssen.“
„Was soll denn das schon wieder bedeuten?“, Herr Pastor. „Warum soll einer von uns dann nicht mehr dabei sein?“ Hildebrandt schaute verständnislos aus der Wäsche.
Schaeflein klopfte sich auf den Bauch und lachte lauthals. „Weil ich gegenüber meinem Nachfolger –was die körperliche Fülle angeht- ein Waisenkind bin. Ihr müsst also an diesem Tisch enger zusammenrücken, das meinte ich damit.“
„Ein neuer Pastor, jetzt auf einmal?“ Lissy hatte das Gespräch hinter der Theke vernommen und kam auf Schaeflein zu. „Wer ist es denn?“
„Ein junger Mann aus dem Saarland. War in Losheim Kaplan und wird seine erste Pastorenstelle hier in der Pfarreien-Gemeinschaft antreten. Aber so viel sei Ihnen bereits jetzt schon gesagt: Seine ehemaligen Schäfchen lassen ihn nur unter Protest gehen. Und noch eines: Sie werden mit ihm an Karneval viel Spaß haben. Keine Bütt ist vor ihm sicher.“
„Das ist gut“, meinte Leni und hob ihr Glas. „Ein junger Pastor mit gemütlicher Leibesfülle und Humor … es geht aufwärts mit der katholischen Kirche, zumindest in unserer Region.“
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