„Und wenn nicht?“, fragte Overbeck trocken.
„Wenn nicht? Naja, der Anrufer sprach nur von irgendwelchen Folgen, es gibt nichts Konkretes.“
„Der Anrufer?“ Leni horchte auf. Ich dachte, der Bürgermeister habe ein anonymes Schreiben erhalten?“
„Ja, ja, Sie haben Recht. Hat er ja auch. Aber am selben Tag noch erhielt er auch einen Anruf des Schreibers. Die Stimme war angeblich verstellt oder verfälscht worden, sagt zumindest der Bürgermeister.“
„Womit wird er denn jetzt genau erpresst? Außerdem, eine Reform aufhalten, wie soll das gehen?“
„Das herauszufinden ist Ihre Sache. Ich möchte, dass Sie beide nach Forstenau fahren und sich der Sache annehmen.“
Leni schaute kurz zu Overbeck hinüber, dann zu Krauss, doch ehe die Frage, die ihr bei einem Einsatz in ihrer Heimatgegend auf den Lippen lag, diese verlassen konnten, hatte Krauss ihr Anliegen bereits durchschaut.
„Fragen Sie nicht, Frau Schiffmann, ich weiß, wo Sie schon wieder der Schuh drückt. Wenn die Ermittlungen in Forstenau intensiviert werden müssen, können Sie gerne Ihre Zelte für ein paar Tage dort aufbauen.
Krauss nahm zur Kenntnis, dass Leni zufrieden lächelte, nickte und wollte das Büro verlassen. Doch dann blieb er stehen, drehte sich auf dem Absatz herum. „Was ich noch sagen wollte. Wie der Zufall es will, hat der Bürgermeister gerade Besuch von zwei Herren aus dem Ministerium, worüber er sicherlich nicht sehr erbaut sein wird. Gehen Sie die Sache etwas, wie soll ich sagen, mit etwas Fingerspitzengefühl an. Sie wissen schon, was ich meine. Und halten Sie mich auf dem Laufenden. Vielleicht kann ich Sie von hier aus unterstützen.“
Dann fiel die Tür hinter Krauss zu. Leni und Overbeck sahen sich an. Leni grinste verschmitzt. „Er ist heute so verständig. Er hat nichts dagegen, wenn wir unsere Zelte in Forstenau aufschlagen, und er will auch noch mithelfen. Da wird doch wohl nichts passiert sein.“
„Wie dem auch sei.“ Overbeck sah auf seine Armbanduhr. „Wenn wir heute noch etwas erreichen wollen, sollten wir uns beeilen. Ich melde uns beide bei der Verwaltung in Forstenau an. Dann machen wir uns auf die Socken. Ich gehe davon aus, du nimmst deinen eigenen Wagen?“
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Montag, 15:00 Uhr,
Forstenau, Bürgermeisteramt
Im Bürgermeisteramt war es merkwürdig still an diesem späten Nachmittag. Die beiden Beamten des Ministeriums hatten sich zurückgezogen, schneller als Bürgermeister Walter Anders es für möglich gehalten hätte. Ihm konnte es nur recht sein. Ihm oblag ab sofort die alleinige Verantwortung für das, was er und seine Behörde unternahmen und die beiden Mainzer Gestalten, wie er sie in seinen Gedanken nannte, konnte er dabei nicht gebrauchen. Er war auch nicht gewillt, ihnen irgendwann und in irgendeiner Weise Rapport zu melden. Wenn sie etwas von ihm wollten, dann sollten sie herkommen, persönlich und ihre Anliegen begründet vorbringen.
Anders legte den Hörer zurück auf die Tischstation. In einer Stunde würden die Beamten der Kriminalpolizei eintreffen. Diese Angelegenheit machte ihm alle Pläne zunichte. Eine interessante Ratssitzung in einem der 13 Orte in seinem Zuständigkeitsbereich musste er absagen. Gerade diese Sitzung, wo es mal wieder drunter und drüber ging und seine ordnende Hand über die üblichen Maßen hinaus gefordert war. Was er nicht alles in den letzten beiden Jahren seiner Dienstzeit über sich ergehen lassen musste. Da zerfleischte man sich auf unterster kommunaler Ebene mit dem einzigen Ziel, den potentiellen Wähler auf sich aufmerksam zu machen und merkte nicht einmal, dass man zum Gespött der gesamten Verbandsgemeinde wurde. Und er, Anders, war mittendrin in dem unrühmlichen Scharmützel, das kein Ende zu nehmen drohte.
„Brauchen Sie mich heute noch?“, hörte er wie aus weiter Ferne die Stimme Verena Becker. „Ich hätte da noch etwas vor, heute Abend und …“
„Nein, nein, gehen Sie schon“, brummte Anders und irgendwie war es ihm auch recht, nachher nur mit den Kriminalbeamten im Amt über diesen Erpressungsversuch zu reden. Er hörte kaum noch das Bis morgen, Chef seiner Sekretärin. Seine Gedanken wanderten in den vergangenen zwei Stunden durch die Ortschaften der Verbandsgemeinde, deren Häuser und Familien, die ihm fast alle bekannt waren. Ja, er kannte jedes Haus und jede Familie in seinem Dienstbereich und darauf war er stolz. Man sagte ihm nach, er sei mehr über die einzelnen Ortsbewohner informiert, als die restlichen Bewohner über ihre Mitbürger.
Je mehr er seine Hirnwindungen strapazierte, umso weniger kam er zu einem Ergebnis. Ihm kam niemand in den Sinn, der zu einer solchen Forderung imstande wäre. Sicher, es gab schon merkwürdige Typen hier im Hochwald, ausgeflippte und schräge, verschrobene und äußerst merkwürdige, schon allein in seinen politischen Reihen, wie er lächelnd für sich feststellte.
Vor dem Amt fuhr ein Auto vor und zwei Türen schlugen. Er ging zum Fenster und sah parallel zum Radweg einen Ford Mondeo, dem gerade ein junger blonder Mann mit einem Zopf und eine noch jüngere brünette Frau mit lockerer Bluse und Jeans entstiegen waren.
Es wird noch etwas dauern, bis die Polizei kommt, dachte er bei sich. Es dauert halt immer etwas hier im Hochwald. Wahrscheinlich kommen sie von der Dienststelle in Hermeskeil, falls sie in diesem Fall zuständig sind. Anderenfalls kommen sie direkt aus Trier, aus einer Sonderkommission oder so.
In seine Gedanken hinein klopfte es an der Tür zum Sekretariat. Erstaunt öffnete er die Zwischentür zu seinem Büro und bemerkte den bezopften Kopf, den er noch eben vor seiner Dienststelle in Begleitung der jungen Frau gesehen hatte.
„Ja, bitte? Wenn Sie ein Anliegen haben, meine Sachbearbeiter …“
„Wir sind von der Polizei“, sagte der Mann leise und betont freundlich und machte einen Schritt in den Raum hinein. „Kriminalpolizei Trier.“ Dann ging er auf Anders zu und streckte ihm seine Hand zum Gruß.
„Overbeck, mein Name“, sagte er freundlich. „Das ist meine Kollegin Marlene Schiffmann.“
Leni trat aus dem Windschatten Overbecks hervor und reichte Anders, dessen Miene sich etwas aufzuhellen schien, die Hand.
„Sie werden erpresst?“, fragte Leni sofort unverblümt. „Wo können wir uns unterhalten?“
„Treten Sie ein, Frau … Schiffmann, Herr … Overmann.“
„Overbeck“, kam es freundlich lächelnd zurück. „Mein Name ist Overbeck.“
„Ja, Herr …“, brachte Anders fahrig hervor. „Kommen Sie bitte mit.“
Er ging vor in sein großräumiges Büro und geleitete die beiden zu einem runden Tisch in der Nähe des Fensters, wo sie Platz nahmen.
„Frau Becker! Bringen Sie uns bitte …“ Mitten im Satz hielt er inne. „Sie müssen entschuldigen, meine Sekretärin hat heute früher als sonst Schluss gemacht und ich dachte …“
„Dass Sie uns einen Kaffee anbieten sollten“, warf Overbeck ein. Das ist nett gemeint, aber nicht nötig. Kommen wir gleich zur Sache.“ Obwohl er es wusste, fragte er: „Sie werden erpresst? Haben Sie ein Erpresserschreiben oder hat sich der Erpresser telefonisch gemeldet?“
„Beides“, beeilte sich Anders zu bestätigen. „Beides. Als erstes habe ich heute dieses Schreiben mit der Post erhalten.“ Er erhob sich, schritt zu seinem Schreibtisch und legte schließlich den Umschlag mit dem Erpresserbrief vor Overbeck.
„Ich habe ihn in eine Kunststoffhülle gesteckt“, sagte er stolz. „Wegen der Spuren, wissen Sie?“
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