Hans Müller-Jüngst
Paulo wächst auf und wird flügge (1)
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Inhaltsverzeichnis
Titel Hans Müller-Jüngst Paulo wächst auf und wird flügge (1) Dieses ebook wurde erstellt bei
Los Rios
EBRO
DUERO
Tajo
„Peter und Fips
GUADIANA
GUADALQUIVIR
EL VIAJE Mexiko
Moskau
Istanbul
„Orhan und seine Katze Filippo:
Impressum neobooks
Mein Name ist Paulo Köhler, ich bin der Sohn von Alfred Köhler, einem Polizeibeamten und seiner Ehefrau Ilse, einer Hausfrau.
Mein Bruder Klaus ist 14 Monate und mein Bruder Fred ist 9 Jahre älter als ich.
Klaus machte eine Ausbildung zum Fernmeldemonteur, Fred wurde Einzelhandelskaufmann.
Ich war dazu auserkoren, das Gymnasium zu besuchen.
Schon früh entwickelte ich einen Hang zum Spanischen.
Meine Mutter sagte sehr oft die fünf spanischen Hauptflüsse auf: Ebro, Duero, Tajo, Guadiana, Guadalquivir.
Komischerweise hat sie die aus ihrer Schulzeit behalten.
Ich konnte sie bald nachplappern.
Mutter kannte auch die Namen der zwölf Apostel, die habe ich aber nicht gelernt.
Ich schaute mir das schöne große Land Spanien oft im Atlas an.
Meine Eltern flogen später oft nach Mallorca, wie viele andere auch.
Ich fuhr viele Male nach Spanien; zuerst an die Atlantikküste ins Baskenland.
Mein Klassenkamerad Axel und ich, wir hatten einen alten Opel P1, für den wir in Poitiers eine neue Lichtmaschine kaufen mussten.
Wir hatten die Haare lang und fielen deshalb natürlich überall auf.
Geschlafen haben wir in Bundeswehrschlafsäcken am Strand.
Ein schöneres Bett habe ich nie gehabt.
Spanien war damals spottbillig, eine Stange Celtas Selectas kostete umgerechnet drei Mark, die Rückbank im Auto lag immer voll mit Zigaretten.
Ein riesiges Glas Gin Tonic (Gordon`s Dry Gin, Schweppes Tonic Water) kostete 80 Pfennige.
Ein Zimmer kostete 5 Mark die Nacht und ein Essen im Restaurant waren extrem billig.
Hier ließ sich leben, dazu die fantastische Landschaft und das herrliche Wetter.
Dass die Spanier zum Teil in relativer Armut lebten, dass das Franco-Regime schon seit fast dreißig Jahren an der Macht war, dass die Guardia Civil sich so manchen Übergriff erlaubte - ein Beamter stand mal mit seinen Stiefeln auf meinen bloßen Füßen und schaute mir aus circa dreißig Zentimetern direkt in die Augen, weil wir barfuß und mit freiem Oberkörper durch das Dorf gingen – das bekam man nur am Rande mit.
Im Jahr darauf fuhr ich mit meiner Freundin Carola wieder ins Baskenland, von da quer durch das riesige Land ebroabwärts bis zur Costa Brava.
Ein anderes Mal fuhr ich zur Ebromündung nach Alcanar in das Haus einer guten Bekannten.
Später ging es nach Andalusien und nach Sevilla.
Selbstverständlich war ich auch ein paar Mal auf Mallorca und einmal auf Gran Canaria.
Ich lernte die spanische Lebensart und die spanische Kultur lieben.
Weil ich in der Schule Latein gelernt hatte, fiel es mir relativ leicht, Spanisch zu sprechen, g und j sprach man wie das ch in Lachen aus.
Das war vielleicht etwas gewöhnungsbedürftig.
Ansonsten musste man die Vokabeln kennen, um wenigstens zu radebrechen.
Meine Spanienliebe brachte mir irgendwann den Namen Paulo ein,den wurde ich nicht mehr los.
Paulo war ein lustiger Name, der erste Sohn Pablo Picassos hieß Paulo.
Ich hatte Pablo Picasso immer verehrt.
Vater brachte nach Dienstschluss immer seine Uniform mit nach Hause. Die hing zusammen mit seinem Pistolenhalfter, seinem Gürtel und einem Knebel im Flur an der Garderobe.
Der Knebel war eine Kette, die Verhafteten um die Handgelenke geführt wurde, an deren Ende befanden sich verstärkte Griffe, die man ineinanderlegen konnte, sodass sie nur einen Griff bildeten.
Durch Verdrehen dieses Griffes zog man die Kette um die Handgelenke stramm und machte sich so den Verhafteten gefügig.
Mein Bruder und ich haben mit dem Knebel oft „Abführen“ gespielt, an die Pistole haben wir uns nicht getraut.
Vater hatte immer Schichtdienst beim Verkehrsunfallkommando. Er hatte die Führerscheine aller Klassen und konnte mit dem öffentlichen Personennahverkehr umsonst fahren.
Er fuhr immer mit dem Bus zum Dienst.
Stets trug er – auch im Sommer – lange Unterhosen. Wahrscheinlich hatte sich diese Angewohnheit aus der Kriegszeit erhalten, er war ja Soldat gewesen.
War er mittags zu Hause, so legte er sich unmittelbar nach dem Mittagessen hin und hielt einen zweistündigen Mittagsschlaf. Wir mussten in dieser Zeit leise sein, jedenfalls so leise, dass er nicht gestört wurde.
War er abends zu Hause, so saß er zumeist in der Küche und las Zeitung.
Vor den Fernseher setzte er sich nur zur Tagesschau, zur Wetterkarte und samstags zur Unterhaltungssendung.
Wochentags verließ er das Wohnzimmer unmittelbar nach der Wetterkarte.
Bekam er noch die Programmansagerin zu sehen, machte er oft die Bemerkung:
„Was ist das denn für ein Schmalzküken?“ oder er sagte empört:
„Mein Gott und das für unsere sieben Mark!“
Morgens oder nachmittags war Vater unten.
Unten waren der Hof, die Laube, der Schuppen, der Kaninchenstall und natürlich der Garten.
Er trug unten meistens seine Holzschuhe, die er Klotschen nannte.
Unten gab es jede Menge zu tun, nicht nur mussten die Kaninchen versorgt werden, es musste auch Holz gehackt, es mussten die Schuhe geputzt, es mussten die Hühner gefüttert und der Garten umgegraben werden.
Die Gartenarbeit variierte je nach Jahreszeit, war in der Regel aber immer anstrengend, jedenfalls für uns Kinder bzw. Jugendliche.
Mutter war immer dominant, was Vater aber akzeptierte, ohne als Pantoffelheld dazustehen.
Er sprach Mutter oft ein Lob für ihre Hausarbeit aus, besonders lobte er ihre Kochkunst.
Jedes Jahr ließ er sich wegen eines Ischiasleidens eine Kur verschreiben, sodass er bald alle Kurorte kannte. Später fuhr Mutter oft mit zur Kur, beide machten sie einen schönen Urlaub.
Von der Sanitätsstelle der Polizei brachte er jede Menge kostenloser Medikamente mit, so zum Beispiel gezuckerte Hustenpastillen, die wir „Knüsselchen“ nannten.
Er war ein schwer zu beschreibender Mensch, insgesamt war er eher ruhig (nicht still), lachte aber gern in Gesellschaft; vermutlich war er ein Kriegsopfer, redete aber nicht so gern darüber.
Seine Arbeit war wohl belastend, seinen Beamtenstatus wusste er aber auszukosten, jedenfalls ließ er gelegentlich seine Beziehungen spielen.
Das Presbyterium der Evangelischen Kirchengemeinde wählte ihn später zum Kirchmeister.
Von da an spielte sich ein großer Teil der Gemeindepolitik bei uns zu Hause ab.
Die jeweiligen Pastoren gaben sich die Klinke in die Hand, mussten doch alle finanziellen Kirchenentscheidungen den Segen meines Vaters tragen.
Im Laufe der Jahre machte sich bei ihm ein verschlepptes Lungenemphysem bemerkbar, das er sich sicher im Kriege oder bei seiner Raucherei eingehandelt hatte.
Er verstarb im Jahre 1986.
Oma Buchecker wohnte unten im Hause, ihre Wohnung lag zur Hofseite hin. Sie stammte aus Ostpreußen, was man unschwer hören konnte, hängte sie doch an alles, was sie sagte, ein typisches „näch“ an.
Theo Kolb, dessen Schwiegermutter Oma Buchecker war, hatte die Wohnung nebenan. Er wohnte da mit seiner Familie, unter anderem mit seinem Sohn Theo, der etwa so alt war wie mein Bruder und ich, mit dem wir aber nicht so viel zu tun hatten.
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