Hans Müller-Jüngst
Clarissa und Fiete VI
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Inhaltsverzeichnis
Titel Hans Müller-Jüngst Clarissa und Fiete VI Dieses ebook wurde erstellt bei
Ruhestand
Familie al-Haruk
Auf den Lofoten
Rechter Hass
Jahreswechsel
Einbruch bei Britta und Jan
Sommer auf Süderland
Impressum neobooks
Fiete zog langsam den Sophie-Bötjer-Weg in Worpswede entlang, er konnte seit seinem Unfall auf der Baustelle vor 20 Jahren nicht mehr so schnell laufen, weil er einen irreparablen Hüftschaden davon getragen hatte. Man sieht ihm die leichte Behinderung so nicht an und bekommt nur etwas davon mit, wenn man direkt neben ihm herläuft, und auch dann muss man schon genau hinsehen. Fiete war anfangs sehr mitgenommen von seiner leichten Behinderung und schämte sich beinahe, vor die Tür zu gehen. Bis Sophia und Ole einmal auf ihn einredeten und ihn zur Räson brachten:
„Stell Dich doch nicht so an“, sagten sie ihm, „sei doch froh, dass bei Deinem Unfall nichts Schlimmeres mit Dir passiert ist!“ Auch Clarissa hatte sich auf die Seite der Kinder geschlagen und Fiete davon überzeugt, dass er die Folgen seines Unfalls nicht so schwer nehmen sollte.
Fiete wusste sich im Laufe der Zeit mit seinem leichten Gehfehler zu arrangieren und blickte heute dem Ende seiner beruflichen Tätigkeit entgegen. Er würde sein Büro in Osterholz-Scharmbeck Marias Mann Szymon übergeben, den er damals eingestellt hatte, und der, obwohl er kein Ingenieur war, seine Arbeit so gut machte, dass viele Auftraggeber das Gespräch mit ihm statt mit Fiete suchten. Fiete war jetzt 63 Jahre alt und konnte auf ein langes und erfolgreiches Leben als Elektroingenieur in der Windkraftbranche zurückblicken, Auch Clarissa dachte daran, ihre Praxis aufzugeben und sich zur Ruhe zu setzen, sie wollte die Praxis an einem Absolventen der Uni Hannover im Fachbereich Veterinärmedizin übergeben, so wie sie damals die Praxis von ihrem Vorgänger übernommen hatte. Sie hatte im „Weser Kurier“ ein Annonce aufgegeben, in der sie ihre Praxis anbot und wartete auf Interessenten. Clarissa hatte sich in ihrer Zeit als Tierärztin einen sehr guten Ruf erworben. Sie wurde im gesamten Umkreis von Worpswede geachtet, und auch bei den Patienten in der Stadt war sie hochverehrt. Das lag an der hochqualifizierten Tätigkeit als Tierärztin und an ihrer Gabe, ein Ohr für die Sorgen ihrer Patientinnen zu haben und tröstend darauf einzugehen. Sie hatte geradezu psychotherapeutische Fähigkeiten entwickelt.
Sophia war inzwischen 30 Jahre alt, sie war Allgemeinmedizinerin geworden und mit einem Arzt verheiratet. Die beiden betrieben eine Gemeinschaftspraxis in Hamburg und dachten daran, bald Kinder in die Welt zu setzen. Sophia war eine ausgesprochen schöne junge Frau geworden, sie war groß und schlank und hatte die langen wilden Haare ihrer Mutter, sie war mit ihrem Mann Ralph sehr glücklich. Wenn es ihre Zeit zuließ, kamen die beiden nach Worpswede rüber und verbrachten einen schönen Abend mit Sophias Eltern, mit denen sie zusammen aßen und gute Gespräche führten. Manchmal war auch Ole mit seiner Frau Sybille dabei. Ole war 32 Jahre alt und glich in seiner äußeren Statur seinem Vater, er war groß gewachsen und hatte einen athletischen Körperbau. Er hatte in Berlin Geologie studiert und auch in Berlin promoviert. Er war am Geophysikalischen Institut in Potsdam beschäftigt, seine Frau war Grundschullehrerin in Potsdam. Auch Sybille und Ole führten ein glückliches Leben miteinander. Sie trafen sich mit Sophia und Ralph nur selten und wenn, dann in Worpswede bei den Eltern. Es war ein Samstagnachmittag, an dem Clarissa ein Gespräch mit dem möglichen Nachfolger in ihrer Praxis führen wollte. Am Abend wollten die Kinder mit ihren Ehepartnern zu Besuch kommen. Gegen 14.00 h schellte es, und als Clarissa die Haustür öffnete, stand draußen ein junges Pärchen.
Clarissa wusste gleich, dass es sich um die Aspiranten auf ihre Praxis handelte und bat die beiden ins Haus. Sie fühlte sich an ihre eigene Studentenzeit zurückerinnert, wenngleich die 30 Jahre zurücklag. Die junge Frau stellte sich als Brigitte Mehnert vor, und sie wollte die Praxis gern nach ihrem Studium übernehmen, ihr Freund hieß Herbert Jäger. Clarissa sagte, dass sie auch in Hannover studiert hätte und kam gleich mit Brigitte über die neuen Studieninhalte ins Gespräch. Sie waren sich auf Anhieb sympathisch, Fiete saß mit in der Runde und sorgte für Getränke. Clarissa hatte in der Bäckerei Kuchen besorgt, und sie aßen ihn und unterhielten sich dabei über die Besonderheiten der Worpsweder Tierarztpraxis. Brigitte war schon klar, dass der Praxisdienst verbunden war mit der Betreuung der umliegenden Bauern, und Clarissa erzählte ihr, dass sie sich bei manchen erst einmal einen festen Stand verschaffen müsste.
„Wann kann ich die Praxis denn übernehmen?“, fragte Brigitte direkt, und Clarissa sah sie leicht überrascht an, war auf der anderen Seite von Brigittes Direktheit aber auch ganz angetan.
„Wenn es nach mir ginge, könnten Sie sofort, nachdem Sie Ihr Examen in der Tasche haben, hier anfangen, aber Sie haben doch die Praxis noch gar nicht gesehen!“, konterte Clarissa.
„Das macht gar nichts, ich habe mich bei Ihnen gleich wohlgefühlt, und ich kann die Praxis ja auch umgestalten, von mir aus können wir aber auch gleich eine Besichtigung vornehmen!“, sagte Brigitte.
„Lassen Sie uns doch zuerst Kaffee trinken und Kuchen essen, danach können wir in die Praxis gehen!“ Nachdem sie später die Praxis besichtigt hatten, war Brigitte überaus eingenommen von der Praxiseinrichtung.
„Wenn Sie zuschlagen wollen, dann tun Sie´s, Sie sind die erste Bewerberin auf meine Praxis!“ Brigitte sah ihren Freund an und griff zu. Sie hatten sich nur ganz kurz noch über die Kaufsumme unterhalten, danach war die Sache unter Dach und Fach. Fiete schenkte jedem einen Korn ein, und sie stießen auf den erfolgreichen Abschluss miteinander an.
„Sie müssen in drei Tagen noch einmal wiederkommen und den notariellen Abschluss mit mir abwickeln“, sagte Clarissa zu Brigitte.
„Wir hätten Ihnen gerne die Möglichkeit angeboten, bei uns zu übernachten, aber heute Abend kommen unsere Kinder mit ihren Ehepartnern zu Besuch, sodass wir dann keinen Platz für alle haben“, sagte Fiete.
Brigitte und Herbert verabschiedeten sich nach 2.5 h und fuhren nach Hannover zurück, Clarissa und Fiete waren dann allein und legten sich auf die Terrasse, um eine Stunde zu relaxen. Es war von vornherein klar, dass sie nicht ihr ganzes Haus verkaufen wollten. Sie wollten so lange wie möglich in ihm wohnen bleiben.
„Wie fandest Du die beiden?“, fragte Clarissa Fiete.
„Erfrischend jung und voller Tatendrang“, antwortete er.
Als die beiden es sich auf ihren Liegen gemütlich gemacht hatten, schwiegen sie, und jeder dachte sich seinen Teil zu der Veräußerung der Praxis. Clarrissa hatte ihre Augen geschlossen ohne zu schlafen, das war Ausdruck ihres Relaxtseins und sie fühlte sich wohl dabei. Sie hatte im Alter an Körperumfang zugelegt ohne als dick bezeichnet werden zu können. Ihr Gesicht war gegenüber früher fülliger geworden, sie hatte Falten bekommen und trug ein Doppelkinn wie beinahe alle Frauen in ihrem Alter. Clarissa machte sich Gedanken zu ihrem Äußeren und vergewisserte sich gelegentlich bei Fiete, dass sie nicht zu dick war. Fiete gab ihr dann zu verstehen, dass er sie nach wie vor liebte, auch wenn sie sich äußerlich verändert hatte, und Clarissa war zufrieden mit seiner Auskunft. Sie hatte auch an den Oberarmen zugelegt und auch einen leichten Bauch bekommen, nicht sehr ausgeprägt, aber schon sichtbar. Sie versuchte, das mit weiten Blusen zu kompensieren ohne dabei zu übertreiben. Auch ihr Po und ihre Oberschenkel hatten an Fülle zugenommen, sodass sie ihre Hosen gegenüber früher eine bis zwei Nummern größer kaufen musste.
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