„Also, wir müssen das erst einmal verdauen“, sagte Sophia, „es ist nicht so, dass Eure Ankündigung so plötzlich kommt, aber ihr stellt uns quasi vor vollendete Tatsachen.“
„Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr wünsche ich Euch ein geruhsames Rentnerdasein, Ihr habt ja Recht, das Alter habt Ihr bereits und irgendwann müsst Ihr eben in Rente gehen, nur dass das jetzt so plötzlich auf uns eindringt, damit müssen wir erst einmal fertig werden!“, meinte Ole. Clarissa und Fiete liefen in die Küche und holten die Schnitzel, die Kartoffeln und den Salat und stellten die Sachen auf den Terrassentisch. Jeder nahm sich von dem guten Essen, und nachdem Clarissa einen guten Appetit gewünscht hatte, begannen sie mit ihrem Abendessen. Während des Essens verlor niemand ein Wort, Ole schlang die Schnitzel geradezu in sich hinein.
Das hatte er früher schon so getan, wenn Maria Schnitzel zubereitet hatte, und Krzystof und er nicht genug davon bekommen konnten. Einen Augenblick später fragte Sophia:
„Was werdet Ihr denn mit Eurer ganzen Freizeit anstellen, habt Ihr eigentlich irgendwelche Hobbys?“ Clarissa antwortete:
„Ich denke, dass ich zuerst viel Zeit mit Lesen verbringen werde, das ist etwas, das in letzter Zeit bei mir viel zu kurz gekommen ist, wenn Ihr also an Geburtstagen oder an Weihnachten an Geschenken für mich überlegt, denkt daran, mir Bücher zu schenken!“
Fiete musste eine Zeit lang überlegen, bevor er sagte:
„Ich werde sicher auch viel Zeit damit verbringen, zu lesen, aber ich glaube, dass ich mich noch eine Zeit lang auf unseren Baustellen blicken lassen werde!“ Er sagte „auf unseren Baustellen“ und veranschaulichte damit, dass er sich wohl für einige Zeit nicht von seiner Arbeit würde trennen können.
„Woran habt Ihr denn gedacht, wenn Ihr etwas lesen wollt?“, fragte Sibylle.
„Ich kann mir vorstellen, mit skandinavischen Krimis anzufangen, und ich glaube, dass das auch etwas für Fiete wäre“, antwortete Clarissa.
„Da gibt es inzwischen eine Fülle von Titeln auf dem Büchermarkt, und ich denke, dass wir da für Euch schon etwas Passendes finden werden“, sagte Sophia.
„Ganz so weit wie bei Fiete ist es bei mir ja noch nicht, Brigitte, so heißt meine Nachfolgerin, muss erst noch ihr Examen machen, da wird schon noch ein Monat ins Land gehen“, entgegnete Clarissa.
„Ich habe schon die Modalitäten der Firmenübergabe mit Szymon besprochen und auch eine Summe mit ihm vereinbart, zu der er die Firma übernehmen kann, ich denke, dass das alles am Mittwoch über die Bühne gehen wird“, sagte Fiete. Sie lehnten sich nach dem Essen zurück und redeten über alte Zeiten.
„Habt Ihr eigentlich noch Kontakt zu Familie Dreesen“, fragte Ole, „die beiden Jungen müssten doch inzwischen Mitte bis Ende dreißig sein?“
„Ich bin hin und wieder noch zu Frau Dreesen nach Lilienthal gefahren, und ich glaube, dass es ihr gut geht, die Jungen sind natürlich längst ausgezogen, ich weiß aber nicht, was sie machen, und wo sie wohnen, Frau Dreesen hat schon seit Jahren wieder einen Freund!“, sagte Fiete.
„Seht Ihr denn Maria noch häufig?“, fragte Sophia.
„Maria hat mir heute bei der Essenszubereitung geholfen , hin und wieder kommt sie noch zu uns, und wir trinken eine Tasse Kaffee zusammen und unterhalten uns über Euch und über Krzystof, das kommt aber nicht sooft vor.“ Es ließ sich an diesem Abend wunderbar auf der Terrasse sitzen und plaudern. Fiete sorgte immer für den Getränkenachschub und versorgte die Männer mit Bier und die Frauen mit Weißwein.
Plötzlich erschien er mit der Schnapsflasche und goss jedem ein Pinnchen ein, und das war auch neu an ihm. Er trank schon mal einen Schnaps, was er früher weit von sich gewiesen hatte. Nur auf der Baustelle mit seinem Auftraggeber trank er schon mal einen, oder er hat früher schon einmal einen Korn mit seinem Vater getrunken. Dass er aber von sich aus mit dem Schnaps ankam, das war etwas Neues.
„Nicht dass Ihr denkt, ich wäre unter die Schnapstrinker gegangen, aber einen können wir doch ruhig trinken!“, sagte Fiete und stieß mit allen auf den schönen und gemütlichen Abend an. Der würde sich in Zukunft wohl öfter ergeben. Gegen Mitternacht gingen sie in ihre Betten, Sophia und Ole gingen mit ihren Ehepartnern auf ihre alten Kinderzimmer. Clarissa und Fiete hatten sie ein wenig umgeräumt, sie hatten die Schreibtische und Kinderbetten rausgeworfen und stattdessen große Doppelbetten hineingestellt. Am nächsten Morgen wurde lange gefrühstückt, und sie nahmen sich vor, anschließend auf den Weyerberg zu spazieren. Alle halfen dabei, die Frühstückssachen von der Terrasse in die Küche zu tragen und sie gingen danach los. Im Ort war an diesem Sonntagmorgen noch nicht so viel los, und die Leute, die sie unterwegs antrafen, kannte Clarissa alle, und sie musste sie natürlich grüßen. Sie gingen am „Kaffee Worpswede“ vorbei und erklommen den leichten Anstieg auf den Weyerberg.
Oben angekommen, setzten sie sich ins Gras und machten eine kleine Pause. Ihren Blick hatten sie auf den Niedersachsenstein gerichtet, die expressionis-tische Backsteinskulptur, die an die Gefallenen aus dem 1. Weltkrieg erinnern sollte.
„Das letzte Mal waren wir hier oben, als Solveig und Ole uns vor zwei Jahren besucht hatten“, sagte Fiete.
„Wie geht es eigentlich den Norwegern?“, fragte Ole und Clarissa antwortete:
„Die beiden erfreuen sich bester Gesundheit und leben nach wie vor in Flakstad auf den Lofoten, Solveig hat ihre Gaststätte längst verkauft und sie kann sich mit Ole von dem Verkaufserlös ein schönes Leben leisten, Astrid ist als Bibliothekarin nach Bergen gezogen und lebt dort mit ihrem Mann und ihren Kindern, ich glaube, wir sollten bald einmal wieder auf die Lofoten fahren!“
„Lass uns doch im nächsten Monat hochfahren!“, schlug Fiete vor und Clarissa war sofort einverstanden.
„Sollen wir zum Niedersachsenstein gehen?“, fragte Sibylle, und ohne groß zu diskutieren standen alle auf und liefen in das kleine Waldstück, das die Backsteinskulptur verbarg. Alle waren sie schon mehrere Male am Niedersachsenstein gewesen, und sie waren immer wieder ergriffen von der ausdrucksstarken Skulptur. Sie liefen langsam den Berg wieder hinab und in den Sophie-Bötjer-Weg zurück. Die jungen Leute packten ihre Sachen zusammen, dann fuhren sie los zu sich nach Hause. Es hat das übliche Verabschiedungsritual gegeben, und als sich alle umarmt hatten, standen Clarissa und Fiete noch am Straßenrand und winkten.
Danach gingen sie ins Haus und setzten sich auf ihre Terrasse. Gleich war wieder die von Clarissa und Fiete so gemochte Ruhe eingekehrt. Sie mochten den Trubel, der herrschte, wenn die Kinder da waren, und der würde noch zunehmen, wenn sie im nächsten Jahr Enkelkinder hätten. Aber sie sehnten auch immer die Stille herbei, in der sie im Sommer und an warmen Frühjahrs- und Herbsttagen auf der Terrasse entspannen konnten. Clarissa hatte noch nie mit Fiete über den Beginn seines Ruhestandes gesprochen, und sie fragte ihn dann:
„Was machst Du denn, wenn Du ab Mittwoch Rentner bist?“ Fiete tat zunächst ganz unbekümmert, musste dann aber eingestehen, dass er sich darüber noch keine Gedanken gemacht hatte:
„ich weiß es noch nicht, ich werde am Donnerstag wohl sehr ausgiebig frühstücken und die Zeitung lesen.“ Sie verbrachten den ganzen Sonntag auf ihrer Terrasse, dösten vor sich hin und gaben ab uns zu Bemerkungen zum Samstagabend von sich. Plötzlich sagte Clarissa:
„Wenn wir wirklich im nächsten Monat auf die Lofoten wollen, solltest Du Solveig und Ole anrufen und unser Kommen ankündigen!“ Fiete stand auf und holte das Telefon. Er wählte die Nummer von Solveig und Ole und wartete, bis Solveig am Apparat war. Die Freude war riesig, besonders, nachdem Fiete ihr ihr Kommen mitgeteilt hatte, und er konnte hören, wie sich im Hintergrund auch Ole freute.
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