Hans Müller-Jüngst
Morde und Leben - Hans und Werner
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Inhaltsverzeichnis
Titel Hans Müller-Jüngst Morde und Leben - Hans und Werner Dieses ebook wurde erstellt bei
Mord an Conchita Gutierrez
Conchitas Eltern in Essen
Ermittlungen in Mexiko
Ausflug nach Puerto Escondido
Mexico City
Zurück in Oaxaca
Zurück nach Deutschland
Kapstadt
Johannesburg
Upington
Die Kalahari
Gaborone
Krüger Park
Noch einmal in Oaxaca
Impressum neobooks
Mord an Conchita Gutierrez
In Amsterdam gab es etwas, das ich nirgendwo sonst erlebt hatte, möglicherweise verschloss es sich mir auch wegen fehlender Sprachkenntnisse in Rom, Paris oder Barcelona. Es tat sich auf, sobald man nach zwei Stunden Fahrt den Wagen abgestellt hatte, die Altstadt betrat und tief durchatmete. Mit der eingeatmeten Luft inhalierte man die Gerüche von Multikulturalität und Freiheit, es war tatsächlich so, dass man glaubte, den Mief von Zuhause hinter sich gelassen zu haben und in eine andere Welt eingetaucht zu sein. Es umgab einen das Aroma von Pommes Frites, Van Nelle´s Tabak und Marihuana aus den Coffee-Shops.
Was daran so besonders wäre, fragten viele und ich musste antworten, dass ich das nicht wüsste, es wäre aber diese Geruchsmischung, kombiniert mit dem Blick auf die schönen alten Häuser und die Menschen aus aller Herren Länder, die sich zu einem Gesamteindruck verfestigten, zu einer Wahrnehmungsbesonderheit, wie sie vielleicht nur jüngere Menschen an sich heranließen. Immer, wenn ich in späteren Zeiten nach Amsterdam gefahren war, suchte ich diesen Eindruck, der sich mir in meiner Jugendzeit vermittelt hatte, vergebens, was nicht heißen musste, dass es ihn nicht mehr gäbe, die spezifischen Wahrnehmungskanäle, durch die er damals in einen eindrang, waren nur verschüttet von einem Wust von Erfahrungen, die man gemacht hatte, und durch die wie durch einen Filter alles an äußeren Reizen gehen musste. Schaffte man es, diesen Filter für eine Zeit auszuschalten, musste man sich womöglich überwinden und fand die auf einen einströmenden Eindrücke ekelhaft, ein Zeichen dafür, dass man nicht in der Lage war, unvoreingenommen Dinge in sich aufzunehmen, die man in seiner Jugend wertfrei an sich herangelassen hatte. Am Dam-Denkmal zu sitzen, einen Joint zu rauchen und sich die Sonne auf den Pelz scheinen zu lassen, das war das Größte. Man saß mit unzähligen anderen und redete kaum ein Wort, alle waren wie weggetreten, was nicht nur am Joint lag, sondern was die Atmosphäre bewirkte, die sich zu etwas Unvergleichlichem verdichtete und die man auch niemandem, der sie nicht selbst erlebt hatte, mitteilen konnte, weil Worte oder Fotos nie ausreichten, zu beschreiben, was sich dort auf dem Dam ereignete, das gesamte Umfeld erzeugte ein Gefühl großer Toleranz, auch wenn jemand noch so schrill aussah.
Das alles empfand man heute nicht mehr, jedenfalls blieb einem der Zauber dieser zurückliegenden Zeit verbarrikadiert, man dachte wehmütig daran zurück, wenn man in Amsterdam gewesen war, den Dam gab es immer noch und auch die alten Häuser, es gab das „Paradiso“ in der Weteringschans und zweihundert Meter entfernt am Leidseplein „t´Cafe“. Das war eine Kneipe, die das Herz von Amsterdam in sich aufgenommen zu haben schien, in der, genauso wie im Paradiso, die Rolling Stones verkehrt hatten und wo man an der Theke stand, ein Pils trank, einen Joint rauchte. Nostalgisch, dieser Rückblick, aber das sollte er auch sein, ein unwiederbringliches Stück Leben, wie ich es nirgendwo anders mitbekommen hatte. Ich war damals noch Schüler am Gymnasium und nach dem Abitur zur Polizei gegangen, der Grund war einfach der, dass man sofort Geld bekam, obwohl man in der Ausbildung war, ich habe diesen Schritt aber bis in die heutige Zeit nicht bereut.
Mittlerweile war ich Kriminalhauptkommissar am Polizeipräsidium in der Zweigertstraße in Essen, ich hatte die Stationen der Kommissarslaufbahn absolviert, war in Hiltrup auf der Polizeischule gewesen und war nach der Beförderung zum Kommissar auf verschiedenen Wachen eingesetzt, wo ich den regulären Dienst verrichtete und auf Streife fuhr, was sich meistens in Essener Vororten vollzog und ich bekam dort einiges mit, was zu meiner Lebensreife beitrug.
Das Abgeschmackteste waren Wirtshausschlägereien in den Stadtteilen, die bevorzugt von bildungsferneren Schichten bewohnt wurden, die lagen im Essener Norden und ich erinnerte mich an einen Einsatz, bei dem es sehr brenzlig zuging Mein Kollege und ich sind zu einer schäbigen Kneipe in Essen-Katernberg gerufen worden, es war schon später Abend und es schwante uns nichts Gutes. Wir haben noch überlegt, gleich Verstärkung mitzunehmen, waren aber doch allein losgefahren. Im Regelfall lösten sich solche Schlägereien sofort auf, wenn die Polizei die Szene betrat, oftmals waren ja Nichtigkeiten der Anlass, aus dem man sich schlug. Bei dem Einsatz in der „Schwämme“, so der abstoßende Name der Kneipe, war aber alles anders, wir betraten den Gastraum und niemand nahm Notiz von uns. Es prügelten sich auch nicht nur einige Gäste, sondern der gesamte Kneipenbesuch war in eine Schlägerei verwickelt, bei der es mächtig zur Sache ging. Mein Kollege und ich merken auf Anhieb, dass dort etwas anderes, Brutaleres im Gange war, als das sonst bei Kneipenschlägereien der Fall war, man ging mit Stühlen und abgeschlagenen Gläsern aufeinander los, es floss auch schon viel Blut. Gerade als ich mein Funkgerät zückte, um den Notarzt anzurufen, sah ich, wie jemand mit einem Stuhl auf mich losging und wäre ich seinem Schlag mit dem Stuhl nicht ausgewichen, wer wusste schon, was mit mir passiert wäre, so traf er mich an der Schulter und ich trug schlimme Schmerzen davon.
Eine spätere eingehende Untersuchung durch den Polizeiarzt ergab aber nur eine Prellung, die ich auskurieren müsste, wozu er mir die Schulter drei Tage lang ruhigstellte, indem er meinen Arm in einen engen Verband um den Oberkörper zwang. Mein Kollege legte dem Angreifer Handschellen an und ich hatte meine Waffe gezogen, als die Tür aufging und Verstärkung die Kneipe betrat, die der Wirt herbeigerufen hatte und die der Schlägerei im Nu ein Ende bereitete. Es waren drei Notärzte mitgekommen, die sich um die Verletzten kümmerten und sie in die Ambulanz brachten. Ich hatte es meinem Kollegen und meiner schnellen Reaktion zu verdanken, dass nichts Schlimmeres passiert war, das war der übelste Einsatz, den ich in der Frühphase meines Polizeidienstes hinter mich gebracht hatte. Ich wurde nach der harten Bewährungszeit im Dienst vor Ort befördert, bis ich das wurde, was ich war, Hauptkommissar bei der Kriminalpolizei. Ich fühlte mich sehr wohl in meinem Job, das Polizeipräsidium in der Zweigertstraße war ein großer heller Bau, der in seiner Architektur viel mit einem alten Gymnasium gemein hatte.
Ich kam in meiner Leitungsfunktion kaum noch vor die Tür und hatte mit der Delegation von Ermittlungsaufgaben zu tun, was auch Spaß machte, aber die Tuchfühlung mit der Basis vermissen ließ. Ich hatte mich gerne mit den Menschen im Essener Norden unterhalten, sie waren absolut authentisch und herzensgut, wenn man sie halbwegs kannte, konnte man von ihnen haben, was man wollte. Die Szene, die sich damals in der „Schwämme“ abgespielt hatte, passte überhaupt nicht in den Essener Norden, es hatte sich später auch herausgestellt, dass die Rädelsführer aus Bottrop gestammt hatten. Ich hatte es mir in letzter Zeit zur Angewohnheit gemacht, von meinem Wohnort in Essen-Bergerhausen aus nach Katernberg zu fahren und mich dort zu Leuten an die Trinkhalle zu stellen, um mich mit ihnen zu unterhalten, ich trank eine Flasche Bier mit ihnen und sprach über alles Mögliche, angefangen mit Politik, über Rot-Weiß-Essen bis hin zu Brieftauben, denn Taubenvater war jeder zweite. Solche Gespräche waren für mich Seelenbalsam, ich saugte aus ihnen viel menschliche Wärme und zehrte mehrere Tage davon. Meine Kollegen zeigten mir einen Vogel, wenn ich ihnen von meinen Gesprächen an der Bude erzählte, es ging nicht in ihre Köpfe, dass ich mich als reifer Mann auf so ein Niveau herablassen konnte. Leider versiegte dieser Gesprächskult mehr und mehr, die Leute blieben zu Hause vor dem Fernseher und tranken ihr Bier dort, anstatt sich zu ihren Kumpels an die Bude zu stellen. Im Freundeskreis zu Hause vermisste ich in den Gesprächen, die wir führten, immer die menschliche Nähe, jeder redete abgehoben und gab so wenig wie möglich von sich selbst preis, ich machte es genauso wie die anderen auch.
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