Werner und ich unterhielten uns über Lupita, der der Tod von Conchita sehr nahegegangen war, sie tat uns leid, Lupita war eine sehr sympathische junge Dame, vieles von ihrer Fröhlichkeit und Lebensfreude war verschwunden, nachdem sie gehört hatte, dass ihre beste Freundin ermordet worden war, sie war fast in sich zusammengesunken, als wir ihr die schreckliche Nachricht überbracht hatten. Lupita war ausgesprochen attraktiv, groß gewachsen und schlank, ihre Körpergröße war für eine Mexikanerin geradezu untypisch, sie hatte dieses lange glänzende schwarze Haar, das ihr Markenzeichen war, meistens trug sie es offen. Ihre Figur war makellos, wenn sie ging, ging sie aufrecht und brachte ihre Proportionen zur Geltung, sie wusste zweifellos um ihre Schönheit, Conchita musste eine ähnliche Ausstrahlung gehabt haben. Werner und ich fuhren am Mittag zur Uni und hatten Schwierigkeiten, auf dem Parkplatz am Reckhammerweg noch eine freie Fläche zu finden, offensichtlich hatten heute viele Studenten einen eigenen Wagen. Die gesamte Uni-Anlage machte einen freundlichen Eindruck auf Werner und mich, die Gebäude waren farbig gehalten und hatten viele Fensterflächen, durch die das Licht hineingelangen konnte. Wir fragten auf dem Parkplatz jemanden nach der Mensa, er war Student und musterte uns beide, als wenn er sich fragte:
„Was machen denn diese Methusalems an der Uni?“ Er sagte, dass wir ihm folgen sollten, er ginge an der Mensa vorbei, „sind Sie Seniorenstudenten?“, wollte er von uns wissen und wir antworteten:
„Wir sind in der Mensa mit jemandem verabredet.“ Er hatte etwas von den vergangenen Zeiten an sich, dachte ich bei mir, er trug Jeans und Jeansjacke, allerdings Turnschuhe statt Boots, hatte die Haare zwar nicht so lang, wie das früher üblich war, aber länger als normal, auch diesen wiegenden Gang hatte er an sich, der Gang, der reinem Narzissmus entsprang und die eigene Person wichtig erscheinen lassen sollte. Wir kamen zur Mensa und bedankten uns bei unserem Helfer, er verschwand in einem anderen Gebäude und wir fanden uns unter hunderten von Studenten und wurden gemustert, als wären wir das siebte Weltwunder. Plötzlich sprach uns jemand an und wir waren erleichtert, Lupita zu sehen, sie lief mit uns zur Essensausgabe und wir reihten uns in eine Warteschlange an der Kasse ein. Werner und ich mussten den Tarif für Angestellte zahlen, der aber immer noch weit unter den Preisen in einem Restaurant lag. Wir suchten uns unter den fünf Wahlmenüs einen Eintopf aus, Lupita begnügte sich mit einem Salatteller, Werner holte für jeden ein Getränk und Lupita suchte einen Platz für uns. Sie hielt angestrengt Ausschau nach Dieter Welbers, konnte ihn aber nirgendwo entdecken, stattdessen sah sie mit einem Mal einen alten Bekannten von Conchita und zeigte ihn uns. Werner und ich ließen unser Essen stehen und liefen quer durch die überfüllte Mensa zu dessen Tisch, stellten uns unauffällig vor und baten ihn, uns an einen ruhigeren Ort zu folgen, es würde nicht lange dauern.
Unser Gegenüber stellte sich als Klaus Mertens vor und war von seinem Alter her wohl schon ein fortgeschrittener Student, wir gingen mit ihm nach draußen auf den Hof zwischen den Uni-Gebäuden, und wir setzten uns dort auf eine Bank. Als wir Klaus erzählten, dass Conchita in Amsterdam ermordet worden wäre und wir wüssten, dass er mit ihr am Baldeneysee gewesen wäre, war er sehr betroffen und fragte gleich:
„Haben Sie denn schon einen Verdacht?“ Werner antwortete:
„Wir stehen erst ganz am Anfang unserer Untersuchungen und müssen deshalb auch Dich befragen, auch müssen wir eine Speichelprobe von Dir nehmen, um Deine DNA mit der des Täters zu vergleichen.“ Werner zückte das Speichelröhrchen und fuhr Klaus mit dem Wattestäbchen durch den Mund, um es anschließend wieder in das Röhrchen zu stecken. Niemand konnte uns sehen, unsere Bank stand hinter einem Gebüsch, das alle Blicke von uns fernhielt, sodass Klaus keine Befürchtungen haben musste, bei der Speichelprobe beobachtet zu werden. Wir fragten ihn hinterher:
„Bist du in der letzten Woche in Amsterdam gewesen?“, und er wies das weit von sich, „ich stehe schließlich mitten im Semester und kann deshalb nicht einfach wegfahren. Gehöre ich denn zu dem in Frage kommenden Verdächtigtenkreis?“, und Werner und ich antworteten, ohne direkt auf seine Frage einzugehen:
„Wir nehmen jeden Verdächtigen in Augenschein und überprüfen ihn, wir werden Dir nach dem DNA-Abgleich eine Nachricht zukommen lassen“, und Klaus gab uns seine Anschrift. Anschließend gingen Werner und ich zu Lupita zurück in die Mensa, unser Eintopf war inzwischen kalt geworden und wir stocherten mit unseren Löffeln in ihm herum. Lupita sah das und fragte:
„Wollen Sie Ihr Essen nicht noch einmal aufwärmen lassen, Sie müssen nur zur Essensausgabe gehen und das Personal bitten, Ihr Essen kurz noch einmal in die Mikrowelle zu stellen.“ Das taten wir gleich, dankten Lupita für den Tipp und genossen anschließend unseren schmackhaften Eintopf.
„Sind Sie denn mit meinem Kommilitonen weitergekommen?“, fragte sie uns und wir antworteten:
„Wir haben eine Speichelrobe von ihm genommen.“ Lupita erwähnte, dass sie von Dieter Welbers bislang noch nichts gesehen hätte, wir müssten ihn wohl bei ihm zu Hause besuchen, seinen Namen hätten wir ja, seine Adresse könnte sie uns aber nicht geben. Die wüssten wir schon herauszubekommen, sagte ich, wir würden einfach beim Studentensekretariat nachfragen und uns dort seine Adresse geben lassen.
Wir standen auf und verabschiedeten uns von Lupita, die uns mit einem verhaltenen Lächeln Tschüss sagte.
Wir warteten vor dem Studentensekretariat, bis um 13.00 h die Mittagspause vorbei war und gingen zusammen mit einigen Studenten hinein, es gab drei Damen, die sich um die Besucher kümmerten. Wir warteten kurz, bis wir dran waren und sagten, was wir wollten. Unsere Dienstausweise wurden sehr genau in Augenschein genommen, denn so ohne Weiteres gäbe man keine Adresse heraus, sagte uns die Dame, aber in diesem Falle wollte sie eine Ausnahme machen. Dieter Welbers wohnte in Altenessen im Palmbuschweg, und Werner und ich stiegen gleich in unseren Wagen, um dorthin zu fahren. Wir fuhren die Altenessener Straße entlang, am Arabischen Markt und der Sparkasse vorbei, bis wir nach rechts in den Palmbuschweg abbogen. Als wir an Dieter Welbers Wohnung geschellt hatten. öffnete niemand, was uns nicht weiter verwunderte, er wäre sicher noch in der Uni, dachten wir. Ich schrieb einen Zettel, auf dem ich Dieter bat, mich auf dem Polizeipräsidium anzurufen, ich heftete meine Karte an den Zettel und steckte beides in Dieters Briefkasten. Werner und ich fuhren zum Präsidium zurück, wo wir uns weiter um Conchitas Schreibtischunterlagen kümmerten. Conchita hatte Tagebuch geschrieben, jedenfalls bis vor vier Monaten, allerdings auf Spanisch, ich konnte zwar ein wenig Spanisch, das reichte aber nicht, um das Tagebuch lesen zu können.
Es war ein geblümtes kladdenartiges Heft, das sie offensichtlich noch in Mexiko begonnen und in Deutschland fortgeführt hatte. Ich schlug die erste Seite auf und las das Datum: 30.06.2008.
Das Heft wurde also seit zwei Jahren geführt und war schon ziemlich vollgeschrieben, ich müsste es übersetzen lassen und gab es zu einer Spanisch sprechenden Kollegin, die eine Woche damit zu tun hätte. Weiteres Material von Interesse war in Conchitas Unterlagen nicht zu finden, wenn man einmal von einigen Briefen absah, die sie von Zuhause erhalten hatte, auch die gab ich zur Übersetzung weiter. Am Spätnachmittag ging mein Telefon und Dieter Welbers meldete sich, ich schilderte ihm den Sachverhalt und bat ihn zur Speichelprobe aufs Präsidium. Als das Telefon noch einmal schellte, war Wim aus Amsterdam am anderen Ende der Leitung, er teilte mir mit:
„Conchitas Eltern wollen rüberkommen und auch euch in Essen aufsuchen, besonders Conchitas Vater ist erschüttert und völlig am Boden zerstört. Wie weit seid Ihr denn mit Euren Ermittlungen?“, fragte Wim und ich antwortete:
Читать дальше