Unsere Kinder waren bei Freunden in der Nachbarschaft, sodass wir beim Essen allein waren, es gab die üblichen Sachen, wie man sie eben zu Abend isst, also Wurst, Käse, Fleischsalat, Brot. Werner trank sein Bier und sagte:
„Dein Mann und ich haben gerade einen schwierigen Fall zu bearbeiten, und wir sind deshalb etwas knapp in unserer Zeit, aber sobald wir ein wenig Licht bei unseren Ermittlungen sehen, komme ich mit Elke, und dann können wir in die Stadt gehen.“ Werner war ein wenig in Eile, er wollte nach Hause und sich nicht so lange bei uns aufhalten.
Am nächsten Morgen gingen wir auf dem Präsidium zum wiederholten Male Conchitas Unterlagen durch, die Spanisch sprechende Kollegin hatte in einer unglaublichen Fleißarbeit das Tagebuch übersetzt und es mir auf den Schreibtisch gelegt. Ich rief sie gleich an und bedankte mich überschwänglich bei ihr, ich sagte ihr:
„Vielleicht bekommen wir schon am nächsten Tag Besuch aus Mexiko, da musst Du uns als Dolmetscherin zur Verfügung stehen!“
„Das mache ich sehr gerne“, sagte Camilla, wie ihr Name war, ich hatte in einem früheren Fall schon einmal mit ihr zu tun und erinnerte mich, dass das ein sehr harmonisches Arbeiten mit ihr war, Camilla war eine sympathische Mitvierzigerin und sah sehr gut aus. Ich dankte ihr noch einmal für ihre Bereitschaft, als Dolmetscherin zu fungieren und legte auf. Werner war inzwischen schon bei der Tagebuchlektüre, Camilla hatte zwanzig DIN-A-4-Seiten ausgedruckt, Werner und ich lasen sie abwechselnd und machten uns Notizen zu Auffälligkeiten. So saßen wir zwei Stunden im Dienstzimmer und waren mit der Lektüre beschäftigt, ab und zu klingelte das Telefon, aber ich wimmelte die Anrufer immer mit der Bemerkung ab, zu tun zu haben und nicht gestört werden zu wollen. Einmal erschien unser Chef und wollte sich nach dem Stand unserer Ermittlungen im Fall Gutierrez erkundigen. Ich sagte ihm:
„Mein Kollege und ich sind gerade mittendrin und lesen das Tagebuch des Mordopfers.“ Danach zog der Chef wieder ab, wir sollten ihn informieren, wenn wir Fortschritte machten. Das Tagebuch enthielt eigentlich nur sehr profane Dinge, wie man sie eben als Mädchen vermerkte, es gab für meine Begriffe nichts Auffälliges, mit einer Ausnahme und die hatte auch Werner notiert: am 07.12.2008 - „schöner Abend mit Robert“ und am 14.12.2008 - „mit Robert am Baldeneysee gewesen, es war sehr schön“.
Wer mochte dieser Robert sein, fragten wir uns, es würde uns nichts anders übrig bleiben, als wieder zu Lupita zu fahren und sie nach Robert zu fragen, eine andere Möglichkeit gäbe es nicht, außer, wir würden beim Studentensekretariat alle Studenten mit dem Vornamen Robert erfragen, ohne aber zu wissen, ob unser Robert Student war. Wir fuhren also am Nachmittag wieder zum Viehofer Platz und gingen in das Haus des „Cafe Nord“ und dort in den ersten Stock, wir hatten Glück, denn gerade, als wir die Treppe hinaufgelaufen waren, kam Lupita und lächelte uns an. Wir sagten ihr:
„Wir sind gekommen, um Dir ein paar Fragen zu stellen“ und Lupita bat uns, ihr zu folgen und lief mit uns in die Wohnung zurück, wo sie uns in der Küche Platz anbot. Wir drucksten nicht lange herum und fragten Lupita gleich:
„Kennst Du einen Robert?“, was sie verlegen machte wie unschwer zu erkennen war, aber wir blieben bei unserer Frage.
„Also glauben Sie bitte nicht, dass ich Ihnen etwas verheimlichen will, aber ich habe die Erwähnung Roberts nicht für so wichtig gehalten, wie sind Sie überhaupt auf Robert gekommen?“ Wir erzählten Lupita, dass wir in Conchitas Tagebuch gelesen hätten und dort auf diesen Namen gestoßen wären, uns wurde in diesem Moment klar, dass Robert derjenige war, von dem Bian und Thao erzählt hatten, mit dem Lupita manchmal in ihrem Zimmer verschwand und der vorher der Freund von Conchita gewesen war. Lupita war ein wenig rot geworden und wir sagten ihr:
„Es tut uns leid, wenn wir Dich in Verlegenheit gebracht haben, aber Du musst uns sagen, wer dieser Robert ist und uns dessen Adresse geben!“.
„Glauben Sie denn, dass Robert etwas mit dem Mord an Conchita zu tun hat“, fragte sie uns und ich sagte, dass wir das noch nicht sagen könnten, wir müssten ihn erst vernehmen. Lupita holte aus der obersten Küchenschublade einen Zettel und einen Kugelschreiber, der aber nicht schrieb, sodass ich ihr meinen gab, und Lupita notierte Roberts Namen, seine Adresse und seine Telefonnummer, sie reichte mir danach den Zettel. Die Röte war aus ihrem Gesicht gewichen und Lupita lächelte, wie wir das von ihr kannten, sie fragte uns, ob wir etwas trinken wollten, aber Werner und ich standen auf, bedankten uns und gingen wieder. Wir riefen Robert vom Präsidium aus an und luden ihn für den nächsten Tag vor. Am Vormittag des Folgetages klopfte es gegen 9.30 h an die Tür des Dienstzimmers und ein junger Mann trat ein, der sich als Robert Schindler vorstellte, er wäre bestellt worden. Ich ging zu ihm und gab ihm die Hand, stellte ihm Werner vor und sagte ihm:
„Wir haben einige Fragen an Dich, wir sind auf Dich gestoßen, als wir in Conchitas Tagebuch gelesen haben“, klärte ich ihn auf. Mir fiel in diesem Moment ein, dass Robert vielleicht noch gar nichts von dem schrecklichen Geschehen wusste, ich bat ihn, sich zu setzen. Ich sagte Robert, dass Conchita in Amsterdam ermordet worden wären, woraufhin sich seine Augen weiteten und sich sein Gesichtsausdruck verzog.
„Bist Du in der letzten Woche in Amsterdam gewesen?“, fragte ich Robert direkt ins Gesicht und er verneinte meine Frage vehement, er wäre noch nie in Amsterdam gewesen, ob wir ihn verdächtigten? Ich antwortete:
„Wir verdächtigen jeden, der mit Conchita in Kontakt gestanden hat, und in dieser Sache haben wir schon einige Personen verhört.“ Robert legte seine Entrüstung schnell wieder ab und wurde wieder ruhig.
„Wie ist Conchita denn ermordet worden?“, wollte er wissen und wir sagten, dass jemand sie erstochen hätte, nachdem sie ihre Arbeit in einer Kneipe am Leidseplein beendet hätte. Robert beugte sich nach vorn und legte seinen Kopf in seine Hände, „das ist ja furchtbar“ sagte er, „ich war kurze Zeit mit Conchita zusammen, wir sind einmal zusammen zum Baldeneysee gefahren, bevor sie nach Holland abgereist ist und unsere Beziehung abgebrochen hat.
Vielleicht ist es nicht richtig gewesen, danach eine Beziehung mit Lupita einzugehen, aber darüber habe ich mir keine Gedanken gemacht, Lupita hat mir eben gefallen.“ Werner kam mit seinem Speichelröhrchen und sagte, dass er eine Speichelprobe nehmen müsste, um seine DNA mit der des Täters zu vergleichen, Robert war einverstanden und ließ sich von Werner mit dem Wattestab durch den Mund fahren. Wir entließen Robert wieder, nachdem wir uns rückversichert hatten, dass seine Adresse stimmte und dass das die Telefonnummer wäre, unter der wir ihn immer erreichen könnten, er gab uns noch seine Handynummer.
Robert war groß und schlank, er sah gut aus und hatte das Schlacksige, das alle Studenten zu haben schienen, er sagte Tschüss und ging. Ich merkte an:
„Ich glaube nicht, dass Robert etwas mit dem Mord zu tun hat, wir haben aber unsere Pflicht getan und ihn verhört.“ Werner sah das so wie ich und beschriftete den Aufkleber auf dem Speichelröhrchen mit Roberts Namen, gab das Röhrchen mit der hausinternen Post an das Labor und bat um schnellstmögliche Bearbeitung. Wir machten Mittagspause und gingen in die Kantine, die im Präsidium nicht schlecht war, gegen die Uni-Mensa aber nicht anstinken konnte. Am Nachmittag rief Wim aus Amsterdam an und teilte uns mit:
„Conchitas Eltern sind aus Mexiko gekommen, um in tiefer Trauer Abschied von ihrer Tochter zu nehmen, sie wollen Euch am nächsten Tag in Essen besuchen kommen, sie sind beide sehr nett und bescheiden, trotz des Reichtums, der sie umgibt, sie sind im „Krasnapolsky“ abgestiegen.“ Ich dankte Wim für seinen Anruf:
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