Werner und ich schauten uns an und überlegten, so wie sich der Stand unserer Ermittlungen ausnahm, wäre es sicher nicht verkehrt, nach Mexiko zu fliegen und in Conchitas altem Bekanntenkreis herumzustöbern. Ich sagte Senor Gutierrez,:
„Werner und ich müssen zunächst auf unserer Dienststelle nachfragen, wir werden Ihnen anschließend Bescheid geben.“ Ich ließ aber anklingen, dass wir sein Angebot annähmen und auch schon vorher darüber nachgedacht hätten, und Senor Gutierrez lächelte kurz, als Camilla ihm meine Worte übersetzt hatte. Wir schlenderten nach dem Kaffeetrinken langsam am Seeufer entlang und ich teilte Conchitas Eltern mit, dass wir im Präsidium alles daran setzten, den Mörder ihrer Tochter zu erwischen, Werner und ich hätten die Aufklärung des Falles auf unsere Fahnen geschrieben. Senora Gutierrez lief schweigend hinter uns her, ich hatte es geschafft, dass wir über das Schreckliche redeten, das war natürlich für Conchitas Eltern besonders schwer, weil das Verbrechen ja noch frisch war. Wir kamen wieder am Regattahaus vorbei und liefen zum Bahnhof Hügel hoch, ließen ihn links liegen und verlängerten unseren Gang bis zur Villa Hügel, wo die beiden Alten ins Staunen gerieten, wir setzten uns vor die Villa auf Bänke im Park und ich sagte, dass die Villa lange Zeit Treffpunkt der Großen aus aller Welt gewesen wäre, die mit ihren Staatskarossen vorgefahren kamen, sogar Hitler wäre einmal dort gewesen.
Seit Berthold Beitz die Krupp-Stiftung leitete, fänden in der Villa regelmäßig sehr bedeutende Kunstausstellungen statt, die Weltgeltung hätten. Ich sagte:
„Vielleicht hat Conchita mit ihrem Freund auf der Bank gesessen, auf der wir gerade saßen“ und schaute Senora Gutierrez dabei an, sie war in sich gekehrt und wich meinem Blick aus. Senor Gutierrez aber meinte:
„Sie müssen den Fall unbedingt aufklären und nach Mexiko kommen!“ Wir liefen zum Restaurant in der Nähe des Bahnhofs Hügel und setzten uns draußen zum Mittagessen hin, Conchitas Vater lud uns alle ein und wir bestellten. Großen Hunger hatte eigentlich noch niemand und wir beschränkten uns auf einen Hauptgang, ich nahm nur einen Salatteller. Lupita war während unseres Spazierganges auffallend still geblieben, aber das musste nichts bedeuten, sie war die Freundin von Conchita gewesen und sicher noch von dem ganzen Geschehen ergriffen. Ich fragte sie:
„Bist Du schon einmal am Baldeneysee gewesen?“ und Lupita antwortete:
„Ich habe sogar schon einmal eine Ausstellung in der Villa Hügel gesehen!“ Am Nachmittag fuhren wir mit der S-Bahn zum Hauptbahnhof zurück und brachten Conchitas Eltern in ihr Hotel, sie würden am nächsten Tag wieder nach Amsterdam fahren und zwei Tage später nach Mexiko zurückfliegen. Wir wollten uns alle mit ihnen noch einmal am Abend treffen und zusammen einen Zug durch die Stadt machen. Lupita lief über die Kettwiger Straße zum Viehofer Platz, ich brachte Camilla, Elke und Werner nach Hause und fuhr mit Gaby heim. Gaby meinte:
„Conchitas Eltern treten sehr würdevoll auf, sie strahlen eine Altersreife aus, ich finde sie beide sehr sympathisch. Auch wie sie mit dem Tod ihrer Tochter umgehen, zeigt ihre Altersweisheit, sie sind natürlich sehr betroffen, lassen sich aber zu keinen Gefühlsausbrüchen hinreißen.“ Gaby und ich legten uns eine Stunde hin, unsere Jungen waren zu Hause und lärmten herum, sodass an Ruhe nicht zu denken war. Unser Älterer, Philipp, hatte wirklich eine große Klappe, aber Gaby wusste mit ihm umzugehen und er respektierte sie, ich aber kam kaum noch an ihn heran, und die autoritäre Keule wollte ich auch nicht herausholen. Seine Schulleistungen hatten stark nachgelassen und die Lehrer schoben alles auf die Pubertät, was sicher nicht verkehrt war, aber wohl kaum als alleinige Erklärung für Philipps Leistungsabfall herhalten konnte, die Lehrer machten es sich da etwas zu leicht. Gaby glaubte:
„Wir müssen alle durch diese schwierige Entwicklungsphase bei Philipp, schließlich hat so ziemlich jede Familie mit ihren Kindern eine solche Phase durchzustehen gehabt und alle haben sie sie mehr oder weniger problemlos hinter sich gebracht.“ Mein jüngerer Sohn Paul war noch unauffällig in seinem Verhalten, schaute sich aber schon das eine oder andere bei seinem Bruder Philipp ab, auf jeden Fall stünde uns noch einiges bevor. Gaby stand auf und bat Philipp um Rücksichtnahme, sie wollte für einen Moment Ruhe haben und prompt drehte er seine Anlage leise und war still. Das hätte ich kaum geschafft, Philipp hätte im Gegenteil bei mir seine Anlage noch lauter gedreht und mit seiner großen Klappe noch den entsprechenden Kommentar dazu abgegeben. Wir standen nach einer Dreiviertelstunde wieder auf und machten uns frisch, bevor wir Camilla, Elke und Werner anriefen, dass wir sie abholen kämen, Camilla hatte sich bereit erklärt, uns am Abend durch die Stadt zu begleiten. Ich parkte wieder im Parkhaus am Bahnhof und wir liefen auf die andere Seite zum Mövenpick Hotel. Camilla und ich klopften wieder bei Conchitas Eltern an die Zimmertür, sie waren fertig und kamen heraus.
„Haben Sie geruht?“, fragte Camilla und Senor Gutierrez antwortete:
„Meine Frau und ich haben eine Stunde lang fest geschlafen, wir sind so müde von unserem Ausflug zum Baldeneysee gewesen, dass wir gleich ins Bett gefallen sind, jetzt sind wir aber ausgeruht und haben Hunger bekommen.“
„Dagegen werden wir gleich etwas unternehmen“, sagte ich und lief mit Camilla und den Alten nach unten, wo wir auf Gaby, Elke und Werner trafen. Wir warteten noch einen Moment auf Lupita, die kurze Zeit später aber auch eintraf und sich bei Conchitas Eltern für ihr Zuspätkommen entschuldigte, sie gab beiden zur Begrüßung einen Kuss auf die Wange. Wir liefen in die Kettwiger Straße und setzten uns wieder vor das „Cafe del Sol“, wir bestellten Getränke und etwas zu essen, Kleinigkeiten zwar, die in ihrer Menge aber sättigten und sehr gut schmeckten Zum ersten Mal sah ich Senora Gutierrez und ihren Mann richtig lachen, vielleicht hatten sie etwas Abstand gewonnen und sich von ihrem Schmerz gelöst. Wir machten anschließend einen Gang quer durch die Stadt, liefen an C&A vorbei zum Kennedyplatz, ich sagte, dass dort früher das Amerikahaus gestanden hätte. Diagonal auf der anderen Seite liefen wir in die Limbecker Straße, es hatten sogar noch einige Geschäfte geöffnet. Senora Gutierrez blieb bei Grüterich stehen und wies ihren Mann auf ein Paar Schuhe hin, die ihr sehr gut gefielen. Sie sagte uns:
„Ich will mich beeilen!“ und verschwand mit ihrem Mann kurz im Laden, und tatsächlich kam sie nach nicht ganz zehn Minuten mit einer Schuhtüte und ihrem Mann wieder heraus. Lupita, Elke und Gaby wollten wissen, welche Schuhe sie sich gekauft hatte und sie zeigte sie ihnen im Fenster, musste aber den Schuhkarton öffnen und ihre Schuhe im Original zeigen.
Sie hatte sich ein Paar braune Pumps mit gelochten Seiten und halbhohem Absatz gekauft, die sehr edel aussahen und sicher auch eine Stange Geld gekostet hatten. Wir liefen zum Einkaufszentrum am Berliner Platz und setzten uns dort in ein Cafe, das Einkaufszentrum war bis 22.00 h geöffnet. Senor Gutierrez sagte:
„Essen ist ja eine tolle Stadt, was man gar nicht so glaubt, wenn man mit dem Zug am Hauptbahnhof ankommt, meine Frau und ich sind sehr angenehm überrascht.“ Lupita hob hervor, dass sie zussammen mit Familie Gutierrez nach Hause flöge, sie freute sich schon, ihre Heimatstadt Oaxaca wiederzusehen.„Das ist ja schön“, sagte Senora Gutierrez, „dann werden wir zusammen mit deiner Familie und uns ein großes Fest feiern!“ Wir liefen langsam wieder die Limbecker Straße hoch, überquerten den Kennedyplatz und kamen auf die Kettwiger Straße, liefen an Baedecker und „Cafe del Sol“ vorbei und erreichten kurze Zeit später das Mövenpick Hotel, wo wir die beiden Alten ablieferten, ich sagte zum Abschied:
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