Sein markigster Spruch war:
„Lange Haare, kurzer Verstand!“
Das war auch gegen mich gerichtet, der ich inzwischen die Haare schon recht lang trug.
Herr Grüter hatte auch etwas gegen meine Ringelsocken, was ich zum Anlass nahm, meine Beine ordentlich unter der Bank auszustrecken.
Zu Beginn jeder Stunde überprüfte Herr Grüter die Vokabeln.
Die Lateingrammatik aus „Ludus Latinus“ habe ich heute noch in großen Teilen präsent, das Pauken der Grammatik half mir auch in Deutsch und Englisch.
Bei Klassenarbeiten wurde oft der „Pons“ benutzt, der half aber nicht immer.
Dr. Lau, der Herrn Grüter später aböste, war ein ganz anderer Typus von Lehrer.
Er war eine elegante Erscheinung und legte Wert auf gut formulierte, wenn es ging freie Übersetzung. Merkwürdigerweise hatte ich Talent für freie Übersetzungen, ich wurde von Dr. Lau gelobt und stand dann plötzlich drei in Latein.
Zur Mathematik hatte ich anfangs kein gutes Verhältnis.
Mathe wurde von Herrn Becker unterrichtet.
Ich erinnere mich noch an Ungleichungen, Betragsrechnen und Grenzwertbetrachtungen.
Herr Becker und Herr Flake waren befreundet, sie spielten zusammen Fußball im Lehrersport.
Herr Becker hatte einen alten VW-Käfer und kam jeden Morgen aus Werden.
Das waren sicher zehn Kilometer pro Strecke.
Er hatte die Eigenart, bei Klassenarbeiten dicht am Fenster zu stehen und in der Scheibe zu beobachten, ob jemand fuschte.
Er rauchte dabei und blies den Qualm zum Fenster hinaus.
Ich weiß noch, dass er „Astor“ rauchte.
Herr Becker war unser Klassenlehrer, wir fuhren mit ihm nach Berlin in das Jugendgästehaus in der Kluckstraße.
Begleitlehrer waren Herr Linnenborn und Herr Agatz.
Herr Agatz war ein komischer Kauz.
Er gab Philosophie bei uns.
Er war unglaublich intelligent, wenngleich man vieles von dem, was er im Unterricht von sich gab, nicht verstand.
Ich erinnere mich noch an seine überaus verständlichen Tafelbilder, mit denen er unter Verwendung vieler Pfeile die Beziehung zwischen Subjekt und Objekt zu veranschaulichen suchte.
Einmal ließ er zu seinem Geburtstag einen Kasten Bier hoch holen.
Wir tranken dann in seinem Unterricht Bier.
Ich denke, er hatte oft Streit mit der Schulleitung.
Sport machte eigentlich sehr viel Spaß, wenn man mal von anstrengenden Vierhundert-Meter-Runden absieht.
Im Winter fand der Sportunterricht in der Halle statt, und hier gab es tolle Sportgeräte, an denen man seine Kräfte und sein Geschick messen konnte, wie Barren, Kasten, Pferd, Hochreck.
Sport wurde von Herrn Ganther, Herrn Dömkes, Herrn Detering und Herrn Hönsch unterrichtet.
Herrn Deterings Erscheinungsbild änderte sich vom Erdkundeunterricht, den wir auch bei ihm hatten, zum Sport dadurch, dass er sich eine Trainingsjacke anzog und sich in der Turnhalle eine Zigarre ansteckte.
Er ließ uns alle im Kommandoton antreten und zu Beginn jeder Sportstunde drei Runden laufen. Dabei stand er in der Mitte der Halle und rauchte genüsslich.
Dann befahl er, wieder im Kommandoton, den Mattenwagen zu holen und das Reck aufzubauen.
Die armen Säcke, die am Reck keinen Aufschwung konnten, weil sie zum Beispiel zu dick waren, wie Kanther, waren die Würstchen.
„Du Würstchen, stell Dich hinten an“, war dann sein Kommentar.
Auch in Erdkunde gab es Würstchen, wenn man nämlich zum Beispiel vorne an der Karte nicht zeigen konnte, wo Breslau lag.
An Herrn Ganther erinnere ich mich, wenn ich an die Leichtathletik draußen denke.
Er verstand es, die Schüler zu motivieren und übte mit uns den Start beim Hundert-Meter-Sprint vom Startblock, sowie Anlauf und Absprung beim Weitsprung.
Wir lernten, unsere Anlaufstrecke so zu markieren, dass wir beim Absprung exakt den Absprungbalken trafen.
Herr Ganther brachte mich und einige Mitschüler dazu, dass wir uns Spikes in der Stadt kauften.
Die kosteten vierzig Mark bei Sport Vosswinkel, ich musste mir noch zehn Mark bei meiner Schwägerin leihen, den Rest konnte ich durch Nachhilfe, die ich gab, selbst bezahlen.
Die Spikes waren aus Nappaleder.
Ich trug sie stolz wie Oskar und lief die vierhundert Meter mit siebzehn Jahren in siebenundfünfzig Sekunden. Das war keine schlechte Zeit.
Der Leichtathletikunterricht fand im Rahmen des Spielturnens statt, das war Sportunterricht, der nachmittags für eineinhalb Stunden gegeben wurde.
Unsere Sportanlage war hervorragend, ein Platzwart kümmerte sich um deren ordnungsgemäßen Zustand.
Wir spielten zwar ab und zu Fußball, meistens aber traktierten wir die Aschebahn.
Der Vierhundert-Meter-Lauf war sehr hart, man dachte in der letzten Kurve, dass einem die Beine durch Bleigewichte ersetzt worden waren.
Beim Zieldurchlauf war man dermaßen außer Atem, dass man noch eine Zeit lang gehen musste, um wieder einigermaßen gut Luft zu bekommen.
Herr Hönsch galt als homosexuell. Er soll Jungen immer beim Duschen zugeschaut und ihnen auch einmal an den Hintern gegriffen haben.
Gerüchte, die ich durch eigene Beobachtung nicht bestätigen konnte.
Das Spielturnen fand immer mittwochs nachmittags statt.
Im Winter ging es in die Halle.
Auch hier habe ich einiges gelernt, auf das ich später stolz war.
Ich konnte am Boden einen Salto und einen Handstandüberschlag, auch am Pferd schaffte ich einen Handstandüberschlag, natürlich mit Sprungbrett, am Barren konnte ich einen Oberarmstand aus dem flüchtigen Handstand und eine Schwungkippe, am Hochreck schaffte ich eine halbe Riesenfelge mit anschließender Hocke über die Stange und Strecksprung auf der Matte.
Beim Üben der Riesenfelge konnte ich mich einmal nicht halten und flog vor eine am Hallenrand stehende Gymnastikbank, ich habe mir Gott sei Dank nichts getan.
Seitdem habe ich mir immer die Hände mir Magnesia eingrieben, um den Handschweiß zu binden.
Mittwochs morgens fand in der ersten Stunde der Schulgottesdienst statt, die ganze Schule nahm daran teil.
Die Evangelischen gingen in die Dreifaltigkeitskirche, die Katholischen in die St. Dionysiuskirche.
Stets wurde die Anwesenheit kontrolliert, und ich ging auch immer hin.
Ein- oder zweimal hatte ich Russisch in der nullten Stunde.
Das war um 7.15 h.
Damit hörte ich dann sehr bald wieder auf.
Englisch gab anfangs Herr Spörl, dann Frau Pfrogner, die auch Russisch gab.
Frau Pfrogner machte einen grundsoliden Unterricht, wenn man das als Schüler überhaupt sagen durfte. Sie kombinierte ihre Strenge aber mit einer Liebenswürdigkeit, mit der sie zumindest uns Jungen um den Finger wickelte.
Damals wurden bei englischen Klassenarbeiten noch Nacherzählungen geschrieben.
Hier waren eindeutig die im Vorteil, die ein gutes Gedächtnis hatten.
Leider blieb ich hier immer im unteren Bereich.
Ich lernte aber, Englisch zu sprechen, jedenfalls basicly, was mir auf späteren Reisen sehr viel half.
Frau Pfrogner nahm ihren Unterricht sehr ernst, oft gab es Ermahnungen wegen Quatschens und Störens.
In der Rückschau betrachtet war das aber ganz okay.
Unser Buch war in der Mittelstufe „Britain and America“.
Hier gab es noch die klassischen Geschlechterrollen nach dem Motto:
„Peter spielt im Garten Fußball und Betty hilft ihrer Mutter in der Küche“.
Herr Cromer war für den Geschichts- und später auch den Erdkundeunterricht zuständig.
Er war schon damals sehr alt, wahrscheinlich ein reaktivierter Pensionär.
Ich denke, er war ein ehemaliger Nationalsozialist, wenn man sein Alter, besonders aber sein Verhalten im Unterricht berücksichtigte.
Bei der kleinsten Störung musste man aufstehen, er kam dann zu einem hin, zog an den gerade mal spärlich vorhandenen Koteletten den Kopf hoch, um dann an dessen höchstem Punkt mit der flachen Hand in voller Wucht auf die Backe zu schlagen.
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