„Hey, Mädels, was haltet ihr davon, wenn wir uns nachher auf ‘ne Currywurst treffen? Dahinten ist ‘ne Bude. Wir warten dann auf euch.“
„Endlich mal ‘ne vernünftige Ansage aus deinem Mund!“, rief Sara und stieß Kriemhild an. „Du hast doch sicher auch Hunger, oder?“
„Klar doch.“ Sie rollte genervt mit den Augen und verschwand in dem reetgedeckten Haus, in das Sara ihr folgte.
Die Dusche hatte was von einer Schwimmbaddusche. Auf den weißen Bodenkacheln klebte Sand. Kriemhild stand schon längst unter der Brause, als Sara noch nach ihrem Shampoo kramte.
„War doch lustig, oder?“, rief ihre Freundin grinsend. „Ach, komm schon, gönn wenigstens mir den Spaß, Kriemhild! Verdirb mir bitte nicht den Tag mit deiner Laune!“
„Du hättest mich vorwarnen sollen. Der Letzte, auf den ich momentan Lust habe, ist Frank! So wie der mich ansieht, mutiert er zu einem zweiten Justus.“
„Quatsch!“ Sara lief an ihr vorbei unter die andere Brause, während sie einige Wasserspritzer von Kriemhilds Dusche abbekam.
„ Autsch ! Bist du wahnsinnig?“ Ihre Freundin sprang zurück und kreischte.
„Was ist denn mit dir los?“
„Mit mir ?“ Sara riss die Augen auf. „Dein Wasser ist eiskalt, Süße! Oder kochst du so vor Wut, dass du es nicht mal bemerkst? Nach dem Meerwasser brauche ich jetzt jedenfalls ‘ne heiße Dusche.“ Kriemhild fühlte die Temperatur des Wasserstrahls auf ihrer Haut und bemerkte, dass er tatsächlich nicht besonders warm war, was ihr allerdings bei dem Wetter draußen nichts ausmachte.
„Ich find’s gut“, sagte sie und zuckte mit der Schulter. „Schließlich haben wir noch Sommer.“
Nachdem sie in ihren Rock und das Top geschlüpft war, wartete sie draußen vor der Tür auf Sara, die noch immer unter der Dusche stand. Kriemhild lehnte sich an die Hauswand und genoss die wärmenden Sonnenstrahlen des Spätsommers auf ihrem Gesicht. Sie hatte nicht die Absicht, eine Currywurst mit Frank zu essen. Doch in der Gewissheit, dass Sara ihr keine Wahl lassen würde, seufzte sie.
„Hey, wo steckt deine Freundin?“
Kriemhild blinzelte im Sonnenlicht und entdeckte Mats, der grinsend vor ihr stand.
„Noch duschen.“
„Du bist schnell.“
„Nein, Sara ist langsam.“
Sie musterte ihn, Mats war ein hübscher Kerl. Größer als Frank, und das dunkle Haar, das noch immer vom Meerwasser verklebt war, fiel ihm frech in die Stirn. Er machte eine Kopfbewegung in Richtung der Pommesbude. „Frank wartet da drüben, wenn du willst, geh doch schon zu ihm. Ich bleib hier und komme mit Sara nach.“
„Nein, schon okay. Ich warte auf meine Freundin. Wenn du willst, geh du doch vor.“
Er lachte und seine strahlend weißen Zähne blitzten auf.
„Was ist so witzig?“, wollte Kriemhild wissen.
„Ach, nichts. Nur, dass ich ihn vorhin schon gewarnt habe. Weißt du – ich will nicht prahlen – aber in Sachen Menschenkenntnis bin ich unschlagbar.“
„Und wovor hast du ihn gewarnt, wenn ich fragen darf?“
„Dass er bei dir kein leichtes Spiel haben wird“, sagte er und schaute ihr tief in die Augen.
Kriemhild staunte nicht schlecht über Mats’ rasche Auffassungsgabe und nickte anerkennend.
„Du hast ein gutes Recht, mit deiner Menschenkenntnis zu prahlen. Wo hast du das gelernt?“
„Es wurde mir sozusagen in die Wiege gelegt.“ Er versprühte eine mehr als gesunde Form von Charme.
„Du solltest sowas mal beruflich machen“, scherzte Kriemhild.
„Danke. Das tu ich bereits.“
„Echt? In wie fern? Bist du Schülersprecher für die Oberstufe?“
Mats ließ wieder ein lautes Lachen hören.
„Sehr gut gekontert! Ich weiß ja, dass ich jünger aussehe, als ich bin, aber dass du mich für einen Abiturienten hältst?“ Er wischte sich die sandige Hand an den Shorts ab und streckte sie Kriemhild entgegen. „Darf ich mich vorstellen? Mats Bellenbrink. Angehender Facharzt für Psychiatrie und Neurologie.“ Kriemhild blieb die Spucke weg. Ganze fünf Sekunden lang starrte sie in seine grünen Augen. Der feste Händedruck verlieh seinen Worten Glaubhaftigkeit.
„Das … das war ein Scherz, oder? Du bist doch nicht älter als fünfundzwanzig. Und willst mir erzählen, schon ein komplettes Medizinstudium hinter dich gebracht zu haben?“
Sie lachte ungläubig. Mats hatte sichtlich seinen Spaß an ihrer Verwirrung.
„Du bist umwerfend, Kriemhild! Ich bin neunundzwanzig, um genau zu sein. Das Medizinstudium habe ich mit fünfundzwanzig abgeschlossen. Für den Facharzt brauche ich noch etwas mehr als ein Jahr.“
Sie spürte, wie sie erblasste.
„Geht es dir gut?“, fragte er. „Sag mir früh genug Bescheid, wenn du ohnmächtig wirst.“ Sein Grinsen war unwiderstehlich. Nach Sam und Tom war er der dritte Mann, bei dem sie mit der Altersschätzung völlig danebengelegen hatte. Vorsichtig schaute sie sich um, ob jemand in der Nähe war, bevor sie die vermutlich dümmste aller Fragen stellte, die ihr in dem Augenblick einfach nicht aus dem Kopf gehen wollte.
„Sag mal, Mats, sagt dir der Begriff ‚Phenoren‘ etwas?“
„ Phenoren ?“ Er legte die Stirn in Falten und überlegte, dann schüttelte er den Kopf. „Nein, nie gehört. Was soll das sein? Ein Inselstaat in der Südsee?“ Kriemhild hätte schwören können, dass er einer von ihnen war. Seine überdurchschnittliche Attraktivität, die ungewöhnlich grünen Augen … Vermutlich war sie völlig durch den Wind, was das anging. „Ach … keine Ahnung. Vergiss es“, sagte sie. „Nur so ein Gedanke. Aber, hey! Ein angehender Psychiater! Wer hätte das gedacht?“ Im selben Moment trat Sara aus Fietes Paddelbude heraus. Frisch gestylt kam sie auf die beiden zugelaufen. Kriemhild und Mats bemerkten sie kaum.
„Ja, ich arbeite im Sigmund-Freud-Institut. Dort mache ich meinen Facharzt. Ab nächster Woche bin ich auf der Geschlossenen, wenn du es genau wissen willst.“
Anscheinend hatte Sara ein Wort aufgeschnappt und klinkte sich sofort in das Gespräch ein. „Sigmund-Freud-Institut? Ist das nicht die Klapse, in die Justus eingeliefert worden ist, Kriemhild?“
„Es handelt sich um eine psychiatrische Klinik “, erklärte Mats und sein Gesichtsausdruck verriet, dass Sara mit ihrer Bemerkung nicht gerade gepunktet hatte. „Das Wort Klapse finde ich ziemlich unangebracht.“
„Oh … tut mir leid“, sagte Sara und ruderte zurück. „Sollten wir nicht zu Frank rübergehen?“
Ihre Frage blieb unbeantwortet. Mats hatte sich längst wieder Kriemhild zugewandt und offenbar bemerkt, dass etwas mit ihr geschehen war, als Sara Justus’ Namen erwähnt hatte.
„Justus?“, fragte er behutsam. „Jemand aus deinem Freundeskreis?“
All die schrecklichen Bilder kamen in ihr hoch, während sie nickte. Langsam setzten sie sich in Bewegung, um Sara zu folgen, die nach einem Schulterzucken allein losgelaufen war.
„Willst du drüber reden?“
„Nein. Ich bin sicher, dass du ihn längst kennst. Oder, dass du ihn kennenlernen wirst, wenn du auf die Geschlossene kommst. Ach, bitte“, sie hielt ihn am Arm zurück, „erwähne in seiner Gegenwart nicht, dass du mir begegnet bist, einverstanden?“
„Einverstanden“, versprach er lächelnd. „Privates trenne ich grundsätzlich von beruflichem.“
„Danke.“
Sie überquerten die Straße und Kriemhild hatte das seltsame Gefühl, in Mats einen vertrauten Freund gefunden zu haben. Die Sache mit Justus hatte ihr augenblicklich Magenschmerzen bereitet und ein inneres Zittern verunsicherte sie. Das Atmen fiel ihr schwer und sie hoffte, er würde es nicht bemerken. Doch das hatte er längst; Mats hatte ohne Zweifel den richtigen Beruf gewählt. Er blieb stehen und hielt sie zurück, bevor sie Frank und Sara erreicht hatten.
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