Julia Beylouny
Lisanne
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Inhaltsverzeichnis
Titel Julia Beylouny Lisanne Dieses ebook wurde erstellt bei
Lisanne Lisanne Für Miriam und unsere mindestens schon 10590 Tage andauernde Freundschaft Wer gefunden werden soll, wird eines Tages gesucht werden. Suchen kann jedoch nur, wer aufrichtig liebt.
Prolog Prolog Es war spät. Kathys Gedanken kreisten und ließen sich nicht davon abhalten, die vorüberziehende Landschaft mit Schrecken zu betrachten. Dichte Nebelschwaden krochen aus dem Moor, wehten über die schmale Straße wie ein Leichentuch. Im schwachen Lichtkegel der Scheinwerfer wirkten sie wie Gespenster. Kathy trat das Gaspedal bis zum Anschlag durch. Ihr Wagen ächzte, als er den Hügel hinauffuhr. Kobolde versteckten sich zwischen den Bruchsteinen der endlosen Mauern am Wegesrand. Fratzen, die Kathy auslachten. Es begann zu regnen. Die Luft, die in das Wageninnere drang, roch faulig, torfig und feucht. Kein Stern war zu sehen. Kein Licht in der Finsternis. Wenn sie doch endlich die Ortschaft erreichen würde. Sie war dumm gewesen, den Weg von York bis dort hinauf allein zu unternehmen. Das Tageslicht hatte sie betrogen und ihr das Moor schmackhaft gemacht. Über die Tücken bei Nacht hatte die Nachmittagssonne geschwiegen. Kathy hätte dem mickrigen Mann von der Autovermietung glauben sollen. Er hatte sie dreimal gewarnt. Die Straße wurde schmaler und die Kurven, die ins Nirgendwo führten, unüberschaubarer. Das Ende der Welt wartete gleich hinter der nächsten Biegung. Im Fußraum des Beifahrersitzes lag die Handtasche. Kathy beugte sich leicht vor, um mit der freien Hand zu tasten. Sie suchte nach ihrem Handy, wollte sich vergewissern, dass sie Netzempfang hatte, dass sie in Sicherheit war, nahe der Zivilisation. Einen einzigen Augenblick war sie unaufmerksam. Als er verstrichen war und sie ihre Augen zurück auf die Fahrbahn lenkte, stieß sie einen spitzen Schrei aus. Die Mauer kam direkt auf sie zu. Es krachte und knirschte. Glas zersplitterte. Kathys Fuß verkeilte sich mit dem Gaspedal, sodass ihr Wagen sich immer tiefer in den schlammigen Morast einarbeitete. Schmerz. Sie schmeckte Blut. Die Räder drehten durch. Stille.
Kapitel eins
Kapitel zwei
Kapitel drei
Kapitel vier
Kapitel fünf
Kapitel sechs
Kapitel sieben
Kapitel acht
Kapitel neun
Kapitel zehn
Kapitel elf
Kapitel zwölf
Kapitel dreizehn
Kapitel vierzehn
Kapitel fünfzehn
Kapitel sechzehn
Kapitel siebzehn
Kapitel achtzehn
Kapitel neunzehn
Kapitel zwanzig
Kapitel einundzwanzig
Kapitel zweiundzwanzig
Kapitel dreiundzwanzig
Kapitel vierundzwanzig
Kapitel fünfundzwanzig
Kapitel sechsundzwanzig
Kapitel siebenundzwanzig
Kapitel achtundzwanzig
Kapitel neunundzwanzig
Kapitel dreißig
Kapitel einunddreißig
Kapitel zweiunddreißig
Kapitel dreiunddreißig
Kapitel vierunddreißig
Kapitel fünfunddreißig
Kapitel sechsunddreißig
Kapitel siebenunddreißig
Kapitel achtunddreißig
Danke
Interview
Impressum neobooks
Für Miriam
und unsere mindestens schon 10590 Tage andauernde Freundschaft
Wer gefunden werden soll,
wird eines Tages gesucht werden.
Suchen kann jedoch nur,
wer aufrichtig liebt.
Es war spät. Kathys Gedanken kreisten und ließen sich nicht davon abhalten, die vorüberziehende Landschaft mit Schrecken zu betrachten. Dichte Nebelschwaden krochen aus dem Moor, wehten über die schmale Straße wie ein Leichentuch. Im schwachen Lichtkegel der Scheinwerfer wirkten sie wie Gespenster. Kathy trat das Gaspedal bis zum Anschlag durch. Ihr Wagen ächzte, als er den Hügel hinauffuhr. Kobolde versteckten sich zwischen den Bruchsteinen der endlosen Mauern am Wegesrand. Fratzen, die Kathy auslachten. Es begann zu regnen. Die Luft, die in das Wageninnere drang, roch faulig, torfig und feucht. Kein Stern war zu sehen. Kein Licht in der Finsternis. Wenn sie doch endlich die Ortschaft erreichen würde. Sie war dumm gewesen, den Weg von York bis dort hinauf allein zu unternehmen. Das Tageslicht hatte sie betrogen und ihr das Moor schmackhaft gemacht. Über die Tücken bei Nacht hatte die Nachmittagssonne geschwiegen. Kathy hätte dem mickrigen Mann von der Autovermietung glauben sollen. Er hatte sie dreimal gewarnt.
Die Straße wurde schmaler und die Kurven, die ins Nirgendwo führten, unüberschaubarer. Das Ende der Welt wartete gleich hinter der nächsten Biegung.
Im Fußraum des Beifahrersitzes lag die Handtasche. Kathy beugte sich leicht vor, um mit der freien Hand zu tasten. Sie suchte nach ihrem Handy, wollte sich vergewissern, dass sie Netzempfang hatte, dass sie in Sicherheit war, nahe der Zivilisation.
Einen einzigen Augenblick war sie unaufmerksam. Als er verstrichen war und sie ihre Augen zurück auf die Fahrbahn lenkte, stieß sie einen spitzen Schrei aus. Die Mauer kam direkt auf sie zu. Es krachte und knirschte. Glas zersplitterte. Kathys Fuß verkeilte sich mit dem Gaspedal, sodass ihr Wagen sich immer tiefer in den schlammigen Morast einarbeitete. Schmerz. Sie schmeckte Blut. Die Räder drehten durch.
Stille.
Lisanne
Der See, auf den sie hinaus ruderte, war wunderschön: ein geheimnisvoller Weiher im Schilf. Sanfte Wellen brachen sich am Rumpf des Bootes, während Lisanne die Paddel in gleichmäßigen Abständen ins Wasser eintauchte. Sie vergaß die Zeit, warf den Köder ihrer Angel über Bord und lehnte sich zurück. Ihr Blick durchdrang den aufsteigenden Nebel am Ufer, wo sie die Umrisse des Herrenhauses erahnte. Frösche quakten, Grillen zirpten, und manchmal verfielen sie für kurze Zeit in denselben Rhythmus. Mücken schwebten dicht über der Wasseroberfläche. Dann sah sie seine Silhouette, die durch das Riet wandelte. Lisannes Sinne richteten sich nach ihm aus. Ein hochgewachsener, schlanker junger Mann. Seine Bewegungen waren fließend, seine Gestalt fügte sich harmonisch in das verwunschene Ufergemälde ein.
Zeile für Zeile sprang ihr in die Augen, wurde lebendig, verwandelte sich in bunte Bilder. Lisanne verkostete Wort für Wort, schmeckte die Schwere der feuchten Luft, den Geschmack des Spätsommers in den Südstaaten, sah die Villen im Kolonialstil, die Veranden mit ihren knarrenden Holzdielen. Sie war dort. In einer anderen Realität. Bis eine Stimme sie zurückpfiff und das Band der Träumereien zerschnitt.
„Hörst du mir überhaupt zu?“
Ein Schatten hatte sich über die Holzbank im Garten und über Lisannes Gesicht gelegt.
„Doch, doch, ja, hmhm“, murmelte sie und ließ das Buch in ihren Schoß sinken. Ihre Mutter stand mit in die Seiten gestemmten Händen vor ihr.
„Gut, dann weißt du ja Bescheid. Es tut mir leid, weil du doch gestern erst angereist bist. Übrigens ist Breda in der Küche. Sie kocht für morgen.“
„Okay, kann ich dann weiterlesen?“
„Tu, was du nicht lassen kannst.“
„Danke, Ma. Du hast keine Ahnung, wie sehr ich mich auf die Ferien bei euch gefreut habe. Und auf meinen STUB, der unbedingt abgearbeitet werden muss.“
„Deinen was ?“
Lisanne lachte. „ St apel u ngelesener B ücher.“
Ma schüttelte den Kopf und verschwand durch die Rosenhecke zum Haus. Gleich darauf lag der goldene Glanz der untergehenden Sonne auf Lisannes Gesicht. Sie schloss die Augen und lauschte der Stille. Für den Moment war sie aus dem Boot gestiegen, hatte sich an Land begeben und die Angel beiseite gelegt. Es war schön, nach der langen Zeit wieder daheim zu sein. Sie hatte das Landleben vermisst. Das fröhliche Gezwitscher der Vögel, das Muhen der Kühe, das Gefühl, dem feinen Rasen beim Wachsen zuzuschauen. London war laut, dreckig und oft zu grau. Wildflowers Hill und Little Bree Isle dagegen – ein Paradies. Lisanne liebte die Romantik des alten Farmhauses mit den angrenzenden Stallungen, den urigen Garten, den geschwungenen Pattweg, der sich bis zum Törchen durch die wilden Blumen schlängelte.
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