„Kerstin hat mir erzählt, dass Sie sich nach Jenny erkundigt haben. Oh pardon, ich habe mich gar nicht vorgestellt. Ich bin Insa Folkerts. Mir gehört der ‚Wattkieker‘. Was ist mit Jenny?“, fragte die resolute Wirtin.
„Ich bin Robert Müller, Kripobeamter a.D.. Ich habe heute Morgen am Hundestrand ihre Mitarbeiterin tot aufgefunden und bin hier bei Ihnen, weil in der Nähe ein Streichholzheftchen Ihres Lokals lag. Ich dachte, dass die Tote vielleicht etwas mit Ihrem Lokal zu tun hat. Kerstin hat sie auf einem Foto auch tatsächlich als Kollegin erkannt. Es soll Jenny sein.“
Das a.D. hatte er mal wieder fast verschluckt und die Wirtin ging auch nicht darauf ein.
„Kann ich das Foto auch einmal sehen. Vielleicht hat sich Kerstin geirrt.“ Robert nahm sein Handy vom Tisch und zeigte der Wirtin das Foto vom Opfer. Sie betrachte es sehr aufmerksam.
„Ja, das ist unsere Jenny. Sie sagten, Sie haben sie tot aufgefunden? Wie das denn? Sie war doch kerngesund und dann am Hundestrand; sie hat doch gar keinen Hund. Also das ist ja alles sehr merkwürdig.“
„Leider muss ich Ihnen sagen, dass Jenny ermordet wurde.“
„Nein, das gibt‘s doch nicht. Ermordet? Sind Sie sicher?“
„Ja, sie wurde zweifelsfrei erstochen. Können Sie mir was zu ihrer Person erzählen? Wir wussten bis jetzt nicht, wer das Opfer war. Wir haben weder eine Handtasche noch Papiere bei ihr gefunden. Noch nicht einmal ein Handy, obwohl doch heute kaum noch jemand ohne so ein Gerät auskommt. Vor allem die Lebensjüngeren.“
„Ich kann Ihnen zwar etwas zu Jenny sagen, aber über ihr Privatleben weiß ich sehr wenig. Jenny heißt mit Nachnamen Hauptmann und ich habe sie als Saisonaushilfe eingestellt. Sie hatte sich auf eine Annonce in einem Internet-Jobportal hin bei mir beworben. Sie hatte wohl während ihres Studiums als Kellnerin gejobbt und wollte mit dem Job bei mir eine Auszeit überbrücken, bevor sie im Herbst ins Ausland gehen wollte. In der einwöchigen Probezeit habe ich schnell feststellen können, dass sie tatsächlich nicht das erste Mal in einem Lokal arbeitete. Sie war sehr freundlich und aufmerksam. Das ist bei den Saisonkräften nicht immer selbstverständlich. Ich habe da schon so einige katastrophale Erlebnisse gehabt, aber Jenny war wirklich gut.“
„Können Sie mir sagen, wo sie gewohnt hat und ob sie Freunde hier hatte?“
„Ich sagte ja schon, dass ich sehr wenig über ihr Privatleben weiß und auch nichts über ihr Leben, bevor sie auf die Insel kam. Nur, dass sie eben studiert hatte, ansonsten weiß ich nichts über sie. Ob sie Familie hat oder so. Beiläufig hat sie mal erwähnt, dass sie irgendwo in Niedersachsen aufgewachsen ist. Bei dem alltäglichen Stress bleibt auch wenig Zeit zum Klönen. Gewohnt hat Jenny in einem kleinen Mansardenzimmer hier oberhalb des Restaurants.“
„Haben Sie irgendwelche Papiere von ihr? Sozialversicherungsnummer oder Angaben zur Krankenkasse oder vielleicht eine Bankverbindung?“
„Da muss ich in meinem Büro nachschauen. Alle Bewerber müssen einen Fragebogen ausfüllen und darin auch persönliche Daten angeben. Definitiv weiß ich aber, dass Jenny mir keine Bankverbindung genannt hat. Sie wollte ihr Geld lieber bar erhalten. Das kam mir damals zwar ungewöhnlich vor, aber sie meinte, es wäre ihr zu umständlich, jedes Mal in den Ort fahren zu müssen, um an Bargeld zu kommen. Ich gab mich mit der Erklärung zufrieden, denn jeder hat ja so seine kleinen Macken.“
„Was hat sie denn so verdient?“
„Mit Trinkgeld, und sie hat mit ihrer freundlichen Art einiges bekommen, kam sie so ungefähr auf 2.000,- Euro im Monat jetzt zu Beginn der Saison.“
„Und die Sozialabgaben, die Lohnsteuer. Wie wurden die gezahlt?“
Die Wirtin wurde ein wenig verlegen und meinte kleinlaut: „Darum kümmert sich mein Steuerberater. Der macht immer eine Halbjahresabrechnung und so lange war Jenny ja noch nicht bei uns.“
„Nun gut, ich bin nicht von der Steuerfahndung. Das wird schon O.K. sein. Ich habe noch eine Bitte. Kann ich mir mal Jennys Zimmer ansehen?“
Die Wirtin zögerte kurz. „Ohne Durchsuchungsbefehl? - Ach, wird schon in Ordnung sein. Sie sind ja auch nicht von der Steuerfahndung.“
Sie lächelte ihn an und ging voraus zu einer Tür bei den Garderobenhaken, auf der in großen, unübersehbaren Buchstaben ‚Privat‘ stand. Direkt hinter der Tür verbarg sich eine steile Treppe, die in das Mansardengeschoß führte. Oben schloss sich ein kleiner Flur an, von dem auf jeder Seite vier weitere Türen abgingen.
„Hier wohnen meine Saisonkräfte. Insgesamt habe ich 6 Zimmer; die ersten beiden Räume sind eine Toilette und ein kleines Badezimmer. Die Zimmer sind mit dem Notwendigsten möbliert und auch mit einem Fernseher ausgestattet. Meine Mitarbeiter sind ganz froh, dass sie hier wohnen können und ein wenig Komfort haben, denn im Ort sind die Wohnungsmieten recht hoch. Verpflegt werden sie über unsere Restaurantküche, so dass es ihnen also eigentlich an nichts fehlt. Wenn sie mal in den Ort wollen, können sie entweder eins unserer Mietfahrräder nehmen oder mit dem Bus fahren. Aber meistens sind sie nach ihrer Schicht ziemlich abgespannt und haben eher Lust am Strand zu relaxen. Nur an ihrem freien Tag fahren sie hin und wieder mal in die Stadt oder aufs Festland.“
„Wie sieht es denn mit Besuch und Freundschaften aus?“, wollte Robert wissen.
„Während der Saison ist dafür kaum Zeit und ich gucke da auch nicht so genau hin. Wir sind ja kein Kloster. Bisweilen kommt schon mal ein Freund oder Bekannter vorbei.“
„Auch bei Jenny?“
„Nö, eigentlich nicht, wenn ich mich recht erinnere.“
„Sie hatte keine Freunde? Sie war doch eine recht attraktive Frau und sehr gepflegt. Da hat doch auch bestimmt der ein oder andere Gast mit ihr geflirtet.“
„Ja, das schon, aber ich habe nicht mitbekommen, ob sie sich außerhalb unseres Restaurants mal mit jemanden getroffen hat.“
„Hatte sie unter den anderen Mitarbeitern jemanden, mit dem sie sich angefreundet hatte?“
„Vielleicht mit Jens. Die Beiden haben öfter zusammen eine Raucherpause hinter dem Gebäude gemacht und dabei geklönt.“
„Jens, und weiter?“
„Jens Overmann, ein Student aus Bremen, der jetzt schon die dritte Saison bei mir jobbt. Haben Sie noch Fragen? Ich müsste mich mal wieder um meine Küche kümmern, denn um diese Zeit ist bei uns immer viel los. Sie können sich aber gerne noch ein wenig umsehen. Ich hoffe, ich konnte Ihnen schon mal ein bisschen weiterhelfen.“
„Ja, danke. Ich denke, mit Ihren Hinweisen lässt sich die Tote identifizieren.“
Die Wirtin ging in Richtung Treppe, drehte sich aber noch einmal kurz um und bat darum, dass Robert sie bitte informieren solle, wenn er etwas Neues wüsste und lud Nanni und Robert noch zu einem Pharisäer auf Kosten des Hauses ein.
Nanni hatte das Gespräch mit der Wirtin mit kritischer Miene verfolgt und war gar nicht damit einverstanden, dass Robert sich so intensiv mit diesem Mord beschäftigte.
„Sag mal, wie willst du Nele Jansen erklären, dass du hier ihren Job übernommen hast?“
„Naja, ich musste doch erst einmal feststellen, was an Aikas Fund dran war. Hätte ich das Nele direkt erzählt, hätte sie mich wahrscheinlich gefragt, ob ich bei meinem Dienstunfall auch was am Kopf abbekommen hätte. Und weil wir nun einmal hier waren und sogar das Opfer mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit identifizieren konnten, war es doch normal, noch ein wenig nachzufragen. Außerdem erspare ich Nele die umständliche Fahrt auf die Insel und kann ihr so eine Menge Zeit sparen.“
„Dich treibt die reinste Nächstenliebe, du alter Spürhund!“, lächelte Nanni und gab ihm ein Küsschen. Nun möchte ich aber das Angebot der Wirtin annehmen und noch einen Pharisäer genießen.“
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