„Gute Idee. Ich ruf die Kollegen gleich an und melde mich dann bei Ihnen, ob das klappt. Ihre Handynummer habe ich ja hier im Display. Bis gleich.“
Eilts hatte gerade das Inselrevier erreicht, als sein Handy klingelte. „Also, das klappt. Die Kollegen von der Küstenwache machen ihr Boot auslaufklar und meinen, dass wir in ca. einer Stunde vor Ort sein könnten. Denken Sie daran, den Fundort zu sichern und auch daran, nach eventuellen Zeugen zu suchen.“
Nach diesem Telefonat suchte Eilts das Trassenband. Er fand es jedoch nicht auf Anhieb, erinnerte sich aber, dass sie es das letzte Mal gebraucht hatten, als Bauer Knudsen nach einem feucht-fröhlichen Abend seiner Boßelvereinigung mit seinem Fahrrad durch die Vorgartenhecke und einige Beete des schmucken Anwesens der Familie Gerken gefahren war. Dort hatten sie damit den ‚Tatort‘ für die Schadenaufnahme gesichert. Nach einigem Suchen fand er das rot-weiße Band schließlich in dem Raum mit der Altaktenablage. Er wunderte sich, warum es da gelandet war und stopfte es in die Fahrradtasche seines Dienstfahrrads. Vorsorglich nahm er auch noch die kleine Kamera mit, mit der die Wache ausgestattet war, um ein paar erste Fotos vom Fundort und der Umgebung machen zu können.
Am Strand tauchten bereits die ersten Urlauber auf und wunderten sich über den Polizisten, der sich eindrucksvoll vor dem Strandkorb mit der Leiche postiert hatte. Um den Urlaubern den scheußlichen Anblick zu ersparen, hatte Robert die große Decke aus seinem Korb geholt und sie gemeinsam mit Diercks über das Dach gelegt, so dass nur noch der Unterkörper zu sehen war.
Irgendjemand musste wohl auch dem Strandkorbvermieter von der Anwesenheit der Polizei berichtet haben, denn nun erschien der leicht übergewichtige Gert Hettinga keuchend auf der Bildfläche und lief, soweit man seine Fortbewegung als Laufen bezeichnen konnte, auf den Polizisten und Robert zu. Schon von weitem brüllte er: „Was ist denn hier los?“ Am Strandkorb angekommen, musste er erst einmal durchschnaufen. Nachdem er sich erholt hatte, wollte er es nun aber genau wissen: „Warum hängt da eine Decke über Strandkorb 17? Der ist vermietet und wenn die Urlauber gleich kommen, muss die blöde Decke weg. Und wer liegt da überhaupt?“
„Daraus wird nichts. Hinter der Decke liegt nämlich eine Tote.“
„Was? Habe ich richtig gehört? Du spinnst doch Focke Diercks. Eine Leiche am Hundestrand? So früh am Morgen hast du wohl Halluzinationen. Gestern Abend ordentlich einen gesoffen und heute Morgen noch nicht ganz klar im Kopf?“
„Brems dich Gert! Ich muss dich sonst wegen Beamtenbeleidigung verwarnen.“
„Na, mach mal halblang. Ich kann das einfach nicht glauben; eine Leiche in meinem Strandkorb. Lass mal sehen.“ Und schon streckte der Strandkorbvermieter den Arm aus und wollte die Decke von dem Möbel herunterziehen.
„Nix da! Finger weg! Das hier ist ein Fundort. Hier darf nichts verändert werden. Gleich kommt auch noch die Kripo vom Festland und erst wenn die hier alles freigegeben hat, kannst du wieder über deinen Strandkorb verfügen.“, herrschte ihn Focke Diercks mit gewichtiger Stimme an.
Soviel Autorität überzeugte Hettinga. „Dann will ich mich mal um die anderen Körbe kümmern.“, brummelte er und zog von dannen.
Kaum außer Hörweite der drei zog er sein Handy aus der Tasche und rief den Kurdirektor an. „Moin Herr Freese, Hettinga hier!“
„Moin Hettinga. Was gibt’s denn schon so früh?“
„Haben Sie schon gehört? Am Hundestrand hat man eine Frauenleiche gefunden. In meinem Strandkorb!“
„Wirklich Hettinga? Eine Leiche? Weiß man schon, woran sie gestorben ist?“
„Ich glaube, sie wurde ermordet. Unser Dorfsheriff Diercks hat nämlich die Kripo vom Festland angefordert. Und ich habe da im Sand auch Blut gesehen.“
„Was? Ein Mord! Auf unserer Insel. Das ist aber gar nicht gut und dann auch noch kurz vor der Saison. Auf jeden Fall vielen Dank für die Info. Ich werde gleich zum Strand fahren und mir ein Bild von der Lage machen.“
„Ich muss zum Hundestrand. Hettinga hat mich eben angerufen und was von einer Leiche und Mord gefaselt.“, informierte er seine Assistentin und eilte aus dem Büro, um mit dem Fahrrad die paar hundert Meter zum Strand zu fahren.
Schon von weitem sah er Polizeihauptmeister Focke Diercks, der sich vor Strandkorb 17 postiert hatte und erste neugierige Urlauber verscheuchte.
„Moin Focke! Was ist denn hier los? Hettinga hat mich gerade angerufen und mir erzählt, dass hier eine Tote läge.“
„Moin Norbert. Jau, stimmt wohl. Ne junge Frau, naja eher so Mitte, Ende Dreißig, meint der Kriminalkommissar a.D., der die Leiche gefunden hat. Sieht so aus, als ob sie ermordet wurde. Hat jedenfalls ein Messer in der Brust und kalt isse auch schon.“
„Nee, das darf ja wohl nicht wahr sein. Die Vorsaison hat gerade begonnen und wenn die Presse davon Wind bekommt, wirkt sich das garantiert negativ auf unsere Gästezahl aus. Nach dem verregneten Sommer letztes Jahr können wir das überhaupt nicht gebrauchen.“
„Na, vertuschen kannst du das aber nicht.“
„Da hast du Recht, aber vielleicht kann die Kripo den Mord schnell aufklären, so dass er rasch wieder aus den Schlagzeilen verschwindet. Je schneller die Kripo den Fall löst, desto besser. Weißt du denn schon, wer die Tote ist? Und wer war das genau, der sie gefunden hat?“
„Also die junge Frau ist noch nicht identifiziert, keine Papiere, keine Handtasche, nichts. Und gefunden haben sie eine Urlauberin und der Herr hier. Kriminalhauptkommissar Müller. Ist zurzeit als Gast auf unserer Insel und war mit seinem Hund hier unterwegs.“
„Was, die Kripo schon vor Ort. Das ging aber schnell.“, wandte sich der Kurdirektor nun Robert zu.
„Nein, Herr Diercks hat vergessen zu erwähnen, dass ich pensioniert bin. Es war nur ein Zufall, dass ich durch eine andere Urlauberin auf die Leiche aufmerksam gemacht wurde. Den Fall müssen meine zuständigen Kollegen bearbeiten. Ich habe damit nichts mehr zu tun.“ Damit erlosch das Interesse des Kurdirektors an Robert und er wandte sich wieder Focke Diercks zu.
„Kannst du mir mehr sagen?“
„Naja, die Kripo auf dem Festland ist informiert und kommt mit einem Schiff der Küstenwache zu uns rüber. Bis dahin muss hier alles so bleiben. Spurensicherung! Müssten so in einer knappen Stunde hier sein.“
„So lange kann ich hier nicht warten. Im Büro wartet jede Menge Arbeit auf mich. Vielleicht sollte ich auch schon mal eine Presseerklärung vorbereiten.“
„Na, das ist wohl ein bisschen voreilig. Wir haben doch noch gar keine Fakten.“, meinte Diercks. Erstaunt schaute ihn der Kurdirektor an. So viel Situationsgespür hatte er dem schlichten Ortspolizisten nicht zugetraut.
„O.K., ich fahre jetzt zurück in die Kurverwaltung. Rufst du mich bitte an, wenn die Kripo eingetroffen ist. Ich möchte mit denen gerne sprechen.“
Robert wollte nicht länger hier herumstehen und auch nicht auf das Eintreffen der Kripo vom Festland warten. Er machte sich auf den Weg zu seinem Strandkorb in der Hoffnung, dass Nanni nun bald mit dem Kaffee kam und sie wie gewohnt frühstücken konnten. Aika rannte am Strand hin und her und schnupperte an Muscheln und altem Tang herum. Plötzlich blieb sie wie angewurzelt stocksteif stehen und ihre Nackenhaare sträubten sich. Irgendetwas lag vor ihr im Sand. Erst knurrte sie ein wenig und dann bellte sie, um die Aufmerksamkeit ihres Herrchens zu wecken.
„Aika, was hast du denn? Einen toten Fisch? Komm, beruhige dich und lass den liegen. Wir wollen zurück.“
Aika kam auch zu ihm, rannte aber gleich wieder zu der Stelle, die sie so nervös gemacht hatte. Robert verstand nicht, was sein Hund ihm sagen wollte und trottete weiter. Aika kam wieder zu ihm und bellte ihn nun an. „Hör auf zu bellen!“, versuchte er seinen Hund zu beruhigen. Aber Aika hörte nicht auf. Robert war irritiert. Der Hund schaute ihn an und bellte in einem fort, dabei ging er immer wieder ein paar Schritte in die Richtung, wo er eben so intensiv herumgeschnüffelt hatte. Schließlich überwog die Neugier und Robert gab seinem Hund nach. An der Stelle, die Aika ihm nun zeigte, entdeckte er ein Streichholzheftchen von einem Lokal hier auf der Insel.
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