Als Robert die Ursache für ihre Aufregung sah, legte er der Frau, die in dem Strandkorb lag zwei Finger auf die Halsschlagader. Der Hals war kalt und einen Pulsschlag konnte er nicht fühlen. An die aufgeregte Frau gerichtet, murmelte er nur:“ Die braucht keinen Arzt mehr, allenfalls einen Bestatter.“ Er wandte sich der heftig keuchenden Blondine zu und versuchte sie ein wenig zu beruhigen.
„Wo ist denn Ihr Strandkorb? Ich bringe Sie eben dort hin und kümmere mich dann um das Weitere hier.“
„Aber der Frau muss doch geholfen werden!“, stammelte sie und zeigte immer wieder auf den leblosen Körper vor ihnen.
„Ja, das mach ich schon.“, versprach Robert und zog sie von dem Strandkorb weg, so dass sie nicht mehr auf die Tote gucken konnte, die dort lag. Sie bot wahrlich keinen schönen Anblick. Aus ihrer Brust ragte ein Messer, das nur noch zum Teil zu sehen war und ihr Oberkörper war blutverschmiert. Offensichtlich war sie ermordet worden. Auf den ersten Blick schien es sich um eine jüngere Frau zu handeln, doch als Robert sich die Leiche intensiver anschaute, taxierte er sie doch eher auf Mitte bis Ende dreißig. Ihr gepflegtes Äußeres hatte sie zunächst jünger aussehen lassen. Bekleidet war sie mit einem modischen T-Shirt und dazu trug sie hellblaue, hautenge Jeans. Das deutlich sichtbare Firmenlabel des T-Shirts deutete darauf hin, dass die Tote nicht nur einen guten, sondern auch einen teuren Geschmack gehabt haben musste. Obwohl es an diesem Morgen noch recht frisch war, konnte Robert allerdings nirgendwo eine Jacke oder Ähnliches entdecken.
Robert brachte die aufgeregte Urlauberin, die die Leiche entdeckt hatte, zu ihrem Strandkorb und stellte sich auf dem kurzen Weg vor. „Ich bin Robert Müller, Kriminalhauptkommissar a.D. und wie heißen Sie?“ „Ich heiße Rita Wolfert und ich wollte doch nur einen frühen Strandspaziergang mit meinem Hund machen. Wo ist der eigentlich?“, reagierte sie immer noch ein wenig unsortiert. In dem Augenblick kam Aika mit einem kleinen braunen Mischling an ihrer Seite auf sie zugestürmt.
„Da bist du ja, Rosi!“, jubelte Frau Wolfert erleichtert, nahm Rosi auf den Arm und drückte das Hündchen an ihren üppigen Busen. Die Rückkehr ihres Hundes beruhigte sie und Robert konnte ihr nun ein paar Fragen stellen. Seine jahrelange Berufsroutine ließ sich nicht verleugnen.
„Haben Sie irgendjemanden hier an diesem Strandkorb gesehen?“, fragte Robert, obwohl der Mord nach seiner Einschätzung wohl schon etwas länger her sein musste. Das Blut auf der Kleidung des Opfers war schon größtenteils getrocknet.
„Nein, als Rosi und ich ankamen, war der Strand noch menschenleer. Nur auf der Promenade habe ich eine Person gesehen, die rasch in Richtung Ort ging.“
„Könnten Sie die etwas näher beschreiben?“
„Ich habe sie nur von hinten gesehen. Der Mensch trug einen Kapuzenpullover und schien es eilig zu haben.“
„War es ein Mann oder eine Frau?“
„Das kann ich nicht sagen. Die jungen Leute sehen ja heutzutage alle gleich aus.“
„Warum meinen Sie, dass es ein jüngerer Mensch war?“
„Naja er war schlank und bewegte sich recht schnell. In unserem Alter ist man nicht mehr so flott unterwegs.“
Robert wollte lieber nicht mit der fülligen Hundebesitzerin über ihr Alter sprechen, weil er fürchtete, dass sie dann nicht mehr zu bremsen sein würde.
Eine letzte Frage noch: „Wo wohnen Sie hier auf der Insel? Wenn die Polizei kommt, wird sie mit Ihnen sprechen wollen.“
„Mein Mann und ich wohnen in der Pension Strandblick, nicht weit von hier, direkt hinter dem Deich. Von unserem Zimmer hat man einen herrlichen Blick auf die Nordsee und die Verpflegung ist sehr gut, besonders…“ „Danke Frau Wolfert, das reicht für das Erste.“, unterbrach Robert ihren Redefluss, denn sonst würde er sich bestimmt noch eine ausführliche Schilderung der Einrichtung ihrer Unterkunft und der sonstigen Lebensumstände von Frau Wolfert anhören müssen. „Können Sie allein zu Ihrer Pension gehen, oder wollen Sie hier warten, bis Sie jemand begleiten kann?“
„Ich glaube, ich schaff‘ das schon. Rosi begleitet mich ja und ich muss doch meinem Mann berichten, was ich Schreckliches erleben musste.“
„Gut, dann bis später.“, entließ sie Robert mit der jahrelang geübten Routine seines Berufs. Dabei vergaß er völlig, dass er nicht mehr im Dienst war und die Ermittlungen von den Kollegen durchzuführen waren.
Während er zu der Leiche zurückging, wählte er auf seinem Handy den Notruf und alarmierte die Kollegen der örtlichen Polizeistation. Die waren zunächst etwas skeptisch. Ein Mord auf ihrer Insel! Das hatte es noch nie gegeben! Als Robert sich als ehemaliger Kriminalhauptkommissar vorstellte, wich jedoch ihre Skepsis. In 5 bis 10 Minuten würden sie am Hundestrand sein. Sie baten ihn noch dafür zu sorgen, dass am Tatort niemand etwas veränderte. Den Hinweis nahm Robert mit Schmunzeln zur Kenntnis, das war das kleine Einmaleins in der Polizeiausbildung und für ihn eine Selbstverständlichkeit.
Zurück am Strandkorb mit der Toten, sah sich Robert die Ermordete etwas genauer an und fühlte sich bei der Einschätzung des Alters bestätigt, nachdem er sich zunächst durch ihr gepflegtes Äußeres hatte täuschen lassen. Ihre Größe schätzte er auf ca. 1,70 Meter. Die dunklen langen Haare hingen ihr seitwärts über das Gesicht. Bekleidet war sie mit einem weißen T-Shirt, auf das ein wohl origineller Spruch aufgedruckt war, der jedoch unter dem vielen Blut nicht zu mehr zu lesen war. Dazu trug sie eine Jeans, die auf den Taschen mit Glitzermotiven bestickt war und auf der ebenfalls etliche Blutflecken zu sehen waren. Eine Handtasche konnte er nicht entdecken, ebenso wenig Schuhe oder Strandlatschen.
Vorsichtig beugte er sich über die Leiche und berührte ihren bloßen Oberarm. Kalt. Das hieß, dass der Tod schon vor einiger Zeit eingetreten war. Ohne länger nachzudenken, machte er mit seinem Handy schnell ein paar Fotos von dem Opfer. Er schaute sich auch noch in der Umgebung des Strandkorbs um, aber in dem lockeren Sand waren natürlich keine verwertbaren Spuren zu erkennen. Aika schnüffelte zwar aufgeregt auf dem Boden herum, wurde aber durch die eintreffenden Polizisten abgelenkt, die sie erst einmal freudig begrüßen musste.
„Moin. Ich bin Polizeihauptmeister Diercks und das ist mein junger Kollege Polizeiobermeister Eilts. Sind Sie der Kriminalhauptkommissar a. D., der uns alarmiert hat?“
„Ja, Kriminalhauptkommissar a.D. Müller. Kommen Sie, hier im Strandkorb 17 liegt die Leiche einer Frau.“
Als die beiden Polizisten die blutüberströmte Leiche sahen, stöhnte PHM Focke Diercks: „Nö, das darf ja wohl nicht wahr sein! Die ist tatsächlich tot.“
Seinen Kollegen, der etwas blass geworden war und mit aufsteigender Übelkeit kämpfte, wies er an: „Dirk ruf bei der Kripo auf dem Festland an und sag denen gleich, dass sie auch die Spusi in Marsch setzen sollen. Und dann geh ins Revier und hol mal das Trassenband, damit wir den Fundort absperren können.“
Eilts war froh, von hier verschwinden zu können. Schon auf dem Weg zur Promenade rief er von seinem Handy aus die Kripo an und meldete den Mord. Die Kollegin, die die Meldung entgegennahm, war skeptisch. „Sind sie sicher, dass es ein Mord ist? Kann es nicht ein normaler Todesfall sein?“
„Also mit so einem Messer in der Brust und den Unmengen von Blut war das wohl kaum ein normaler Todesfall oder Unfall!“, fauchte Eilts zurück.
„O.K., ist ja gut. Ich glaube Ihnen ja schon.“, beruhigte sie ihn nun. „Wir kommen mit der Fähre und bringen die Kollegen von der Spusi mit. „Wissen Sie, wann die nächste Fähre geht?“
„Ja, vom Festland geht um 08:45 eine, aber die werden sie kaum noch erreichen. Die nächste geht dann erst um 10:30. Aber wenn Sie erst mit der kommen wäre das schlecht, denn dann ist hier am Strand schon ziemlich viel Betrieb. Vielleicht können Sie ja mit dem Boot der Küstenwache kommen, das bei Ihnen im Hafen liegt?“
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