„Wir sollten noch Kies besorgen und einen Weg aufschütten“, schlug Anoo vor, „damit wir nicht im Schlamm zum Essen waten müssen.“
„Ein Halbkreis ist einfach ungeschickt“, schüttelte Ebro seinen Kopf. „Da müsste man endlos Kies herankarren. Am besten stellen wir unsere drei Unterkünfte im rechten Winkel links neben das Gemeinschaftshaus und machen davor einen schönen Kiesweg. “
Die Idee gefiel der Chefin. „Sehr gut. Aber wir stellen sie auf die andere Seite, also nach rechts. Und dahinter kommt die Dusch- und Toilettenhütte, so ist der Weg zum Bach am kürzesten. Wir versehen die Schlafhütten und das große Haus mit Vordächern, machen davor deinen Kiesweg und wenn es den ganzen Tag regnet, sitzen wir drunter und schauen dem Wetter zu.“
„Und wir können die paar Meter zum Essen gehen ohne abzusaufen“, ergänzte Anoo. „Jetzt müssen wir nur noch die Vorräte einer Hütte leerfuttern.“
Mira zeigte in Richtung der angefangenen Höhle. „Die machen wir noch tiefer und zur Vorratskammer, damit wir schneller an Bauholz kommen“.
In Gemeinschaftsarbeit legten sie den Boden aus, stellten Ständer auf, fügten Wandfertigteile ein, montierten Dachsparen, befestigten darauf die doppelten Dachplatten und setzten zum Schluss Fenster und Türen ein. Nach drei Tagen war das Gemeinschaftshaus fertig, Tische und Stühle die bislang im Regen standen, wurden hineingestellt und der Regen hörte auf. Sie tauften das Gebäude auf den klangvollen Namen „Restaurant“.
Während die Höhle gebuddelt, eine Hütte ausgeräumt und zu Vordächern verarbeitet wurde, die Arbeiter am Fluss Kies für den Wegebau besorgten, beschäftigten sich Anoo, Kuro und Potati mit einer Extraaufgabe. Aus dünnen Platten bauten sie links des Restaurants, gleich bei der Küche, sechs Pilzbeete. Mit dem Schleicher und dem zusammengebastelten Anhänger fuhren sie in der Ebene umher, sammelten den Dung der Tiere ein und erfreuten sich an den Herden, die immer wieder an ihrer kleinen Siedlung vorbeizogen. Alle Tiere zogen nach Norden. Anoo nahm immer ein Schießgerät mit, er konnte damit umgehen. Zuhause fischte er nicht nur, auf dem weitläufigen Besitz der Wutakees jagte er auch Säugetiere, um den Verbiss klein zu halten und die Sippschaft mit Fleisch zu versorgen. Hier im Flusstal rechneten sie ständig mit Wölfen und insgeheim auch mit Großkatzen. Wo so viele Säugetiere grasen, musste es auch Tiere geben, die den Überschuss abschöpfen.
Fleisch gab es genug, deshalb wurden die Steak-Pilze erst gar nicht angebaut. Beim Pilzanbau ging es in erster Linie um Gemüsepilze, um die Pilzarten, die Vitamine und Spurenelemente lieferten und um die, aus denen die Laborantin Medikamente gewinnen konnte. Die Pilze brauchten unterschiedliches Substrat. Ein Beet wurde nur mit Dung gefüllt, für ein anderes mischte man den Dung mit Erde, bei noch einem anderen kamen Holzschnipsel hinein. Ein ganz spezieller medizinischer Pilz, der sich ein halbes Jahr entwickeln musste bis man die Früchte, also die Hütchen, ernten konnte, verlangte Totholz, viel Totholz, das mit Küchenabfällen gemischt wurde. Noch gab es weder nennenswerte Küchenabfälle oder Totholz. Letzteres gab es nur im Wald oder am Flussufer, an beides war schlecht ranzukommen. Vor dem Wald standen die Hügel im Weg, vor dem Flussufer die Kieshalden.
Anoo reservierte sich für einen halben Tag den Schleicher, nahm eine Säge und Kuro mit und stach in die Hügellandschaft, um bis zum Waldrand einen Weg zu bahnen. Wie er, war auch Mira der Meinung, dass sie auf die Produkte des Waldes angewiesen waren, ein Weg dorthin konnte nur von Vorteil sein. Wenn die Täler trocken wären, hätte man bis zu deren Ende fahren können und stünde am Waldrand. Doch durch jedes noch so kleine Tal plätscherte ein Bach der sich einbildete, die komplette Fläche in Anspruch nehmen zu dürfen. Überall gab es eine Stelle, an der die Gewässer so frech waren und die Talseite wechselten und somit die Durchfahrt versperrten. Der Hügel an dem ihre Hütten standen, lief nach Norden flacher aus. Deshalb fuhr Anoo um ihn herum und begann mit dem Aufstieg im Norden. In Schräglage kletterte das Geländefahrzeug die Flanke hoch und suchte nach befahrbaren Bereichen, denn der Hügel war von alten Dachsbauten deformiert, an manchen Stellen war Erde abgerutscht. Der eher unauffällige Kuro der sich nie beschwerte und brav machte was ihm geheißen wurde, saß erstarrt neben Anoo, wenn dieser mal wieder abwärts zurücksetzte oder in extreme Schräglage kam. Beiden traten Schweißperlen ins Gesicht, Anoo vor Anstrengung, Kuro vor Angst. Wer so fern der Heimat einen komplizierten Knochenbruch erlitt, würde vielleicht nie wieder der Selbe werden. Erst Ende Oktober sollte der Wal zurückkommen.
Nach einer Stunde, während der sie eineinhalb Mal um den Hügel gefahren waren, hatten sie es geschafft auf die Kuppe zu kommen. Anoo stieg oben aus, jauchzte ins Lager hinab, was alle Anwesende aus den Hütten lockte, winkte ihnen zu und suchte dann gründlich mit dem Fernglas die Landschaft ab. Er sah Kamele, zweihöckrige, das musste er Ria melden. Die Kleinste und Jüngste unter ihnen, hielt er für eine sehr intelligente und furchtlose Frau, die durch reine Überlegung jede Situation, die Mira und Anoo oft nach Bauchgefühl beurteilten, richtig einschätzen konnte. Obwohl sie wegen ihrer zutreffenden Einschätzungen von anderen beneidet wurde, litt Ria unter dieser Fähigkeit. Er hatte sich mit ihr einmal kurz darüber unterhalten, Ria hätte gerne ein Bauchgefühl wie die anderen, kannte das aber nicht.
Weit und breit schien es nur einen Weg zu geben, der zum Wald führte. Das saftige, dunkelgrüne Gras vor dem Wald, das nassen Untergrund anzeigte, wurde nur an einer Stelle durchbrochen. Seinen Hügel und den Wald verband ein kleiner Rücken, der sich wie der Kamm einer Dünne durch die Hügellandschaft schlängelte und vielleicht befahren werden konnte. Langsam zuckelten sie nach Osten, Anoo stand mehr als er saß, um die alten, von Kaninchen, Füchsen und Dachsen gebuddelten Löcher rechtzeitig zu sehen. Es gab auch Risse in der Erde die anzeigten, wo beim nächsten Unwetter der Hang abrutschen würde. Doch sie kamen bis zum Waldrand, der einen ziemlich angefressen Eindruck machte. Einige dutzend Ziegen rannten davon, blieben dann stehen und schauten ungläubig dem Radfahrzeug hinterher. Es war herrlicher Mischwald, in dem gerade wilde Obstbäume blühten. Ein unbekannter Baum blühte gelb, die anderen entfalteten ihre leuchtend grünen Blätter.
Die zwei Männer suchten nach einem ausgetrockneten, umgestürzten Baum. In einem Gewirr von Schlingpflanzen fanden sie das Gesuchte und zerteilten die Äste in transportable Größe. Mit einem Seil zusammengebunden, wurden sie zu den Pilzbeeten gezogen und dort abgelegt. Anoo musste noch einen frischen Baum besorgen und nun wusste er, wie er an dem Hügel vorbei zum Waldrand kam. Wenn er auf der Südseite in eine Falte hineinfuhr, kam er nach einem Kilometer auf seinem neuen Höhenweg heraus. Zuvor berichtete er Ria von den Kamelen. Sie ließ alles liegen und stehen, schnappte sich ihr Fernglas und fuhr mit, Kuro setzte sich nach hinten. Wenn der Schleicher auf einer nassen Stelle, die es manchmal gab, rutschte oder besonders schräg den Hügel erkletterte, machte sie nicht eine Bemerkung, sie schaute und schaute, damit ihr ja kein Viehzeug entging.
Oben zeigte Anoo auf die weidenden Kamele, Ria beobachtete ausdauernd. Er stand neben ihr und betrachtete von der Seite ihr Gesicht und die Haut ihres Armes, sie sah makellos und weich aus. Ihr Hals war der dünnste den er je gesehen hatte und ihre Haare waren um einiges feiner als Landis Haare, die ihm gegen Rias Pracht wie Borsten vorkamen. Und sie duftete, nicht nach Seife oder so, nein, sie duftete nach Sonne, ihre Haut produzierte gerade Vitamin D und gab Sympathie von sich. „Oh, Mann“, dachte Anoo, „was für eine herrliche Frau, und viel verträglicher und verständnisvoller als Landis. Wenn es dumm läuft, findet sie einen Freund und ich werde zuschauen müssen, wenn sie mit ihm herumknutscht und sich von ihm anfassen lässt.“ Er überlegte, wer als Freund für sie in Frage kam. Von den Forschern eigentlich nur der Archäologe Separa, die anderen waren trübe Tassen. Von den Arbeitern aber Mak Tauro, der konnte es sogar mit Landis gut und unterhielt sich oft mit ihr. Auch wenn Mak kein Studierter war, gehörte er unverkennbar zu den Cleveren, er begriff schnell und konnte gut erklären. Und er bestach durch Charme. Vermutlich konnte er auch gut Frauen um den Finger wickeln.
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