Hans Joachim Gorny
Ewig Lust auf Mädchen, ewig Lust auf Krieg
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Inhaltsverzeichnis
Titel Hans Joachim Gorny Ewig Lust auf Mädchen, ewig Lust auf Krieg Dieses ebook wurde erstellt bei
Hauptsache weg von der Welt
Partytime
Die Traumfrau
Unruhe
Toto
Die Kneipe
Tournee
Zuzug
Annäherung
Schönes Wetter, schlechtes Wetter
Das Christkind
Alt ist relativ
Dennetall
Am Ende der Durststrecke
Untermieter
Tollhaus Deutschland
Die Geisterarmee
Alte Erkenntnisse
Impressum neobooks
Hauptsache weg von der Welt
Ewig Lust auf Mädchen, ewig Lust auf Krieg von H. J. Gorny
Vinhold Radagar hatte genug von der Welt. Genug von seiner Frau, seiner Tochter, seinem Eigenheim. Er hatte auch genug von seinem Beruf und von seiner Berühmtheit. Er war seiner Daseinsform überdrüssig, suchte einen Neuanfang und hatte das Bestreben, sein bisheriges Leben möglichst weit hinter sich zu lassen. In seinem fünfzigsten Lebensjahr verbrauchte er viel Geld und Energie, um zu seiner Vergangenheit eine möglichst große räumliche und mentale Distanz einzurichten.
Seit er seine Frau verlassen hatte redete seine Tochter nicht mehr mit ihm. Nie hätte er gedacht, dass Birte, sein eigener Nachwuchs, so unkritisch und unobjektiv sein könnte und sich blindlings die Sichtweise ihrer Mutter aneignen würde.
Zugegeben, hin und wieder hatte er mit anderen Frauen das Kopfkissen geteilt, was seine Frau aber nicht wissen, nur vermuten konnte. In den letzten vier, fünf Jahren hatte sie auch nie mit Verdächtigungen gegeizt, aber meistens während seiner inaktiven Phasen, was er als ungerecht empfand. Ausgerechnet zu den Zeitpunkten in denen er sie gerne beglückt hätte, musste sie ihm ihre Szenen machen.
Vinhold fragte sich ernsthaft, ob sie das alles künstlich herbeiführte, weil sie keine Lust mehr verspürte, einen angegrauten, leicht schwabbeligen Mann anzufassen? Die ersten zehn Ehejahre war seine süße Ludmilla angenehm pflegeleicht gewesen, hatte sich engagiert um Haushalt, Kind und später um das Eigenheim gekümmert, das ihm jetzt, nach jahrelangem Kleinkrieg, grünlich verleidet war. Genau wie sein Vater, hatte er sich eine Frau zugelegt der man ansah, dass sie keinen Ärger macht. Jedoch mit Vinholds zunehmender Berühmtheit war Ludmilla immer anspruchsvoller, kritischer, eifersüchtiger und biestiger geworden.
Vor seinem fünfzigsten Geburtstag hatte ihre Unzufriedenheit eine so entnervende Dimension erreicht, dass er die Feier ausfallen ließ. Das nahm sie dann zum Anlass, sich in langen Telefongesprächen bei Tochter Birte auszuheulen, die ihm anschließend, ohne ihm die Chance zu geben seine Sichtweise zu erklären, den Rost heruntermachte. Und Ludmilla beschwerte sich bei Vinholds Schwester Villmut, die in Dallas verheiratet war. (Seine Frau hatte er durch seine Schwester kennengelernt, die ihre beste Freundin war.) Das gemeinsame Leben war sehr unerquicklich geworden und nicht mehr zu ertragen. Als er sich schließlich, um unter alles einen finalen Strich ziehen zu können, von seiner Frau trennte, kündigte ihm auch seine Schwester, vermutlich von Ludmilla vergiftet, die Verwandtschaft. Wenn er es positiv betrachtete, hatte er sich mit einer Trennung drei unangenehme Frauen vom Hals geschafft.
Auch seines Namens, der ihm Zeit seines Lebens nur Spitznamen einbrachte, war er überdrüssig. Vor allem während der Schulzeit waren sein Vor- aber auch sein Nachname, ein unerschöpflicher Quell für Wortspielereien gewesen. Schon ziemlich früh wurde er Vino gerufen, mit „holder Wein“ oder hallo Vin, was später Halloween wurde, begrüßt, oder es wurde während des Unterrichts ein „drinke ma en Schluck“ von sich gegeben. Wenn Vinhold über den Schulhof oder durch die Gänge gegangen war, hatte ihn oft ein Ratatata begleitet, eine Anspielung auf seinen Nachnamen. Einer seiner Klassenkameraden, der sich in Herr der Ringe auskannte, wollte wissen, ob er mit Radagar dem Braunen verwandt sei. Wobei der alte Zauberer Radagast hieß. Aber einigen Kameraden passte Vinholds braune Haartracht gut zu diesem Namen und so blieb er eine Zeitlang Radagar der Braune. Oft wurde er auch gefragt, welchen Migrationshintergrund er hätte. Aber sein Vater wusste nur von einer Polin, welche die rein deutsche Ahnenreihe aufmischte. Vinhold lechzte nicht nur nach einem neuen Leben, sondern auch nach einem neuen Namen und einer neuen Heimat.
Das Vermögen das er auf die Seite gebracht hatte, von dem weder Frau noch Tochter noch Finanzamt etwas wussten, wollte er gerade dazu verwenden, sich zum einundfünfzigsten Geburtstag auf Sardinien eine neue Heimat zu schenken, als überraschend sein Vater verstarb. Soweit man bei einem 95jährigen von überraschend sprechen konnte. Vinhold hatte seinen Vater Amon nur als beweglichen, vitalen und stets gesunden Menschen gekannt. Es hätte ihn überhaupt nicht überrascht, wenn er einhundertzehn Jahre und älter geworden wäre.
Amon Radagar hatte zwar alle paar Jahre über das Altern geschimpft, zum Beispiel, dass er zweierlei Brillen benötigte, oder, dass trotz intensiver Pflege die Zähne bröselten, die Gelenke nicht mehr richtig funktionierten und dass er sich ruckzuck einen Muskelriss oder eine Zerrungen zuzog, wenn er sich nicht richtig warmmachte. Irgendwann war der Verlust des Haupthaares ein Thema gewesen, ein andermal die Diskrepanz zwischen Spiegelbild und Innenleben, weil sich der Mensch immer jünger fühlt als er aussieht. Als er schon weit über siebzig war beschwerte er sich, dass der Schwanz nicht mehr so wollte und die jungen Frauen deutlich außer Reichweite gerieten. Frauen hatte sein Vater immer gehabt, bestimmt auch zu der Zeit, so war Vinhold überzeugt, als seine Mutter noch lebte. Seine gewinnende Art und positive Ausstrahlung, mit der er bei der Weiblichkeit begehrende Blicke erntete, konnte er sich, obwohl er es nicht glaubte, bis ins hohe Alter bewahren.
Aber aller Meckerei zum Trotz war Amon bis zuletzt Herr seiner Sinne, mit dem Fahrrad unterwegs und allein in seinem Haus gewesen. Mit seinem Tod war das Haus Radagar plötzlich frei.
Vinholds Elternhaus stand in einer total irren Gegend, wie es sie in Deutschland vermutlich keine Zweite gab. Wer dort wohnte, war weiter weg von der Welt, als in einem Dorf auf Sardinien. Die Straße in der das Haus stand, die Süd-Straße, lag wie eine Notlösung oder wie ein Witz der Stadtplanung, an der Peripherie. Denn um das größte Industriegebiet der Stadt herum, das an Sumpfland grenzte, war einstmals eine schmale Umgehungsstraße gebaut worden. Auf der Sonnenseite der Straße hatten sich im Laufe der Jahrzehnte Kleinbetriebe angesiedelt, die sich keine bessere Lage leisten konnten. Am Anfang der Süd-Straße befand sich eine Gärtnerei mit halbverfallenen Gewächshäusern, der schloss sich ein kleiner Fuhrunternehmer an, es folgten ein Sanitärbetrieb, ein Gipser, Dachdecker, Gebäudereiniger, eine Schreinerei und viele mehr, die Vinhold gar nicht alle kannte. Diese ganzen Betriebe, oft noch mit Wohnhaus, standen in einer Linie und, wenn auch zum Licht, mit dem Rücken zu riesigen Fabrikwänden.
Beginn und Ende der Süd-Straße konnten nur von Eingeweihten gefunden werden. Ihr Westende, wo sie wie ein Feldweg aussah, begann auf dem Parkplatz der Gärtnerei und führte zunächst durch einige Haselnussbüsche, die selten zurückgeschnitten wurden. Danach offenbarte sich die lange Reihe der Kleinbetriebe. Nach zwei Kilometern endete die Straße vor einem Fluss, um weiter zu kommen, musste man nach links und das Betriebsgelände einer Chemischen Fabrik überqueren. Der Fluss umrundete das Industriegebiet in weitem Bogen, die breiteste Stelle zwischen Fluss und Straße maß einhundertfünfzig Meter. Dieses Unland war einst eine morastige Wildnis, welche irgendwann von der Stadt trockengelegt wurde. Auf diesem Gelände wurden dann, um den Wünschen der Bevölkerung entgegen zu kommen, Schrebergärten angelegt. Den Kleinbetrieben lagen also Schrebergärten gegenüber, und wenn es den Handwerkern im Sommer zu heiß wurde, gingen sie in der Mittagspause im Fluss baden und auf dem Rückweg klauten sie in den Gärten Gemüse.
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