Ebro der Vorarbeiter wusste noch mehr. „Als erstes wurde Afrika von einem kleinen Frachter angesteuert. Die Abenteurer hatten in einem Buch gesehen, welch schöne und seltsame Tiere es dort gibt. Mit Wilden rechnete keiner, weil die einfach sehr weit verstreut und sehr Wenige sind. In Afrika verhält sich das anders. Wer dort eine Woche und länger unterwegs ist, wird fast immer entdeckt. Die Schwarzen rotten sich dann zusammen und verfolgen die Hellhäutigen, dabei haben sie eine vorsätzliche Tötungsabsicht. Die wollen unbedingt jeden, der heller ist als sie, von der afrikanischen Erde tilgen. Das ist wie eine Manie. Die müssen fest glauben, dass Helle vernichtet werden müssen. Auf jeden Fall, von dieser ersten Expedition kam nicht einmal mehr die Hälfte der Männer zurück.“ Ebro legte Holz nach und setzte sich aufrechter hin. „Robbes Vater hatte einmal versucht, mit einem Wal in Afrika zu landen. Vielleicht dreihundert Kilometer von der Küste entfernt. Da wird ein anderes Volk wohnen, dachte er, ein friedlicheres. Trotzdem führte er Schießgeräte mit, sogar solches Spezialzeug das die Strahlen streut. Wer mit dem Wal reist, spart sich den Überlandweg. So landete er, als das Wasser knapp wurde, an einem idyllischen Fluss und bei der Landung vertrieb der Wal Elefanten, Giraffen, Zebras und herrlich gemusterte Antilopen. Die Besatzung glaubte sich im Paradies, die fremden Tiere und Pflanzen nahmen sie ganz gefangen. Ganz begeistert waren sie von den vielen großen und bunten Vögeln. Schon allein der Vögel wegen, muss Afrika das faszinierendste Land der Erde sein. Die Faszination nahm schlagartig ein Ende, als dem Koch ein Speer im Rücken steckte. Der Alte schrie: Alles hinlegen, und schon sausten Pfeile über die Crew hinweg. Dann schoss er planlos in das Unterholz im Hintergrund. Da flogen nur so die Blätter und Äste herum. Die Wilden muss das beeindruckt haben, denn danach war Stille. In Windeseile rannten alle zum Wal, kappten die Taue, kletterten hinein und der Kapitän riskierte einen Schnellstart, in dem er das Wasser abließ. Kaum zehn Meter von der Erde weg, brachen Dutzende Schwarze aus dem Dickicht hervor und zertrümmerten mit Speeren die Scheiben der Kabinen. Andere beschossen die Crew mit Pfeilen aus Blasrohren. Es wurde nach unten geschossen was ging, zwei Mann wurden von vergifteten Pfeilen getroffen und starben kurz darauf. Auch hatte man drei Mann unten vergessen. Man darf sich gar nicht vorstellen was mit denen passiert ist. Der Wal war von den Schützen schon hundert bis zweihundert Meter weit weg, da wurde es nochmals brenzlig. Wilde kamen mit Brandpfeilen herangestürmt und schossen auf die Zigarren. Aber kein Pfeil erreichte die Gashüllen. Das wäre es noch gewesen, Brandpfeile im Wasserstoff.“
Ebros Zuhörer blieben still und gruselten sich bei der Vorstellung, von lauter schwarzen Wilden umgeben zu sein. Dann fragte Potati: „Was ist ein Blasrohr?“
Ria antwortete: „Das sind lange ausgehöhlte Stecken. Durch die wird ein kleiner, gefiederter Pfeil geblasen. Damit kann man ungemein weit und genau schießen. Vor allem aus dem Hinterhalt.“
„Und die Pfeile sind vergiftet?“
„Tödlich vergiftet“, sagte Kuro. „Die Wilden werden damit Tiere jagen. Das Gift, nehme ich an, wird sich schnell abbauen.“
Darran Tui stolperte vom Wal kommend um sie herum. Vor dem Gesicht trug er eine klobige Maske.
„Was willst du mit dem Nachtsichtgerät?“ wollte Ebro wissen.
„Nachtsichtgerät?“ rief Landis gedehnt. „So etwas gibt’s?“
„Ich suche nachtaktive Tiere“, erklärte Darran. „Die Tiere strahlen Wärme aus und das sehe ich auf den Gläsern.“ Er ging weiträumig um die Feuer herum, alle beobachteten ihn gespannt. Auf einmal blieb er stehen und starte in die Finsternis. „Ich glaube da steht ein Tiger“, sagte er und ging gleich ein paar Schritte zurück.
Die kleine Ria stand auf und ging angstfrei zu ihm. „Zeig mal.“ Sie übernahm das Gerät und starrte. Dann ging sie einige Schritte vor, starrte, ging noch ein paar Schritte vor, dann sagte sie: „Da steht tatsächlich einer. Aber er traut sich nicht her.“ Außer Ria, Anoo und Landis, schliefen nur noch vier andere, die Ria vertrauten, auf dem Sandbett.
Nach einer ruhigen Nacht auf Erden, ging die Fahrt am nächsten Morgen weiter. Die Anker wurden entfernt, die Taue eingeholt und dann zerrte der Wal an einem großen, wassergefüllten Kissen, das unten in der Mitte hing. Das Kissen wurde geöffnet, das Wasser schoss heraus und der Wal erhob sich in den Himmel. Die leere Kissenhülle wurde eingeholt und bis zum nächsten Start verstaut.
Über den Gebirgslandschaften, die nach Indien folgten, gab es kleine Turbulenzen, einigen Reisenden wurde schlecht, aber der Wal schaffte sich kontinuierlich nach Westen und kam überdurchschnittlich schnell voran. Während der Reise wurden Aufzeichnungen gemacht. Immer standen Mehrere mit Ferngläsern bereit und suchten nach Lebewesen, beschrieben die Landschaft, Seen und Flüsse und wenn tief gefahren wurde, auch die Bäume. Immer lag auch eine Kamera bereit, um fotografieren zu können. Es war bekannt, dass nicht nur afrikanische Menschen überlebt haben. Aber so häufig wie dort war Homo sapiens, oder was von ihm übriggeblieben war, auf anderen Kontinenten nicht vertreten.
„Wenn die Wilden einen Wal sehen, werden sie sich verstecken“, war Miras Meinung.
„Ein Dorf zu sehen wäre eine tolle Sache“, sagte Nora Glitt die Psychologin, die sich nicht oft äußerte.
„Die Aufklärer haben bislang nur Jäger und Sammler fotografieren können, die in Zelten leben“, kam vom Lenkrad. „Feste Dörfer setzen Landwirtschaft voraus, Felder wurden noch nie gesichtet.“ Die Crew suchte unverdrossen nach Menschen. Robbe streifte einen halben Tag lang das Ufer des Kaspischen Meeres, wie der Karte zu entnehmen war. Dort lagen an einem Strand, gut zu erkennen, zwei Einbäume, unter einem Baum kräuselte Rauch empor. Zu landen, um diese Menschen kennenzulernen machte keinen Sinn, da alle Wilden vor den Walen flohen. In dem riesigen Luftgefährt konnten sie nur ein riesiges Ungeheuer erkennen. Man hätte bei der Frontbemalung vielleicht auf die Gesichter verzichten sollen. Aber für die Reisenden war es ein erster Beweis, dass es in dieser Gegend noch oder wieder Menschen gab. Robbe wechselte hinüber zum Schwarzen Meer, dort war an einer Flussmündung eine weitere Wasserentnahme geplant, dahinter würde Europa beginnen.
Anoo wachte mitten in der Nacht auf und konnte nicht mehr einschlafen. Er musste darüber nachdenken, dass ihre Gruppe zur nördlichsten siedelnden Zivilisation der Welt wurde. Wieso, fragte er sich, schickt die Regierung so viele Neulinge auf diese weite Reise? Doch bestimmt nur, weil sie unverbraucht und unkritisch waren. Mira hatte für den folgenden Tag letzte Informationen zum Reiseziel versprochen. Seine Beine fingen an zu kribbeln, leise kletterte er aus seiner Koje, schlich sich auf den kalten Steg und schlüpfte in die warme Kabine.
Robbe stand einsam vor seinem Lenkrad, er schaute sich kurz um wer da kam und nickte Anoo entgegen. Nachts fuhr der Wal nur halbe Kraft, damit der Stromvorrat aus den Speichern bis Sonnenaufgang reichte.
„Schläfst du denn nie?“ fragte er den Kapitän.
„Das scheint nur so. Im Prinzip bin ich ein fauler Sack. Ich habe tagsüber zweimal geschlafen.“
Der Besucher schaute durch die Frontscheibe und war beseelt. Unter dem Wal war es weiß, sie fuhren über ein schimmerndes Meer. Weiße Wellen türmten sich auf, sie bewegten sich aber nicht. Die Wellen dieses Meeres schienen eingefroren, die Zeit still zu stehen. Über dem Wal leuchtete der Sternenhimmel absolut klar, zum Greifen nahe. Der Anblick war friedlich und beruhigend. Hier oben war kein Platz für etwas Schlechtes. Hier müsste der Bereich sein, in dem die Verstorbenen verweilen. Robbe schaute stur nach vorne und sagte nichts. Anoo hatte den friedlichen und im wahrsten Sine des Wortes überirdisch schönen Anblick für sich. Schön aber einsam. Plötzlich leuchteten die Wolken vor ihm auf und schon war aus mit Frieden. Es leuchtete immer öfter, unten schien ein Gewitter zu toben, hier oben war nicht mehr als das leise Summen der Motoren.
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