„Was?“ Ihre Mutter schien nicht sonderlich begeistert zu sein. „Aber...?“
„Hey!“ warf Frank aber sofort ein. „Wie wäre es mit Gruppenkuscheln? Ich kann jetzt auch noch nicht einschlafen. Ein bisschen Fernsehen wäre echt schön!“ Er lächelte Kate an und als diese die Augen verdrehte, tauschte er mit seiner Nichte ein breites Grinsen aus.
„Also gut!“ stöhnte Kate. „Dann alle Mann in die Schlafanzüge. Ich sehe euch in fünf Minuten in meinem Bett!“ Und damit ging sie in ihr eigenes Zimmer.
*
Die dunkle Gasse lag still und verlassen da.
Das war sehr oft so, denn eigentlich nutzte sie niemand. Schon gar nicht nach Sonnenuntergang.
Kaum Jemand kümmerte sich um die beiden großen Müllcontainer, die dort standen. Niemand interessierte der Müll auf dem Boden, niemand der Gestank nach Exkrementen, Schweiß und verrottendem Unrat.
Und niemand registrierte den reglosen Körper von Timothy Dixon.
Eine große Blutlache hatte sich mittlerweile unter ihm gebildet, doch seit einiger Zeit wuchs sie kaum noch an.
Drei Minuten waren vergangen, seitdem Billy und Duke von hier verschwunden waren, doch Nichts und Niemand hatte seither den Weg hierher gefunden.
Alles war ruhig und still.
Bis…
…da urplötzlich ein Schimmern zu sehen war. In mattem Gelb, ganz leicht nur und doch erkennbar. Es sank vom Himmel herab und je weiter es in die Gasse eindrang, desto deutlicher wurde es, wenngleich es noch immer sehr schwach war.
Es pulsierte, hatte die unregelmäßige Form und Konsistenz einer sich ständig bewegenden Wolke und etwa die Größe eines Kleinwagens.
Ganz langsam sank sie herab und verharrte dann gut einen Meter über dem Boden, während sie weiterhin waberte wie dicker Nebel.
Kein Laut war dabei zu hören, alles blieb weiterhin sehr still.
Einige Sekunden später sank die Wolke noch weiter hinab, bewegte sich dabei jedoch auf Timothys reglosen Körper zu, bis sie nur wenige Zentimeter direkt über ihm wieder verharrte. Augenblicklich begann der Nebel deutlicher, schneller und intensiver zu pulsieren, während er sich merklich zusammenzog, bis er nur noch halbe Größe besaß. Dann wanderte er weiter, bis er direkt hinter Timothys Kopf zum Erliegen kam.
Mit einem Male aber schob sich der vordere Teil des komprimierten Nebels deutlich über und auch unter Timothys Schultern. Dabei wurden seine Schulterpartie und sogar sein Kopf leicht angehoben. Dort, wo der Nebel Dixons Körper direkt berührte, wurde das matte Leuchten deutlich dunkler und intensiver und von einem leisen Knistern begleitet, als würden unzählige statische Entladungen stattfinden.
Plötzlich drehte sich Timothys Oberkörper zur linken Seite und wurde dann tiefer in die Gasse hineingezogen. Das alles wirkte so, als wäre er von einem Unsichtbaren gepackt worden, der ihn weiter in die Dunkelheit zog. Die Blutlache unter seinem Körper wurde in die Länge gezogen und schimmerte metallisch in dem geheimnisvollen Licht.
Direkt hinter dem zweiten großen Müllcontainer wurde Dixons Körper neben die Hauswand gezogen, bevor er sanft wieder zum Erliegen kam. Der pulsierende Nebel löste sich von Timothys Schultern, das Knistern wurde leiser und erstarb. Für einige Augenblicke verharrte die Wolke über Dixons Oberkörper, bevor sie sich noch ein Stück weiter in die Gasse hinein bewegte. Dort schwebte sie über eine alte, zerschlissene Plastikplane. Ein weiteres Knistern ertönte, als sich vier kurze, armdicke Tentakeln über sie legten und sie langsam in Richtung Dixon zogen. Ein leises Schleifen war zu hören, als das Plastik über den Betonboden schabte.
Die Plane schwebte an den Tentakeln gezogen über Timothys Körper und als sie ihn komplett bedeckt hatte, löste sich der Nebel von ihr und sie sank wallend und in unregelmäßigen Falten zu Boden.
Von Dixons Körper war hiernach nichts mehr zu sehen.
Der Nebel schwebte in die Höhe und zog sich in die Mitte der Gasse zurück. Dort verharrte er nochmals für einige Sekunden, wabernd, mit einem matten, kaum sichtbaren Schimmern, bevor ein Summen ertönte und er dann überraschend schnell senkrecht in den Himmel schoss, wo er von den dunklen Wolken dort schnell verschluckt wurde und die Gasse in tiefer Finsternis zurückließ.
*
Als Frank ins Schlafzimmer seiner Schwester kam, lief bereits der Fernseher und Kate und auch Theresa lagen in ihren Schlafanzügen auf dem Bett.
Palmer verzog die Lippen zu einem gequälten Grinsen, doch legte er sich ohne etwas zu sagen mit einem leichten Stöhnen auf die rechte Bettseite des Doppelbetts, sodass seine Nichte jetzt zwischen den beiden lag.
Während er sich das Kopfkissen zurechtrückte, erkannte er, dass die beiden einen alten Jerry-Lewis-Film anschauten, in dem auch Dean Martin mitspielte. Das war okay für ihn. Leichte Kost zum Einschlafen war genau das, was er jetzt brauchte.
Doch kaum hatte er es sich bequem gemacht und begann zu entspannen, krabbelte seine Nichte ohne ein Wort und auch ohne den Blick vom Fernseher zu nehmen, auf seine rechte Seite. Da dort jedoch eigentlich kaum Platz vorhanden war, musste sie sich beinahe halb auf ihn legen, um nicht über die Kante zu fallen.
Frank erkannte das und rutschte mit einem leisen, aber genervten Stöhnen und verdrehten Augen in die Mitte des Bettes. Daraufhin grinste Theresa unbemerkt, rückte ein wenig nach und kuschelte sich an Frank, während er seinen rechten Arm um sie legte.
Okay, damit kann ich leben , dachte er und begann zu entspannen.
Doch nur wenige Augenblicke später bewegte sich Kate auf der anderen Seite und ehe er sich versah, hatte sich auch seine Schwester an ihn gekuschelt. Obwohl er erneut genervt aufstöhnte, hatte er keine andere Wahl, als auch seinen linken Arm anzuheben und ihn um sie zu legen. Kate sagte kein Wort, doch grinste auch sie breit.
Also gut, dachte er. Von mir aus. Aber sicher nicht für lange.
Dann schauten sie gemeinsam den Film.
Und obwohl er es gar nicht wollte, fielen ihm schon nach knapp einer Viertelstunde die Augen zu. Dass Theresa neben ihm bereits tief und regelmäßig atmete, bekam er gerade so noch mit, doch auch Kate auf der anderen Seite war längst schon eingeschlafen.
Frank wehrte sich nicht gegen seine Müdigkeit und hätte es auch gar nicht geschafft. Er war satt und zufrieden und irgendwie sogar ein bisschen glücklich.
Sein Weg ins Reich der Träume war also nicht aufzuhalten und erfolgte sanft und entspannt.
Arm in Arm mit den beiden Menschen, die er mehr liebte, als irgendjemanden sonst auf dieser Welt, schlief er tief und fest ein.
*
Das Schimmern kehrte zurück!
Wie schon beim ersten Mal senkte es sich langsam und unbemerkt in die Gasse hinab, die genauso still und leer in Dunkelheit lag, wie schon wenige Minuten zuvor.
Die wabernde Wolke steuerte direkt auf die Plastikplane zu, unter der Timothy Dixons regloser Körper lag. Dabei drückte sich ein einzelner tentakelartiger Fortsatz aus dem Nebel, schob sich unter die Plane und innerhalb weniger Augenblicke war die komplette Wolke darunter verschwunden.
Die Plane wurde dadurch leicht angehoben, doch gab sie nicht preis, was unter ihr vor sich ging.
Dafür aber wurde das pulsierende Schimmern deutlich dunkler und intensiver und der Plastikstoff vermochte es nicht gänzlich zu überdecken, sodass es die Gasse schwach erleuchtete. Auch war erneut ein Knistern zu hören, das jedoch schnell immer weiter anschwoll und am Ende deutlich lauter war, als beim ersten Mal. Die wie statische Entladungen wirkenden Geräusche klangen hart und ruppig und waren, wenn auch leise, in der angrenzenden Straße zu hören, doch niemand schenkte ihnen wirkliche Beachtung.
Selbst, als das Knistern permanent anhielt, blieben die Geschehnisse in der Gasse im Verborgenen.
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