Urplötzlich änderte sich der Geräuschpegel. Das Knistern wurde wieder etwas leiser, dafür trat eine Art Quieken hervor, dass anfangs kaum menschlich klang, aber von großen Schmerzen zeugte. Dabei zuckte die Plastikplane immer wieder auf und ab und hin und her, als würde sich unter ihr etwas winden. Allmählich wurde die Tonlage des Quiekens etwas tiefer, klang jetzt mehr wie ein Stöhnen. Auch die ruckartigen Bewegungen unter der Plane ließen nach.
Schließlich erstarben sie gänzlich, ebenso, wie auch das Stöhnen und das Knistern verstummten und am Ende sogar das Schimmern erlosch.
Die Gasse lag wieder still in der Finsternis.
Und doch war da Bewegung. Geringfügig nur, fast zerbrechlich und kaum zu erkennen. Aber eindeutig bewegte sich die Plastikplane. Dort, wo Timothys Kopf war, immer wieder für wenige Millimeter rhythmisch auf und ab. Direkt über seinem Mund!
Dann ging alles blitzschnell:
Ein Schrei war zu hören. In einer Mischung aus Angst, Schmerz und Verwirrung. Im selben Augenblick zuckte Timothys Oberkörper senkrecht in die Höhe, während seine Hände hektisch dabei waren, die Plane abzustreifen. Schon richtete er sich weiter auf, wuchtete sich schließlich auf die Füße. Dann fiel die Plane von ihm ab. Schweratmend versuchte er auf den Beinen zu bleiben, aber er verlor das Gleichgewicht und stolperte rückwärts gegen die Betonwand. Als er dagegen schlug schrie er nochmals auf, doch gelang es ihm, sich aufrecht zu halten. Im nächsten Moment zuckte sein Oberkörper nach vorn, weil ihn ein heftiger Hustenschauer überfiel. Während er seine Arme auf die Oberschenkel stemmte, erbrach er auch noch einiges an Schleim, bevor er sich mit einem tiefen Atemzug wieder aufrichtete und mehrfach nach Luft rang.
Erst dann beruhigte er sich. Er atmete flacher und regelmäßiger, sein Blick wurde deutlich klarer, sein Körper straffte sich.
Plötzlich aber kräuselte sich seine Stirn, so, als wüsste er nicht, wo er war und was er vor sich sah. Einen Augenblick später versteifte sich sein Oberkörper wieder. Sein Kopf zuckte herab und mit großen, beinahe entsetzten Augen betrachtete er das mittlerweile getrocknete Blut an seinem Shirt. Gleichzeitig riss er seine Arme in die Höhe, zog das Shirt nach oben, legte damit die Stichwunde frei und befühlte sie. Ihr Anblick war furchtbar. Ein dunkles Loch in Form der Klinge, die Haut am Eintrittspunkt etwas aufgerissen. Geronnenes, fast schwarzes Blut. Doch als Timothy mit seiner rechten Hand sanft darüber wischte, rieselten trockene Blutfetzen zu Boden. Mehr noch: Als er wieder und dieses Mal etwas fester darüberstrich, lockerten sich sogar Teile des Blutpfropfens direkt an der Eintrittswunde und legten…Haut frei, die wirkte, als wäre an dieser Stelle niemals irgendetwas mit ihr geschehen. Dass dies kein Trugbild war, zeigte sich wenige Augenblicke später, als Dixon noch einige weitere Male über die Wunde gewischt hatte und am Ende nichts mehr von ihr zurückgeblieben war. Nichts deutete mehr auf die schwere, vermeintlich tödliche Verletzung hin. Die Haut war vollkommen intakt, wenngleich noch etwas schmutzig.
Timothy stöhnte auf und als er seinen Kopf wieder anhob, umspielte ein breites Lächeln seine Lippen. Gleich darauf ertönte ein halb unterdrücktes Jauchzen, das in ein leises, aber fröhliches Lachen mündete.
Timothy machte ein paar Schritte nach vorn und blieb dann etwa in der Mitte der Gasse stehen. Für einige Sekunden blickte er in die Finsternis der einen Seite, dann drehte er sich langsam um und blickte in Richtung Straße. Hiernach hob er seinen Kopf und schaute in den dunklen Nachthimmel. Die ganze Zeit über hatte er ein breites Lächeln auf den Lippen.
Auch als er den Blick wieder senkte, verschwand es nicht.
Dann atmete er tief durch und machte einen resoluten Schritt in Richtung Straße, als er plötzlich wieder abstoppte, nochmals an sich hinabsah und angesichts des vielen Blutes einen besorgten Gesichtsausdruck bekam. Nervös blickte er sich in der Gasse um, doch war schnell klar, dass er nicht fündig werden würde. Für einen Augenblick schien er unschlüssig, bis er schließlich den Reißverschluss seiner Jacke einfach bis unter das Kinn zuzog.
Damit gab er sich zufrieden und wollte schon wieder losgehen, als er erneut abstoppte. Sein Blick war rein zufällig nochmals über den Boden der Gasse geglitten, als seine Augen die Krücke am Boden erkannten. Er machte zwei Schritte darauf zu, hob sie auf und betrachtete sie in einer Mischung aus Neugierde und Irritation. Im nächsten Moment aber zuckten seine Augen erneut zu Boden und urplötzlich erstarrte er abrupt, als er den kleinen, würfelförmigen Gegenstand dort zwischen einigem Unrat erblickte.
Doch es war keine Einbildung und er ging mit schnellen Schritten darauf zu und fischte ihn vom Boden.
Als er die Verpackung für Rachaels Ring in den Händen hielt, huschte ein noch unsicheres Lächeln über seine Lippen, aber als er sie mit zittrigen Händen öffnete und den unbeschädigten Inhalt erkennen konnte, begann er breit zu grinsen. Schließlich lachte er sogar erfreut auf und als er den Ring wie einen großen Schatz innig an seine Brust drückte, glühten seine Wangen vor Glück und seine Lippen bebten.
Bevor ihm jedoch sogar eine Träne entweichen konnte, atmete er tief durch, legte den Ring zurück in seine Verpackung, schloss sie wieder und steckte sie sorgfältig in seine Jacke.
Dann betrachtete er erneut die Krücke. Anfangs war sein Blick ernst, ja beinahe finster, doch schließlich huschte ein Lächeln über seine Lippen, als er den Kopf schüttelte und die Krücke in den nächstbesten Müllcontainer warf.
Erst dann machte er sich auf den Weg aus der Gasse, wobei er weder humpelte, noch Anzeichen von Schmerzen zeigte. Obwohl ihn die, wenn auch nur geringe Helligkeit der Straße und die wenigen Passanten, die ihn überhaupt nicht beachteten, erschreckten, stoppte er nicht ab, sondern beschleunigte seine Schritte sogar langsam und machte sich zügig auf den Heimweg.
Zurück blieb die stille, dunkle Gasse, in der nichts auf das hindeutete, was dort in der letzten Stunde geschehen war…außer einer großen Blutlache.
Als Frank erwachte, war es draußen bereits hell und weder Kate, noch seine Nichte lagen mehr neben ihm.
Frank schaute auf die Uhr auf dem kleinen Beistelltisch und erkannte, dass es kurz vor Neun war. Zeit zum Aufstehen.
Als er die Schlafzimmertür öffnete hörte er keinerlei Geräusche, also ging er in die Küche, weil er dort seine Schwester vermutete. Aber sie war nicht da. Stattdessen sah er gleich das rhythmische Blinken an seinem Handy, das auf dem Tisch lag. Er nahm es zur Hand, schaltete es ein und erkannte, dass er um 8.02 Uhr eine Nachricht von Kate bekommen hatte.
Hallo Schlafmütze, stand da mit einem Smiley, Ich hab Theresa zu einer Freundin gebracht -gähnender Smiley, schnarchender Smiley – Bin danach noch ein paar Besorgungen machen und gegen elf zurück. Bis dann – Freundlich winkender Smiley – Solltest du dann noch schlafen, kommt der Eimer Wasser – Frech und hinterhältig grinsender Smiley – Explodierende Bombe – Begossener Pudel.
Frank musste grinsen. Seine Schwester konnte prima mit ihrem Handy umgehen, er selbst war jedoch schon froh, wenn er damit telefonieren und Nachrichten empfangen und versenden konnte. Diese ganzen, weiteren Spielereien, die diese Dinger mittlerweile locker draufhatten, waren nicht unbedingt sein Ding. Ob dies ein untrügliches Zeichen dafür war, das er langsam alt wurde? Mit 30? Frank verzog die Mundwinkel und wollte gar nicht erst weiter darüber nachdenken. Er tippte stattdessen schnell eine Antwort: Alles klar, Kleine. Ich werde jetzt duschen. Danach muss ich aber selber weg und werde zum Mittag nicht zurück sein. Wir sehen uns um 15 Uhr beim Arzt. Sei pünktlich. PS: Über den Wassereimer reden wir noch!!
Читать дальше