„Und das ist die Fernsteuerung?“ Harris bewegte probeweise den Steuerknüppel in der Aussparung hin und her.
„Sogar mit dem letzten technischen Schnickschnack. Sieh mal, auf dem LCD-Bildschirm kann man die Flugbewegungen programmieren. Die Maschine lässt sich sogar so einstellen, dass sie bei Treibstoffmangel oder technischen Defekten automatisch zum Standort zurückfliegt.“
„Interessant. Aber wie findet sie den Piloten, wenn mehrere Wettkämpfer auf dem Feld stehen?“
„Durch den Code des Steuerimpulses.“
„Das ist jedenfalls mehr Technik als bei unserer Toilettenspülung“, sagte Harris amüsiert, während er den silberfarbenen Rumpf des Doppeldeckers begutachtete. „Und wie kommst du dazu, Remmer ein so teures Geschenk zu machen?“
Cilli hielt ihm lächelnd die Hand mit ihrem neuen goldenen Ring hin. „Weil wir uns gestern verlobt haben …“
„Schön, dass ich bei dieser Gelegenheit auch davon erfahre.“
„Nicht eifersüchtig sein, Harris.“
„Von mir aus kannst du auch den Chef des kolumbianischen Drogenkartells heiraten.“
„Den hat man kürzlich beim Fluchtversuch erschossen.“
„Remmer ist eigentlich schon ein bisschen alt für dich, oder?“
„Zehn Jahre sind heutzutage kein Altersunterschied mehr. Es gibt Achtzigjährige, die Zwanzigjährige heiraten. Ein trainierter Sechzigjähriger kann fitter sein als ein lahmer Dreißigjähriger.“
„Musst du mir nicht erzählen“, sagte Harris. „Und wie kommt ihr plötzlich dazu? Ich meine, ihr habt euch doch immer umschlichen wie zwei unglücklich Liebende, die wegen irgendwelcher neurotischer Defekte nicht zueinander kommen können?“
„Neurotisch würde ich nicht sagen. Harald hatte ein Verhältnis mit einer verheirateten Vierzigjährigen, und ich wollte die Dinge nicht noch komplizierter machen, als sie waren.“
„Ein Verhältnis? Davon hör’ ich heute zum ersten Mal. Ich dachte, er stände in seiner Freizeit eher auf geleimtem Sperrholz und miniaturisierten Flugzeugmotoren?“
„Manchmal bist du doch ein Ekel“, sagte Cilli. „Aber ich weiß ja, dass hinter deinen rauen Manieren ein ganz lieber Kerl steckt …“
„Sonst hättest du dich längst in die böse weite Welt davongemacht?“
„Ehrlich gesagt bin ich gern hier. Das Haus hat so eine schauerliche Atmosphäre! Es eignet sich hervorragend, um psychologische Studien zu treiben. Manchmal wache ich nachts auf und frage mich, ob es nicht vielleicht noch mehr Eingemauerte in dem alten Gemäuer gibt. Der Keller des Anbaus ist so unübersichtlich, kein Mensch hat mehr einen Bauplan davon.“
„Und wenn Harald plötzlich auf die Idee kommt, einen eigenen Hausstand zu gründen?“
„Dann werde ich sicher nicht ablehnen.“
„Hab’ mir schon gedacht, dass du mir dann untreu wirst.“
„Wir werden dir einen Haufen Nachkommen zum Babysitten bringen – die kannst du dann genauso bemuttern wie mich.“
„Be vatern. Ich würde niemals auf die Idee kommen, deiner Mutter Konkurrenz zu machen.“
Cilli warf ihm einen missbilligenden Blick zu, weil das ein Thema war, über das sie ungern redete. Aber Harris hatte schon lange das Gefühl, die Art und Weise, wie Cilli als Kind von Katrin links liegengelassen worden war, setze ihr mehr zu, als sie zugab. Schweigen und Lächeln waren eben doch keine Waffen, um fehlende Mutterliebe zu ersetzen. Vielleicht, so dachte er manchmal, war ja auch Cillis fast schon besessen zu nennendes Psychologiestudium nur der Versuch, mit dieser Kränkung fertig zu werden.
„Was ist das ...?“, fragte Cilli.
„Was ist was ?“, sagte Harris und drehte sich langsam nach Cillis ausgestreckter Hand um. Er hätte ihr nicht gut gestehen können, dass er die Schmiererei auf dem Spiegel schon beim Durchsuchen des Zimmers entdeckt hatte. „Keine Ahnung ... mach Dich nicht lächerlich, Harris ... “, murmelte er nachdenklich. „Stammt das vielleicht von einem deiner Kommilitonen?“
„Nein, dann hätte ich’s schon früher bemerkt.“
„Hm, merkwürdig. Was kann das zu bedeuten haben?“
„Keine Ahnung. Das ist doch keine dumme kleine Retourkutsche von dir wegen der Puppe im Lichtschacht?“, fragte Cilli argwöhnisch. „Sieht ein bisschen nach deiner Handschrift aus.“
„Nein, ich schreibe flacher. Mein großes M hat nicht diesen komischen Schnörkel am Ende. Und das C von Cilli ist viel zu stark gewölbt. Warum sollte ich auch versuchen, dich mit so einem dummen Spruch auf den Arm zu nehmen, Kleines?“, sagte Harris kopfschüttelnd und legte seinen Arm um ihre Hüfte.
„Ja, du hast recht, bitte entschuldige.“ Cilli ging zum Spiegel und wischte mit dem Finger über die Buchstaben. „Glaubst du, dass es wieder abgeht?“
„Mit Spiritus sicher.“
„Und was unternehmen wir jetzt? Was heißt ‘mach Dich nicht lächerlich’?“
„Keine Ahnung. Da scheint sich jemand einen schlechten Scherz mit uns zu machen.“
„Wie ist er denn überhaupt ins Haus gelangt?“
„Wenn ich das wüsste …“, meinte er gedankenverloren. „Sieht so aus, als wenn jemand Nachschlüssel besäße.“
Auf die Idee, es könnte dieser verrückte junge Bursche namens Robert Quant sein, schien sie glücklicherweise nicht zu kommen. Dann hätte sie sicher auf der Stelle das ganze Psychologische Seminar alarmiert.
Harris hatte beschlossen, sich den Rest des Tages seiner Malerei zu widmen. Das würde ihn auf andere Gedanken bringen. Bei nichts anderem konnte man so gut seine Probleme vergessen wie bei der Landschaftsmalerei. Ein expressionistisches oder gegenstandsloses Bild war dazu viel weniger geeignet. Bei Landschaften versuchte man immer bestimmte Stimmungen einzufangen, und das brachte einen leicht in dieselbe Gemütslage, die auch das Bild ausdrückte.
Harris hatte sich sein Atelier im Dachgeschoss eingerichtet und einen Teil des Schrägdachs wegen der Lichtverhältnisse durch Dachpfannen aus Glas ersetzen lassen.
Meist arbeitete er an mehreren Landschaftsgemälden gleichzeitig. Jede Staffelei stand so, dass sie durch das Glasdach die gleiche Menge Licht bekam, es sei denn, direktes Sonnenlicht fiel in einem ungünstigen Winkel auf die Bilder. Er wechselte zur nächsten Staffelei, sobald er bei einem Detail nicht weiterkam oder glaubte, an einem anderen Motiv erfolgreicher zu sein.
Es war eine Technik, die er sich angewöhnt hatte, weil das Arbeiten an nur einem Bild leicht dazu führte, bestimmte Details oder Malweisen überzubewerten. Vielleicht bestand der wichtigste Trick in der Kunst sogar darin, eine Art mittlere Gefühlsebene zu erreichen.
Jeder extreme Gefühlsausschlag bei der Bewertung nach unten oder oben war gefährlich. Man hatte erst dann die richtige Einstellung zu seinem Bild gefunden, wenn das Urteil über seine Qualität sich als beständig erwies, soweit das in Fragen der Kunst überhaupt möglich war.
Harris setzte sich auf seinen Drehhocker und betrachtete das Gemälde mit den Feldern und dem Dorf, über dessen Dächern sich die Silhouette eines Kirchturms abzeichnete.
Die Grundstimmung war ein warmes, differenziertes Braun. Licht und Schatten wurden zwar nicht so stark gegeneinandergesetzt wie in den Arbeiten Rembrandts, die Kontraste waren schwächer, aber wenn man das Motiv und die Malweise ins gegenwärtige Jahrhundert übertrug, konnte man durchaus von einer gewissen Verwandtschaft des Stils reden. Links im Vordergrund befand sich ein Gehöft mit Baumgruppe.
Er dachte noch darüber nach, ob das Laub der Bäume in der Färbung eher an den Sommer oder Spätherbst erinnern sollte.
Nun gut, Cilli ging also aus dem Haus. Früher oder später kam das auf ihn zu. Und er hatte nicht die Absicht, sich dabei so närrisch wie ein anhänglicher Vater zu benehmen. Er war ihr Onkel, und Cilli war nicht die Frau, die in seinem Leben irgendeine Rolle spielen durfte.
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