Peter Schmidt - Rundgang nur mit Korb

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Mai 1984. Der junge Fabrikarbeiter Axel Weber zieht mit seiner Frau Gerda und seinen Kindern Heiko und Jana von Neubrandenburg in eine Kleinstadt im Norden des Bezirks Leipzig. Dieser fremde Ort soll ab sofort die neue Heimat der Familie werden. Während sich die Kinder schnell in die Umgebung eingewöhnen, sehnt sich seine Frau nach ihrem alten Zuhause, nach ihren Eltern und Freunden. Wie kann Axel sie bei der Eingewöhnung unterstützen, wo er doch selber noch nicht richtig angekommen ist? Vielleicht würde sie ein kleiner Garten versöhnen. Ein Stückchen Erde, auf dem sie ihr eigenes Obst und Gemüse ernten könnten. Aber wie kommt man überhaupt zu einem Garten? Und woher bekommt man Gartenwerkzeuge, Pflanzen und die Baustoffe für ein kleines Häuschen? Dazu benötigt man Beziehungen. Und Beziehungen hat er nicht. Dieses Buch erzählt die wahre Geschichte eines Hindernislaufs, bei dem Axel Weber über ungewöhnliche Wege und abenteuerliche Umwege dem großen Familientraum vom eigenen Gartenparadies Stück für Stück ein bisschen näher kommt.

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Peter Schmidt

RUNDGANG NUR MIT KORB

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2014

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.deabrufbar.

Copyright (2014) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

WIDMUNG

Früher freuten wir uns über das,

was wir beschaffen konnten.

Heute ärgern wir uns darüber,

wenn es etwas nicht zu kaufen gibt.

Für meine deutsche Familie zur Erinnerung

Für meine italienische Familie zum Verständnis

INHALT

Cover

Titel Peter Schmidt

Impressum Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Copyright (2014) Engelsdorfer Verlag Leipzig Alle Rechte beim Autor Hergestellt in Leipzig, Germany (EU) www.engelsdorfer-verlag.de

Man muss sich erst einmal dran gewöhnen

Wie kommt man zu einem Garten?

Werkzeug

Geräteschuppen oder Gartenlaube

Gasbetonsteine

Zement für einen Sockel

Wasser Marsch

Ein neuer Versuch

Sockelmauer und Fenster

Rosen kaufen

Eine Überraschung folgt der nächsten

Einsatz für die Gartensparte

Herbstmarkt

Ein Haus voller Möglichkeiten

Abbau für den Aufbau

Eine neue Hoffnung

Auf Abwegen zum Ziel

Ein vorläufig gutes Ende

Wie aus dem Nichts

Eine unverhoffte Möglichkeit

Die Laube wächst

Das erste Fenster

Ein erneutes Hindernis

Umwege

Licht und Schatten

1. Mai

Ein Licht geht auf

Der Durchbruch

Die neue Gartenhecke

Gartenfest

Nachtrag

1984

1. Kapitel

MAN MUSS SICH ERST EINMAL DRAN GEWÖHNEN

Freitagnachmittag. Sechzehn Uhr zehn. Axel Weber saß auf seiner dunkelblauen Simson und fuhr durch die Straßen der Stadt. Unter seinem schwarzen Ledersitz explodierte es unzählige Male. Motorengedröhn. Zwei rollende Gummireifen drückten die Stirn gegen den rauen Straßenbelag. ›Feierabend‹ dachte er. ›Endlich nach Hause‹. Er hatte sich gar nicht mehr umgezogen sondern ließ seine Arbeitssachen gleich an. Auf seiner Hose saßen ein paar ausgetrocknete Ölflecken. Sein kariertes Arbeitshemd roch nach Maschinenschmiere und hatte an den Seiten wie immer zwei schwarze Dreckstellen, die sich einstellten, wenn er die Hände in die Hüfte stemmte. Die Hände hatte er noch schnell mit Kernseife gewaschen und dann ging es nach Hause. ›In Neubrandenburg war das schlimmer mit dem Schmutz - wenigstens ein Vorteil‹. Er dachte zurück an die Zeit in Mecklenburg. Seine Heimat. Die Heimat seiner Frau Gerda. Die Kinderstube von Heiko und Jana.

Zuerst war er ein normaler Mitarbeiter gewesen, unauffällig in einem Korridor zwischen Lob und Tadel. Dann kamen sie zu ihm. »Genosse Weber, wir schlagen dich vor zum Mitarbeiter des Monats«. Er fühlte sich geehrt. Endlich hatten sie seinen wahren Wert erkannt. Den Wert des kleinen Montagearbeiters Axel Weber. Er wurde zum Mitarbeiter des Monats Januar. Er wurde zum Mitarbeiter des Monats Februar. Er hatte sein Arbeitsverhalten nicht verändert, aber auf einmal war er jemand. Er wurde gegrüßt und bekam zu spüren, dass er für den Betrieb wichtig war. Als er zum Mitarbeiter des Monats März gekürt wurde, kippte die Stimmung in der Jugendbrigade. »Was kann denn der Besonderes« fragten sich die Kollegen hinter vorgehaltener Hand. Er wurde ausgeschlossen von Pausenrunden, in denen die Arbeitskameraden mitgebrachte Bouletten und Brötchen verteilten und sie genüsslich und mit viel Senf zu sich nahmen. Auf Fragen wurden die Kameraden zunehmend einsilbig und zeigten ihm, was man von einem Mitarbeiter des Monats zu halten hatte. ›Undank ist der Welten Lohn‹ dachte er. Dann rief ihn die Kombinatsleitung zu sich. »Genosse Weber, du wirst gebraucht. Ein Mann mit deiner Qualifikation.

Ein Mann mit deinem Können. Brigadeleiter. VEB 1Werkzeugmaschinenkombinat. Die benötigen dort einen ausgebildeten Montageschlosser mit besonderen Fähigkeiten. Ein sensibles Schlüsselstück unserer sozialistischen Produktion. Eine Chance für deine Karriere. Ein Schleudersitz nach oben. Da gibt es eigentlich gar nicht viel zu überlegen.« Er überlegte nicht lange. Er handelte. Sachsen. Das neue Familienheim. Weg von den Freunden. Aber eben ein Schleudersitz ganz nach oben.

Auf dem Betriebsparkplatz war bereits gähnende Leere. Am Freitag war die sozialistische Produktion eher erledigt als in der Woche. Und er, das Schlüsselstück? Wurde er hier wirklich gebraucht wie die Milch im Kaffee? Scheinbar konnte man hier auch ohne ihn und seine sensible Schlüsselstelle Feierabend machen.

Der Fahrtwind tat gut und wehte ihm die Sorgen der lauten und staubigen Produktionshalle aus seinen Gedanken. ›Man muss sich erst einmal dran gewöhnen‹.

Er musste ein paar Schlaglöchern ausweichen, als er in die Gustav-Adolf-Straße bog. Zu Beginn der Woche hatte er sich hier einmal verfahren. ›Umwege erhöhen die Ortskenntnis‹ hatte er zu sich gesagt. Jetzt fuhr er noch schnell an der Kaufhalle vorbei. Keine Schlange vor dem Eingang. Dann gab es auch nichts Besonderes. Darauf konnte er sich verlassen. Keine Menschenansammlung, keine Sonderangebote. Wenigstens das war so wie in Neubrandenburg. Wenn man höflich fragte, wann es Kasslerbraten oder frischen Hering gab, bekam er zur Antwort: »Das wüssten wir selber gern.« In Neubrandenburg kannten sie diesen und jenen und so purzelten wertvolle Informationen über den Ladentisch, die hin und wieder die Anstehzeit verkürzten. Hier kannten sie noch niemanden und auf freundliches Grüßen reagierten die Verkäuferinnen anders, als man in den Wald hineinrief. Man muss sich erst einmal dran gewöhnen.

Sein Blick fiel auf das Fahrradschloss unterhalb des Lenkers. Dort hatte sich Heiko festgehalten, als er ihn in Neubrandenburg in den Kindergarten gebracht hatte. Ein Sicherheitsgriff. Seine Erfindung. Er setzte den Blinker und fuhr in die Schmiedeberger Straße ein. Gleichmäßig leuchtete am Ende des Lenkers ein orangefarbenes Licht auf und ging wieder aus.

Auf dem Fußweg spazierte eine Familie. In weiße Wochenendklamotten geschlüpft lief der Kombinatsleiter Liedke mit seiner Frau und seinen Kinder über die staubigen Gehwegplatten. Genosse Liedke hatte am Freitag für gewöhnlich Außentermine. Das war im Kombinat bekannt. Ein Treffen mit dem Bürgermeister. Empfänge in den anderen sozialistischen Kombinatsleitern in der näheren und ferneren Umgebung. Auftritte zum Tag der NVA. Konferenzen. Parteitage. Immer freitags. Freitag haben wir sturmfrei. So wurde er von den neuen Kollegen begrüßt. ›Und der Kombinatsleiter hat sturmfrei von seiner Belegschaft‹ dachte er.

Auf Höhe des Kombinatsleiters drückte er auf die Hupe. Ein klägliches, gedrücktes und unnatürliches Geräusch löste sich irgendwo im Innern der Simson, schwappte aus und ergriff die Ohren des Kombinatsleiters Liedke. Der blickte sich um, hob zuerst mechanisch seine Hand zum Gruß. Er wurde wahrscheinlich viel gegrüßt, denn der Genosse Liedke war ja ein Jemand. Dann erkannte er den neuen Brigadeleiter Weber und sein unverbindlicher Gruß wurde durch ein erfreutes Lächeln persönlich.

Es tat gut zu zeigen, dass man bis Feierabend gearbeitet hat. Er hatte das Gefühl, einen guten Eindruck gemacht zu haben. Und der Kombinatsleiter? Hatte er nicht das Ziel vorgegeben, die Arbeitszeit voll auszunutzen? Zur Verteidigung des Sozialismus gegen die westlichen Imperialisten? ›Der schnellste Mann der Welt‹ dachte Axel. ›Um 16 Uhr Feierabend und um 15 Uhr schon zu Hause‹. Irgendwie läuft hier so einiges ganz anders. War seine Beförderung tatsächlich ein Aufstieg oder nur eine Umbuchung? Oder muss man sich vielleicht erst einmal dran gewöhnen?

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