1 ...8 9 10 12 13 14 ...22 „Einen Moment“, unterbrach ihn Fürst Borran. „Wir sind hier, um die Verhältnisse in den Ringlanden zu erkunden. Wir wollen herausfinden, wie die Kurrether weiter vorgehen, wie groß der Anteil ihrer Unterstützer in der Bevölkerung ist und wie man sie behindern kann. Das alles ist von so einem abgelegenen Ort aus kaum möglich.“
„Das soll ja auch nur Ihre Anwesenheit in dieser Gegend rechtfertigen“, beruhigte unser Gastgeber. „Niemand wird sich wundern, wenn Sie sich an ihren freien Tagen Dongarth ansehen, sechzig Meilen stromabwärts, oder Kerrk, unsere Hauptstadt hier in Krayhan, einhundertfünfzig Meilen stromaufwärts. Jeder, der aus einer ländlichen Region kommt, will sich mal in einer großen Stadt umtun.“
„Sie meinen, wir würden den Kurrethern und ihren Helfern nicht auffallen?“, fragte ich. „Ich fürchte, das wird doch geschehen. Vor einigen Monaten war Dongarth schon mit einem Netz von Spitzeln überzogen und wurde mit harter Hand regiert.“
„Das hat sich verschlimmert. Aber wie die Menschen nun einmal so sind: Arme Schlucker, die ihre paar ersparten Heller in einer Taverne auf dem Händlerwasen vertrinken wollen, beachtet keiner. Anders wäre es, wenn Sie als Handelsherren oder ähnlich wichtige Personen auftreten.“
„Verständlich“, sagte der Fürst. „Allerdings wird mir niemand einen einfachen Knecht abnehmen, der auf einem Hof harte Arbeit erledigt.“
„Dann sind Sie eben hier, um die arme, alte Inna zu entlasten. Sie kann jede Hilfe brauchen, besonders, wenn sie nun für so viele Menschen kochen muss, und putzen und Wäsche waschen.“
„Vermutlich haben Sie Recht“, sagte ich nun, um von diesem Thema wegzukommen. „Wie vertrauenswürdig sind eigentlich die Bewohner von Dernheim?“
„Das sind ausschließlich ehemalige Mönche und Nonnen“, sagte Charam und lächelte strahlend über unsere Überraschung. „Wir alle mussten uns eine neue Heimat suchen, nachdem man die Klöster geschlossen hat. Also haben wir mit finanzieller Unterstützung durch den Fürsten Arbaran hier leerstehende Häuser und verlassene Bauernhöfe aufgekauft. Die Vorbesitzer waren zum Teil weggezogen, weil sich die Landwirtschaft aufgrund der hohen Vorgaben und niedrigen Preise nicht mehr gelohnt hat. Andere waren alt und haben das Geld, das sie von uns bekommen haben, genutzt, um zu ihren Kindern oder Enkelkindern in anderen Dörfern zu ziehen.“
„Es gibt hier keinen gewöhnlichen Bauern oder Dörfler mehr?“, fragte Pia nach.
„Genauso ist es! Viele Mönche und Nonnen haben ja schon in der Einöde von Arbaran Landwirtschaft betrieben, in den fruchtbaren Talsenken. Die kennen also die Arbeit und scheuen sie nicht.“
„So gesehen ist das eine hervorragende Tarnung“, gab Fürst Borran zu. „Ist niemandem aufgefallen, wie viele Geistliche sich hier ansiedeln?“
„Wie sollte es? Wir sind natürlich nicht alle gleichzeitig gekommen, sondern über einen Zeitraum von vier Jahren. Was die Bauernhöfe angeht, so spezialisieren wir uns auf Produkte, die kaum reglementiert sind, wie Kleinvieh und Eier. Dazu kommen Obst und Beeren, einige Sorten Ziegenkäse, wie sie im nördlichen Krayhan gerne gegessen werden, und Ähnliches. Viele verschiedene Dinge eben, jeweils in kleinen Mengen, die zu kontrollieren zu aufwendig wäre. Zumindest derzeit noch. Das Netz der Kontrolleure wird immer enger, bald müssen wir vermutlich jeden geschlachteten Hasen und jedes Stück Käse vor dem Verkauf registrieren lassen. Im Moment betrifft die Kontrollwut aber nur die Eier. Ich zeige Ihnen morgen alles, was es auf meinem Hof gibt.“
„War Ihre Haushälterin Inna auch Nonne in einem Kloster?“, fragte Pia.
„Nein, aber Köchin in einem Nonnenkonvent. Leider hatte man dort eine Vorliebe für frugale Kost. Ich versuche seit Jahren, sie zum Kochen von nahrhafteren Gerichten zu ermuntern, aber da bleibt sie bei ihren alten Gewohnheiten.“
Mit einem Blick auf den Leibesumfang des Mannes klang das nicht besonders glaubwürdig. Als die Haushälterin eine halbe Stunde später das Abendessen auftrug, blieben kaum Wünsche offen: Wurst und Speck, Eiergerichte und Eintopf, danach Käse und süßer Kuchen als Abschluss. Ich fragte mich, was sich unser Gastgeber wohl unter einer reichlichen Mahlzeit vorstellte. Einen gebratenen Ochsen?
Anschließend erfuhren wir, wie er zu seinem Spitznamen gekommen war. Er führte uns in den Keller, wo tatsächlich ein halbes Dutzend Weinfässer auf Holzböcken lagen. Sie waren nicht übermäßig groß, in der Mitte etwa hüfthoch, so wie sie dalagen, und eineinhalb Schritte lang. Sie enthielten mehrere Sorten von verschiedenen Winzern, weshalb sich Charam jeden Abend zunächst entscheiden musste, welcher Wein seiner Stimmung entsprach.
„Das ist wichtig, denn der richtige Tropfen krönt den Tag. Er ist wie ein Siegel, das man zum Schluss auf die abgeleisteten Stunden der Mühe und Arbeit anbringt, um zu zeigen, dass sie es wert waren.“
Er entschied sich an diesem Abend für einen leichten, roten Wein, der ein wenig süßlich schmeckte. Nachdem er einen großen Krug gefüllt hatte, kehrten wir zurück in seine Lesestube, wo Gläser bereitstanden. Außerdem gab es Brot und Käse. Da wir gerade gegessen hatten, ließen wir zunächst die Finger davon. Wir unterhielten uns nicht, oder kaum, denn Charam hatte beschlossen, uns aus einem Buch vorzulesen. Der Abend wurde lang, und schließlich aßen wir alles auf. Unser Gastgeber musste noch drei Mal mit dem Krug in den Keller, bevor wir Schlafen gingen. „Vorlesen ist meine Leidenschaft“, sagte er zwischendurch. „Aber Inna hasst es, zuzuhören. Deshalb kann ich dieser Leidenschaft selten frönen. Außer, ich lese mir selbst laut vor, was keinen Spaß macht.“
So verbrachten wir Stunden damit, Märchen und Sagen zuzuhören, Wein zu trinken und uns wohlzufühlen. Denn Charam hatte eine angenehme Stimme, er betonte die Texte so, dass man in die Geschichten hineingezogen wurde, ohne dabei in eigene Gedanken abzuschweifen. Kurz: Es war einer der angenehmsten Abende, die ich seit Jahren verbracht hatte.
Nach Mitternacht führte er uns in einen Anbau des großen Hauses. Dort waren Zimmer für uns vorbereitet, die noch kleiner waren als die Kajüten auf einem Segelschiff. Außer einem Bett, einem Regal und einem Stuhl passte nichts hinein. Die Zimmer hatten alle keine Fenster und wurden durch Petroleumlampen erleuchtet. Die Zwischenwände bestanden nur aus Brettern und waren erst vor kurzem eingezogen worden. Sie reichten nicht ganz bis zur Decke, weshalb jeder alles hören konnte. Aber wir beschwerten uns nicht, sondern waren dankbar dafür, wieder einmal in Betten zu schlafen.
Am folgenden Morgen lag eine dünne Schneedecke über der Landschaft. Der Winter würde hart werden, wenn er so früh einsetzte. Inna versorgte uns mit einem reichhaltigen Frühstück, das Charam nicht zu genügen schien. Er verlangte eine weitere Portion Eier mit Speck, bekam sie aber nicht. Das schien ein gewohntes Spiel zwischen den beiden zu sein, denn wir erlebten es bei jeder Mahlzeit.
Nebenbei erfuhren wir, dass die Haushälterin schon einige Stunden vor uns aufgestanden war. Sie hatte den Ofen in der Küche angeheizt, die Hühner gefüttert und etliche andere notwendige Verrichtungen auf dem Bauernhof erledigt, bevor wir aufwachten. Sie grummelte, weil Charam ihr dabei nicht half, aber auch das schien ein alltägliches Ritual zu sein. Wobei es viele Rituale gab im Zusammenleben der beiden. Einige davon hatten sie aus ihrer Zeit im Kloster beibehalten, wie regelmäßige Unterbrechungen des Tagewerks durch Gebete.
Wobei Tagewerk bei Charam nicht unbedingt das Wort war, das einem als erstes in den Sinn kam bei dem, was er tat. Denn nach dem Frühstück zog er sich zurück in sein Schlafzimmer, um eine Stunde allein mit dem Einen Gott zu verbringen. Ich nahm an, dass er in dieser Zeit betete, aber ich fragte nicht danach. Priester und Mönche lebten abseits der normalen Welt, und es genügte mir, zu wissen, dass sie in der Regel auf der Seite der anständigen Leute waren - also gegen die Kurrether.
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