„Wohl wahr. Nun denn“, sprach wieder Reyes. „Da wir nun alle beisammen sind, würde ich gern die Gelegenheit nutzen und unsere Bitte ansprechen. Ich weiß, wir wollten uns heute erst kennenlernen, aber ich muss ein wenig zur Eile drängen. Die Bergläufer überfallen meine Städte und nisten sich in meinem Land ein. Sie nehmen meinem Volk ihre Besitztümer weg und lassen sie mittellos zurück. Wir haben bereits in der ersten Nachricht an Euch um Hilfe gebeten. Da Ihr nun hier seid, gehe ich richtig in der Annahme, dass ihr gewillt seid, zu helfen?“
„Nein.“ Fehrs Augen fixierten den König.
„Nein?“
„Wir sind hier, auf Bitte Kommandant Nahors in Eurem Namen. Das entspricht der Wahrheit. Auch wissen wir über den Grund der Einladung Bescheid. Aber die Bitte war, dass wir einem Besuch zustimmen, nicht dass wir mit diesem Besuch schon eine Allianz eingehen.“
„Was? Aber, warum seid Ihr dann hier, wenn Ihr nicht helfen wollt?“
„Niemand sagt, dass wir es nicht wollen.“
„Wie bitte?“, fragte der König nun vollends verwirrt. „Wir haben Euch eingeladen, damit wir über eine Unterstützung von Euch verhandeln können!“
Gaten entging nicht, dass Reyes’ Tonfall schärfer wurde. Er beobachtete aufmerksam, wie die Reiter und ihre Drachen reagierten.
Fehrs Pupillen wurden zu Schlitzen. „Ich denke nicht, dass wir das hier und heute tun werden. Wenn überhaupt. Und selbst wenn wir bei diesem ersten Besuch so weit kommen sollten, eine Allianz zu schließen, heißt das doch noch lange nicht, dass wir sofort alles für Euch tun werden.“
„Das war mir klar“, gab der König dem Drachen zurück. „Ich sagte ja, wir verhandeln.“
Fehr verengte die Augen, was ihm ein noch sehr viel gefährlicheres Aussehen gab. „Haltet uns nicht zum Narren, König Reyes. Eure Nachricht enthielt die Bitte, herzukommen. Und die Information, dass Ihr Hilfe braucht. Beides sind zwei verschiedene Dinge. Wir kamen Eurer Einladung nach und wir können gern über ein mögliches Bündnis sprechen. Alles andere steht in den Sternen geschrieben.“
„Bitte was?!“, fuhr der König nun auf.
Gaten trat vor. „Majestät. Darf ich aufklären. Ich glaube, das ist meine Schuld. Sicher lag es an meiner Formulierung. Ich erklärte in meinem Brief unsere Lage und bat die Reiter, uns zu besuchen. Ich habe wohl nicht klar genug ausgedrückt, dass die Bitte eines Besuchs auch mit der Bitte für Verhandlungen zur Unterstützung zusammenhängt, sollten sie überhaupt gewillt sein, uns zu helfen. Es tut mir sehr leid. Ich hätte das klar und deutlich ausdrücken sollen.“
„Wir haben das schon so aufgefasst“, meinte nun Dannika. „Ich möchte anmerken, dass wir aber keiner Verpflichtung wegen hier sind. Wir hören uns an, was Euer Begehr ist, und entscheiden dann.“
„So war es geplant“, nickte Gaten ab.
„War es nicht!“, rief der König. „Nahor! Ihr sagtet, Ihr sucht Hilfe! Sie sollten uns helfen! Was soll das hier sein?!“ Reyes war außer sich und Gaten spürte, wie ihm sämtliche Farbe aus dem Gesicht wich. Er hatte es ihm doch erklärt. Hatte ihm gesagt, dass er die Sturmländler, insofern es sie gab, einlud. Dass sie herkommen sollten, um einander kennenzulernen und eventuell ein Bündnis einzugehen. Eventuell . Ihm selbst war klar, dass die Sturmlande keinerlei Unterstützung erbringen mussten. Warum auch?
Sie waren keine Allianz. Sie wollten erst eine werden. Eventuell . Gaten hatte dem König all das erklärt. Trotzdem schien Reyes davon auszugehen, dass die Reiter sofort helfen würden. Dafür hatten sie allerdings überhaupt keinen Grund. Im Moment brauchten nur die Freien Länder Hilfe. Die Sturmlande brauchten nichts.
Gatens Blick ging zu Dannika und sie musste seine Unsicherheit sehen, denn sie meinte: „Ich denke, wir sollten klarstellen, dass wir um Eure Lage wissen. Durch die Nachricht und unsere Beobachtungen auf dem Flug hierher, haben wir erfahren, dass es kein reiner Höflichkeitsbesuch wird. Ihr braucht Hilfe und sucht sie in einem möglichen Bündnis mit uns. Wir sind dem nicht unbedingt abgeneigt. Und wenn es zu einer Allianz kommt, würden wir natürlich auch helfen. Dennoch. Derzeit haben wir kein Bündnis. Wir sind hier und wir werden reden. Alles andere wird sich dadurch ergeben.“
Gatens Blick ging zu Reyes und er sah die Miene des Königs dunkel werden.
„Ihr habt gesehen, was in meinem Land geschieht, was mit meinem Volk geschieht, und Ihr wollt trotzdem erst noch ewig reden?!“
Nun hob Fehr den Kopf wieder und die Königsgarde ihre Schwerter. „Vor 343 Jahren baten die Skareth-Lena um Eure Hilfe. Damals waren wir ein Bündnis und trotzdem habt Ihr uns verweigert, worum wir Euch ersuchten. Wir führten Krieg mit dem Volk, dass ihr die Bergläufer nennt. Krieg! Nicht diese Scharmützel, die derzeit in Eurem Land herrschen. Mein Urgroßvater starb in jenem Krieg. Über die Hälfte aller Drachenstürme wurde ausgelöscht. Der Großteil der Skareth ging unter. Wir waren gezwungen, uns einer Übermacht an Festländlern, einer Gruppe, die zu Eurem Volk gehörte, zu stellen, die die Inseln einnehmen wollten. Ihr saht damals wie heute nicht mehr als toten Fels in ihnen.
Dieses Volk jedoch hatte den Wert unserer Heimat erkannt. Das war ihr Grund, warum sie die Skareth-Lena einnehmen wollten. Wir sagten Euch das. Wir baten oft und immer wieder um Unterstützung, haben am Ende sogar darum gefleht, doch Ihr habt gelacht, uns verspottet und uns in einem Krieg allein gelassen, der beinahe alle von uns getötet hätte.
Und nun, König Reyes, besitzt Ihr die Dreistigkeit, davon auszugehen, dass wir Euch ohne viele Fragen unterstützen? Dass wir für Euch kämpfen und vielleicht sogar sterben? Für Euch und Euer Volk, das uns so kalt dem Tode preisgegeben hat? Wir sollen sterben in Gefechten, die nicht im Ansatz so schlimm sind wie das, was wir erleiden mussten und dennoch, dem Himmel sei Dank, ohne Eure Hilfe überlebt haben?
Wir kamen her, weil unsere Regentin guten Willen zeigen wollte. Sie wollte, dass wir einander wieder näherkommen und -vielleicht- wieder ein Bündnis schließen. Sicher stand auch im Hintergrund, dass wir euch helfen könnten. Doch im Moment, Majestät, trägt Euer Verhalten nicht im Ansatz dazu bei, dass wir überhaupt länger hier verweilen wollen.“ Fehr verstummte und Stille legte sich über den See.
Niemand schien mehr zu atmen, obwohl sicher nur die Sturmländler, der König und Gaten gehört hatten, was der große Drache gesagt hatte. Gatens Herz hämmerte und sein Blick flog zwischen dem Drachen, seiner Reiterin und dem König hin und her. Er sah Dannikas zustimmende Züge und wie die anderen Drachen sich regten, jedoch abwarteten, was geschehen würde.
„Nun denn“, kam es schließlich vom König. Seine Stimme klang wieder normal und gefasst. „Ich möchte mich entschuldigen. Es war nicht meine Absicht, Euch zu bedrängen. Auch möchte ich eingestehen, dass die gegenwärtige Situation in meinem Land wohl doch stärkeren Einfluss auf meinen Gemütszustand hat, als ich wahrhaben möchte. Ihr habt natürlich recht, Flugführer Fehr. Was damals geschehen ist, lässt sich mit nichts begleichen. Wir haben einen schrecklichen Fehler gemacht und waren uns dessen sehr lange nicht bewusst. Ich kann mich dafür nur entschuldigen und hoffen, Ihr nehmt diese Entschuldigung an.
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