Er stand jetzt bei seinem Pferd und wartete auf die Reiter. Die fünf tauchten auf und bekamen die Zügel ihrer Tiere in die Hände gedrückt.
„Lady Dannika, Lady Mélina, Lady Lynéra“, begrüßte Leary sie. Zwar hatte Gaten ihm das mit der Anrede erzählt, doch Leary schien es nicht zu kümmern. „Wie geht es den Damen?“
Mélina kicherte, was im vollen Gegensatz zu ihrer sonstigen Stimmung stand. „Wunderbar. Und Euch, Lord Leary?“ Sie schien wirklich in guter Stimmung zu sein, wie Gaten auffiel. Ob es daran lag, dass sie ihren Drachen bald sehen würde?
„Ebenfalls sehr gut, Milady.“ Leary neigte den Kopf und lächelte. Die Kleine gefiel ihm schon vom Äußeren her, wie er Gaten hatte wissen lassen. Sicher würde er sich auch mehr um sie bemühen, wenn die Umstände es zuließen.
„Generalin Dannika, die Damen, Milords“, begrüßte auch Gaten sie und verneigte sich leicht. Er warf einen Blick hinter die drei Frauen und erkannte, dass die beiden Männer wie immer grimmige Mienen trugen. „Ist alles in Ordnung bei euch?“, wollte er wissen.
Dannika folgte seinem Blick nicht, schien aber zu wissen, was er meinte. „Alles bestens, Lord Gaten. Sie haben Anweisung, sich zurückzuhalten. Beide sind als Wachen mitgereist und werden diese Funktion natürlich auch ausüben.“
„Natürlich.“
„Lady Dannika“, kam es vom König, der herangeritten kam. Auch ihm hatte Gaten das mit dem Titel gesagt, doch für den König war die Gardisten lediglich eine Lady, Punkt aus. „Es freut mich, zu hören, dass wir nun die Gelegenheit bekommen, eure Drachen kennenzulernen.“
„Die Ehre liegt bei unseren Gefährten, Majestät. Ihr seid der erste König, den sie treffen. Ich denke, es wird ein gutes Zusammenkommen werden.“
„So so. Der erste König also. Habt Ihr denn keinen König? Bitte entschuldigt diese Frage, aber wir hatten ja noch nicht viel Gelegenheit zum Plausch.“ Reyes klang alles andere als ehrlich höflich, doch Dannika schien es gewollt zu überhören.
„Bitte fragt nur. Allein damit können wir verhindern, dass Unstimmigkeiten entstehen. Majestät, wir haben eine Regentin und ihren Mann, aber sie herrschen nicht, wie Ihr es tut. Wir haben ein demokratisches Rechtssystem.“
„Und das funktioniert?“, kam es ungläubig von Reyes.
„Sehr gut sogar“, lächelte Dannika freundlich. „Zumindest hat sich bisher nie jemand beschwert.“
Es überraschte Gaten, das zu hören. In den Freien Ländern herrschte allein die Krone mit ihren Räten. Die Bürger hatten kein Mitspracherecht. Sie würden wohl einige unsinnige Entscheidungen treffen und dann mussten all jene darunter leiden, die es nicht so gewollt hatten. Nein, Gaten war ebenfalls der Meinung, dass eine absolute Monarchie die beste Wahl war.
„Nun denn. Dann lasst uns aufbrechen.“ Reyes gab seinem Pferd die Sporen und es trabte in schnellem Lauf voraus. Die Königsgarde folgte und gab ihm Schutz zu allen Seiten. Dannikas Miene wurde kurz düster, als das Klirren der Eisenschellen an den Stiefeln erklang. Gaten sah, dass die Reiter keine Sporen trugen. Auch ließen sie die Zügel schlaff hängen oder hielten sie gar nicht erst fest.
Er trieb sein Pferd zu ihrem und fragte: „Ich sehe, dass euch etwas nicht behagt. Kann ich dem Abhilfe schaffen?“
„Nein“, gab sie ihm schlicht zurück, trieb ihr Pferd ebenfalls an und folgte dem König.
Der Ritt war nicht lang, denn zu Pferd erreichte man den See recht schnell. Gaten zählte im Vorbeireiten die Wachgrenzen und stellte zufrieden fest, dass Leary sie um zwei erhöht hatte. Am Ufer selbst war ein großes Areal mit Fackeln abgesteckt worden, damit wenigstens etwas mehr Licht herrschte, wenn die Dunkelheit vollends hereinbrach.
Die Gruppe stieg ab und Dannika gab die Anweisung, dass die Pferde zur Waldgrenze gebracht werden sollten, damit sie nicht scheuten, wenn die Drachen kamen. Währenddessen stellte die Königsgarde sich in Position um den König herum und alle spähten in den Himmel. Es dauerte eine kleine Weile, während der die Dämmerung zunahm.
Endlich deutete die Generalin nach oben und in die Ferne. „Sie kommen“, sagte sie und die Vorfreude in ihrer Stimme, erfasste auch Gaten. Er folgte ihrem Fingerzeig und erkannte drei vogelgroße Punkte im dunkelblauen Nachthimmel, die schnell größer wurden.
Mélina sprang freudig in die Luft, lief nach vorn, bis sie auf dem großen Platz stand, der für die Landung gedacht war und rief: „Ruw! Ruuuuw!“ Sie hüpfte weiter, die Arme nach oben gestreckt, als wollte sie etwas fangen. Einer der Punkte löste sich aus der kleinen Formation und stürzte schneller als die anderen auf den See zu.
Gaten hielt den Atem an, als ihm klar wurde, wie weit oben die Drachen flogen, denn der Punkt hörte nicht auf zu wachsen. Immer größer wurde er und schließlich erkannte man die Flügel, die auf volle Länge ausgebreitet waren. Um sich herum hörte Gaten auch seine Leute keuchen, als klar wurde, wie groß der Drache sein musste, der da auf die zugeschossen kam.
Mélina hüpfe noch immer freudig, dann war ihr Gefährte fast bei ihr. Kurz vor dem Boden stellte er die Flügel auf und es donnerte laut, als der Wind sich darin fing. Den Rest ließ er sich fallen und der Boden erbebte unter dem Gewicht des riesigen Tieres. Seine zwei mächtigen Vorderpranken waren unmittelbar vor Mélina aufgekommen, dann schloss er die Flügel um sie, versteckte den Kopf ebenfalls dahinter und als er die Flügel schließlich anlegte, sah Gaten die Reiterin an seine massive Schnauze gelehnt und wie sie ihm einen Kuss nach dem anderen auf die enormen Nüstern drückte.
Der Drache war von wunderschönem, dunklem Irisblau, das im Mondlicht in allen Facetten schimmerte, wie das Meer, bei sternenklarer Nacht. Sein Körper war massig, muskulös, die vier Beine dick wie jahrzehntealte Baumstämme. Die Flügel bildeten zwei zusätzliche Gliedmaßen, die aus dem Rücken des Tieres gewachsen waren. Auf dem Kopf und entlang der Wirbelsäule bis zur Schwanzspitze verliefen Zacken, die messerscharf aussahen. Der mächtige Schwanz peitschte hin und her und wirbelte Sand und Kies zu beiden Seiten auf.
Gaten betrachtete das Tier fasziniert und blieb schließlich bei dessen Augen hängen, die ebenso blau waren und fast ein bisschen zu leuchten schienen. Er sah Dannika schmunzeln, als sein Blick sie traf und dann wie sie den Kopf wieder zum Himmel hob. Nach dem irisblauen Drachen setzte der zweite zur Landung an. Er glich dem ersten in Größe und Gestalt, doch seine Schuppen schimmerten in dunklen Lilatönen und diesmal bat Lynéra stumm um Zustimmung bei ihrer Generalin, dass sie zu ihrem Drachen durfte. Dannika nickte und Lynéra lief sehr viel würdevoller als Mélina zu ihrem Gefährten, um ihn zu begrüßen.
Jetzt warf die Generalin wieder einen schelmischen Blick über die Schulter zu Gaten. Er runzelte die Stirn, dann fuhr ihm ein Schmunzeln in die Züge, denn sie lächelte ebenfalls und das so ehrlich herzlich, dass ihm warm ums Herz wurde. Sie wandte sich wieder ab und in dem Moment, in dem sie abermals nach oben spähte, stoben die beiden Drachen am Boden zu den Seiten und nahmen ihre Reiterinnen mit, damit sie nicht von dem gewaltigen Tier erdrückt wurden, das nun zur Landung ansetzte.
5
Gaten hatte ja, dank des Burghofvergleiches, eine Ahnung von Fehrs Größe gehabt, doch wie der schwarzgrüne Drache jetzt auf den Erdboden zukam, war einfach mit keiner Vorstellung vereinbar. Auch er hatte den gleichen Körperbau wie die ersten beiden, aber er war riesig. Riesig! Seine Flügelspannweite war dermaßen enorm, sie bot tatsächlich ein Dach für beide Drachen am Boden. Es fehlte nicht viel und eine der Flügelspitzen würde die Bäume am Waldrand streifen.
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