Vor einigen Monaten war es den Forschern des Direktorats gelungen, die Besonderheiten der Hiromata-Kristalle zur Verstärkung der Scanner zu nutzen. Die Hiromata-Nullzeit-Scanner arbeiteten, ebenso wie der Hiromata-Nullzeitantrieb, ohne jeglichen Zeitverlust. Noch immer war niemand in der Lage zu erklären, warum und wie ein Hiromata-Kristall diesen Effekt bewirkte, doch nun verfügte die Menschheit über Scanner, die jedes Objekt im Umkreis von rund fünfzig Lichtjahren ohne Zeitverlust anzeigen konnten. Die einzige Einschränkung war, wie bei allen Ortungsgeräten, dass sich ein Objekt zufällig im Ortungsschatten eines anderen befand und damit nicht erkannt werden konnte.
Während die Suche nach der verborgenen Heimatwelt der Negaruyen lief, war Professor Bergner eine enorme Weiterentwicklung gelungen: der sogenannte Tiefenraum-Scanner, dessen Reichweite dreihundert Lichtjahre betrug.
Dies gab den Menschen einen enormen Vorteil gegenüber den Norsun und den Negaruyen.
Bei den gemeinsamen Einsätzen war den Insektoiden die Existenz des neuen Tiefenraum-Scanners nicht verborgen geblieben. Nun äußerte die große Mutter den verständlichen Wunsch, dass die Menschen ihrem Volk diese neue Technologie verfügbar machten. Ganz offensichtlich war ihr der Wert dieser Erfindung bewusst, denn im Gegenzug bot sie den Menschen die Technologie der formbaren goldenen Energie an, mit der die Norsun jene golden schimmernden Energiewände aufbauten, mit denen sie ihre Schiffe schützten. Sie machte sie nicht unzerstörbar, bewirkte aber eine deutliche Erhöhung des Schutzes gegen Energie- oder Projektilwaffen.
Das Angebot stellte John Redfeather und die Menschheit vor ein Dilemma. Der Hoch-Admiral war sich darüber im Klaren, dass der vorgeschlagene Handel sehr wohl abgewogen werden musste. „Sker-Lotar, dieses überwältigende Angebot ist ebenso großzügig wie überraschend. Du hast sicherlich Verständnis dafür, dass wir uns hierüber erst einmal beraten müssen.“
Sker-Lotar war sich ebenso bewusst, welche Auswirkungen ein solcher Technologie-Transfer haben konnte, und verstand, was sein Gegenüber bewegte. In der gemeinsamen Schlacht gegen die Negaruyen bei Tensa waren die Menschen keineswegs als gleichberechtigte Bündnispartner behandelt worden. Höchst-Wort Gordon-Gor hatte versucht, die Sky-Navy zu übervorteilen, und nun musste Redfeather befürchten, dass dies auch für den vorgeschlagenen Handel galt. Inzwischen hatte der Wissende genug von der Kultur der Menschen gelernt, um zu wissen, was ibn Fahed mit dem Begriff des „Hakens“ meinte.
„Sker-Lotar hat verstehendes Verständnis für Bedürftigkeit nach beratender Beratung“, sagte er und erhob sich. Er deutete eine höfliche Verbeugung an. „Sker-Lotar geben zeitliche Zeit. Höchst-Wort John Redfeather mag Wissenden erneut zu sich rufen, wenn gemeinschaftliches Gespräch über handelnden Handel.“
„Wir danken dir für dein Verständnis“, versicherte Redfeather. „Ich werde dich verständigen, wenn wir uns beraten haben.“
Der Norsun knickte die Fühler nach vorne und verließ den Raum.
John Redfeather starrte seufzend auf den Ausdruck. „Grundgütiger, das ist ein teuflisches Angebot.“
Omar ibn Fahed blickte zur geschlossenen Tür, als wolle er sich vergewissern, dass der Wissende tatsächlich gegangen war. „Bei Allah, mein Freund, ich muss dir zustimmen. Die Kenntnisse über die goldenen Energieschirme der Norsun könnten wir sehr gut gebrauchen. Unsere Schiffe sind nur durch ihre Panzerung aus Tri-Stahl und die Zwischenschichten aus Bauschaum geschützt. So solide sich diese Rumpfpanzerung auch immer wieder erweist, so hat sie doch ihre Schwächen. Massiver Beschuss mit Projektilwaffen oder den Energiegeschützen unserer Gegner können ihnen mächtig zusetzen. Das haben uns die Verluste in der Schlacht um Tensa nur zu deutlich gezeigt.“
„Das Problem der Energiewände der Norsun besteht darin, dass sie ein Schiff nicht gleichzeitig nach allen Seiten schützen können. Ist wohl technisch bedingt“, fügte die Hoch-Koordinatorin hinzu. „Und sie sind nicht unüberwindlich.“
Ibn Fahed grinste. „Man kann sie durch massiven Beschuss überlasten und unsere Nullzeit-Railguns haben schon gar kein Problem mit ihnen.“
„Nur dass der Feind nicht über unsere Nullzeit-Rails verfügt“, wandte Faso ein. „Und selbst wenn die goldene Energie nicht nach allen Seiten schützen kann … Solche Schirmfelder sind eine harte Nuss für jeden Angreifer und schwer zu knacken. Es sei denn, er greift von allen Seiten an oder verfügt über Waffen ähnlich unserer Rails.“
John Redfeather stieß ein ärgerliches Knurren aus. „Dennoch ist unbestreitbar, dass diese Technologie für uns einen enormen Fortschritt und Schutzzuwachs für unsere Schiffe bedeuten würde.“
„Würde?“ Bergner sah den Admiral abschätzend an. „Ich merke schon, dass du im Zweifel bist, ob wir diesen Tauschhandel durchführen sollen. Dabei sagst du selbst, dass …“
„Candice, es geht um unsere Tiefenraum-Scanner.“ Der Hoch-Admiral seufzte und schenkte sich Kaffee nach. „Die neuen Scanner sind mit ihrer enormen Reichweite der einzige wirkliche Vorteil, den wir gegenüber den Norsun haben. Wir alle hier wissen doch sehr genau, wie gefährlich und unsicher unser Bündnis mit den Norsun ist. Sicher, die Negaruyen sind unser gemeinsamer Feind, aber es kann doch keinen Zweifel geben, dass die Norsun eine sehr gefährliche Rasse sind. In der Geschichte ihrer Raumfahrt sind sie drei anderen raumfahrenden Völkern begegnet und sie haben diese entweder ausgerottet oder versklavt. Als wir mit Höchst-Wort Gordon-Gor in unserer Einkaufspassage waren und er dabei die Schwinge der Hanari sah, die dort zur Dekoration hängt, da hat er nach unserem Verhältnis zu den Hanari gefragt.“
„Ja, ich erinnere mich“, gab Bergner düster zu. „Er war wohl irritiert, dass wir die Hanari aus Todesgefahr retteten und dann auch noch als Freunde betrachten, statt sie zu versklaven.“
„Solange wir die Negaruyen als gemeinsamen Feind haben, solange sind wir für die Norsun nützlich“, fuhr Redfeather fort, „doch was ist, wenn die Negaruyen besiegt wurden? Dann brauchen die Norsun uns nicht mehr und wir müssen uns ernsthaft mit dem Gedanken befassen, was sie dann mit uns vorhaben.“
„Nichts Gutes, fürchte ich“, gab Commodore Faso zu.
„Immerhin haben wir schnell reagiert und ich denke, es ist uns gelungen, diesen Gordon-Gor zu täuschen. Wir haben die Angabe für die Aufladezeit unserer Nullzeit-Antriebe heraufgesetzt und darauf hingewiesen, dass wir nur wenige der Nullzeit-Scanner besitzen, da wir über zu wenige Hiromata-Kristalle verfügen.“
„Wobei es Sker-Lotar und dem alten Norsun-Admiral, den wir im Rylon-System aus dem Kälteschlaf erweckt hatten, allerdings auffiel, dass wir das Höchst-Wort ein wenig beschwindelt haben.“ Redfeather legte die Finderspitzen aneinander und schien einen Moment in Gedanken versunken. „Immerhin scheinen die beiden darüber geschwiegen zu haben, aus welchem Grund auch immer.“
„Auf diese Karte sollten wir setzen.“ Faso, lange bewährter Adjutant des Hoch-Admirals, beugte sich ein wenig vor und nahm den Ausdruck an sich. „Dieses Angebot können wir einfach nicht ausschlagen. Die Technologie der formbaren goldenen Energie bedeutet ja nicht nur, dass wir künftig unsere Schiffe besser schützen können, sondern ebenso, dass wir Einblick in die Schutzmaßnahmen der Norsun erhalten. Bei einem möglichen Konflikt wäre dies von immenser Bedeutung.“
„Die große Mutter ist nicht dumm und wird sich das ebenfalls denken können.“ Der Hoch-Admiral stieß einen Laut aus, der einem Knurren ähnelte. „Ich vermute, da ist ein Haken an der Sache. Candice, Sie werden die Unterlagen, die wir zur goldenen Energie erhalten, sehr sorgfältig auf Fallstricke untersuchen müssen. Ich bin mir sicher, dass uns die Norsun keineswegs alle Erkenntnisse verfügbar machen werden. Das würden wir, an deren Stelle, auch nicht tun.“ Er lächelte versonnen. „Wir befinden uns wohl in dem, was man als Zwickmühle bezeichnen könnte.“
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