Paulo blieb ein politisch sehr stark interessierter Mensch, und er setzte, nachdem er noch während seines Studiums in die SPD eingetreten war, seine Arbeit in der Partei fort. Er besuchte Seminare und klärte die Menschen an Ständen und bei Besuchen auf. Dass das ein mühseliges Geschäft war, war ihm längst klargeworden. Man rannte keine offenen Türen ein, wenn man die Menschen zum Beispiel über die Ursachen der Massenarbeitslosigkeit aufklären wollte, sondern man musste erst einmal darum kämpfen, sich Gehör zu verschaffen. Wenn es dann sogar dazu kam, dass sich die Angesprochenen auf ein Gespräch mit ihm einließen und ihre Meinung kundtaten, war schon sehr viel erreicht und Paulo war glücklich, auch wenn er bis zu diesem Zeitpunkt noch niemanden von seiner eigenen Meinung überzeugt hatte. Die Haltung: „Ich allein kann doch sowieso nichts ändern!“ musste aufgeweicht werden, wie Paulo fand. Er gab sein Bestes, wenn es darum ging, die Menschen dazu zu bringen, nicht gleich die Flinte ins Korn zu werfen. Er sah allmählich, dass es bei der politischen Beteiligung nicht allein damit getan war, sich sachkundig zu machen, sondern man musste auch den Willen haben, aktiv zu werden und sich die Zeit dafür zu nehmen. Und genau das war der Knackpunkt, an dem die meisten scheiterten, wenn es darum ging, politische Handlungen mitzutragen.
Beinahe alle begaben sich in eine politische Apathie und blieben da. Paulo sah es in seiner Partei als eine seiner Hauptaufgaben an, unter den Apathischen politische Aufklärung zu betreiben und das war eine Ochsentour, denn er musste die Menschen natürlich bei sich zu Hause besuchen, um an sie heranzukommen. Das wurde aber vielfach als Eindringen in die Privatsphäre verstanden und Paulo wurde zurückgewiesen. Er hatte dann immer große Schwierigkeiten, die Menschen doch noch zu überzeugen. Manchmal half aber alles nichts und er musste unverrichteter Dinge das Feld räumen. In der Regel schaffte er es zumindest, dass er gehört wurde und sein Anliegen vortragen konnte. Er merkte aber, dass das Zuhause der Menschen nicht sein Terrain war und er fühlte sich am sichersten, wenn er sich mit den Leuten an einem Stand aufhielt, wo sie sich nicht in ihre vier Wände zurückziehen und sich ausklinken konnten. Bei ihm zu Hause stand natürlich die Politik ganz oben auf der Tagesordnung, und auch seine Frau, die er damals auf einer Großdemonstration kennengelernt hatte, mischte ordentlich mit und war für Paulo eine ausgesprochen kompetente Gesprächspartnerin. Als seine Kinder allmählich heranwuchsen, konnte er an ihnen genau feststellen, wann sie sich für Politik zu interessieren begannen, und er brachte ihnen frühzeitig bei, sich vernünftig auszudrücken und ein Anliegen mit den passenden Worten vorzutragen. Später bekam er sich mit ihnen prompt öfter einmal in die Wolle, wenn sie in Diskussionen zu siegen drohten, und ihre Mutter unterstützte sie dabei.
Aber in Wirklichkeit freute sich Paulo natürlich, wenn seine Kinder so glänzende Rhetoriker waren. Beide übernahmen schon früh Klassensprecherämter, und es zeichnete sich bei ihnen die gleiche politische Karriere ab wie bei ihrem Vater. Ihr Umgang mit den modernen Medien machte für sie aber so manches einfacher. So konnten sie sich immer über den aktuellen Stand bei einer politischen Sachdebatte im Internet informieren und sich schnell Emails schicken oder sich und ihre Positionen über Facebook bekannt machen, Dinge, von denen ihr Vater früher nur träumen konnte. Oft unterhielt sich Paulo mit seinen Kindern darüber, ob ihnen die politische Arbeit Glück beschied und beide bejahten seine Frage und sagten, dass sie besonders dann, wenn sie erfolgreich gewesen wären, großes Glück empfanden. Sie gingen in fortgeschrittenem Alter auf Informationsveranstaltungen der SPD zum Stand und diskutierten dort mit Passanten. Die wiederum nahmen Paulos Kinder manchmal gar nicht ernst und sagten ihnen offen heraus, dass sie sie für noch zu jung hielten, sich an aktuellen politischen Fragestelllungen zu beteiligen. Ganz besonders taten sich immer die ehemaligen Kriegseilnehmer hervor, die aber immer seltener wurden. Sie kamen mit ihrer Erfahrung, wenn die Friedensfrage diskutiert wurde und sprachen den Jugendlichen quasi das Recht ab, sich überhaupt mit Frieden und Krieg zu beschäftigen.
Paulos Kinder merkten in solchen Gesprächen immer gleich, dass sie da nicht weiter kamen und ließen die Passanten meistens gehen. Paulo fand nach wie vor, dass politisches Engagement nicht nur wichtig für das Funktionieren der demokratischen Ordnung war, sondern jedem auch tiefe Glücksgefühle vermitteln konnte. Ein Haupthindernis auf dem Wege dabei, wenn sich jemand politisch engagierte, sah er in weit verbreiteten Hemmungen, die die Menschen hatten und denen wiederum die verschiedensten Ursachen zu Grunde liegen konnten. Eine große Crux war fehlendes Selbstbewusstsein, wenn man sich im Gespräch gegenüberstand und seine Argumente austauschte, da war der politisch Geschulte eindeutig im Vorteil. Wenn man sich aber zurückzog und das politische Feld redegewandten Dilettanten überließ, war es um die Politik schlecht bestellt. Die Kinder mussten deshalb schon in der Schule offensiv an die Politik herangeführt und ihnen so sehr früh Selbstbewusstsein verschafft werden. Dazu gehörte, dass sie sich vor Publikum präsentierten und redeten, nur so konnten sie lernen, eventuellen Anfeindungen zu begegnen und sie wegzustecken.
Gutes Aussehen ist für die Glücksfindung von nicht zu unterschätzender Wichtigkeit, alle streben danach, auch solche Menschen, die vorgeben, dass ihnen ihr Aussehen egal wäre. Es geht letztlich um die Frage, wie man in den Augen der anderen erscheint, wie sie einen wahrnehmen und aufgrund dieser Wahrnehmung einschätzen und achten oder verachten. Lediglich pathologisch Entwurzelte fallen aus dieser Typisierung heraus und werden im Regelfall gar nicht beachtet oder mit Missfallen belegt. Sie haben den normativen Rahmen beiseite gelegt, denn das Wechselspiel zwischen Erscheinung und Wahrgenommenwerden ist ein normativer Akt und weist von Kultur zu Kultur Unterscheide auf, die aber nur die Ausgestaltung dieses Wechselspiels betreffen, das Spiel als solches wird kulturunabhängig überall gespielt. In dem Moment, in dem das Individuum jemand anderem gegenübersteht, findet ein kommunikativer Austausch statt, meistens nonverbal, denn das Aufeinandertreffen vollzieht sich oft zufällig. Wenn man sich nicht kennt, findet normalerweise kein verbaler Austausch statt, dennoch reagiert man auf sein Gegenüber. Entscheidend dabei ist, dass ein Bewusstsein darüber besteht, wahrgenommen zu werden und man sich deshalb veranlasst sieht, sich nach außen in Szene zu setzen, entweder durch ganz subtile Gesten, dass man sich zum Beispiel über die Haare streicht, oder als Mann die Hand in die Hosentasche steckt. Oder man agiert massiv, indem man sein Gegenüber fixiert und dabei strahlt oder sonst eine Geste zeigt, die einen positiv erscheinen lässt. Das sonstige Äußere muss dabei natürlich der jeweilig gültigen Norm entsprechen.
Frauen legen traditionell mehr Wert auf ihr Aussehen als Männer, und es wird zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse auch unendlich viel angeboten, Modenschauen werden immer wichtiger, Parfumlinien werden aufgelegt, und der Schlankheitswahn greift um sich. Dabei steht immer das Wechselspiel zwischen dem Erscheinen der eigenen Person und der Einschätzung durch andere im Vordergrund. Man kann nie für sich allein gut aussehen, immer gilt es, anderen zu gefallen, weil das Schönheitsideal von außen an einen herangetragen wird. Wenn jemand gut aussieht, das heißt, wenn er von anderen als gut aussehend eingeschätzt wird, ist er glücklich, denn das Glück steht in unmittelbarem Zusammenhang zu gutem Aussehen. In letzter Zeit werden aber auch mehr und mehr Männer in den Hype um das gute Aussehen einbezogen. Es gibt eine Betonung des muskulösen Körpers, der in Fitnessstudios trainiert wird, die Mode wird für Männer immer bedeutsamer, und es gibt ganze Pflegeserien für Männer vom Parfum über das Duschgel bis zum Rasierschaum. Auch Kinder werden mehr und mehr auf Modenschauen gezeigt, wobei die Kinder vielleicht die einzige Gruppe sind, bei der das Äußere nach der eigenen Einschätzung keine übergeordnete Rolle spielt. Es sind vielmehr die Mütter, die ihre Vorstellungen von einem gepflegten Aussehen auf ihre Kinder übertragen.
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