Hans Müller-Jüngst
Kategorie: Glück
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel Hans Müller-Jüngst Kategorie: Glück Dieses ebook wurde erstellt bei
Vorbemerkung
Kindheit
Bildung
Freundschaft, Liebe
Gesundheit
Politische Partizipation
Gutes Aussehen
Urlaub
Sex
Kunst
Museumsbesuche
Träume
Spiel
Schreiben
Ehe, Kinder
Lernen
Gewaltfreiheit
Sinnieren
Religion
Tasten
Riechen
Hören
Schmecken
Sehen
Selbstbeherrschung
Positive Freiheit
Wie wird man glücklich?
Bin ich glücklich?
Impressum neobooks
Ich werde im Folgenden den Versuch unternehmen, Erlebenssphären aufzuzeigen und zu schildern, wie sich der Protagonist in ihnen verhält, sich bewährt oder scheitert, sie interpretiert, gegen sie ankämpft, sie sich zunutze macht oder sie verwirft. Da die Erlebenssphären letztlich sein Leben sind, muss er sich mit ihnen auseinandersetzen, je nachdem, wie er mit seiner Person in sie involviert ist, und sie sich intensiv oder oberflächlich zeigen. Erlebenssphären sind Wahrnehmungsräume, ich projiziere meine Sinne auf ihre spezifische Ausprägung und internalisiere das Erlebte, das heißt: ich mache es zu einem Teil meiner Lebenserfahrung. Dieser Prozess ist sehr wichtig für jeden von uns, und er vollzieht sich zumeist unbewusst.
Die Filter, die darüber befinden, was ich internalisierte und was nicht, sind in mir angelegt und werden kulturell tradiert, ich habe auf sie kaum einen Einfluss. Ich kann natürlich eine bestimmte Erlebenssphäre besonders intensiv betonen und mich ihr verstärkt zuwenden, dann wird das Internalisierungspotenzial sicher groß sein. Oder ich bewege mich in ihnen mit Ablehnung oder sogar Abscheu, vielleicht zwangsweise, dann werde ich nicht so viel internalisieren und das, was ich verinnerliche, werden negative Erinnerungen sein, die ich nicht so gern ans Tageslicht hole.
Erlebenssphären sind relativ konstante Räume der Lebenserfahrung, die das Leben begleiten, oder es letztlich sogar ausmachen. Es gehören aber auch sich zufällig ergebende Situationen der Lebenserfahrung dazu wie ein plötzliches Zusammentreffen mit Konflikten, in denen aber die Art, wie ich mich bewähre, von der bis dahin gemachten Lebenserfahrung abhängt. Indem ich mich damit festlege und zeige, wie ich mich in der betreffenden Erlebenssphäre verhalte oder verhalten würde, mache ich mich taxierbar. Man wird den Protagonisten, hinter dem ich mich verberge, identifizieren und einschätzen können. Lebenserfahrung macht man, indem man lebt und das Erlebte verinnerlicht, es nach Maßstäben, die gerade gelten, einen Teil seiner selbst werden lässt.
In der Regel spielen in den Erlebenssphären immer andere Individuen einen Rolle, entweder direkt, als Teilnehmer oder indirekt, indem sie die Erlebenssspähre mit geschaffen haben. Man kann sich der Lebenserfahrung verschließen, indem man sich abkapselt, wie ein Eremit das tut und in sich geht. Alles, was man dann verinnerlichen kann, entspringt der Kontemplation oder vielleicht irgendwelchen Schriften. Im übelsten Fall entzieht man sich ganz und verzichtet auf jedweden Kontakt mit äußeren Einflüssen, sodass man verkümmert und gar keine Lebenserfahrung sammelt. Ich werde in den sich anschließenden Überlegungen Erlebenssphären des Protagonisten locker aneinanderreihen ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Es soll deutlich werden, wie man Lebenserfahrung sammeln und dabei Glück erfahren kann.
Paulo Köhler wurde 1950 geboren, in einer Zeit also, die nicht lange nach dem Kriegsende lag, vom Krieg war aber zumindest für die Kinder kaum noch etwas spürbar, die Erwachsenen litten natürlich noch lange unter den Folgen des Krieges. Paulos Vater war Soldat gewesen, und er hielt große Stücke auf Zucht und Ordnung, zumindest ließ er das nach außen hin immer erkennen. In Wahrheit aber trauerte er der Zeit des Nationalsozialismus nicht nach, und er genoss, genauso wie Paulos Mutter, den ganz allmählich spürbaren wirtschaftlichen Wiederaufstieg.
Die beiden gaben sich dem lange Zeit vermiedenen Konsum hin, ohne groß zu überlegen, ob der maßlose Konsum um jeden Pries der richtige wäre. Jeder machte es so, jeder kaufte nach dem Krieg, was es mit den bescheidenen Mitteln, über die man verfügte, zu kaufen gab, und das waren vor allem Lebensmittel, bei denen die Eltern besonders während der Kriegszeit darben mussten. Paulo war natürlich Nutznießer des plötzlichen Überflusses, ohne dass er ihn aber als solchen einzuschätzen wusste, denn er kannte ja die Zeit des Mangels nicht. So wuchs Paulo heran, ohne jemals Hunger leiden zu müssen, und er genoss die Zeiten beginnender Prosperität, in der er nicht dick war, er war aber auch kein dünner Hering und nicht von Nahrungsknappheit ausgemergelt. Das Zepter schwang in Paulos Familie eindeutig die Mutter, die sich geschickt dem vermeintlichen Diktat des Vaters zu unterwerfen wusste. Die entscheidenden Weichenstellungen in der Familie liefen aber über sie, besonders, was den Umgang mit Geld betraf. Sie verstand es auf beinahe unnachahmliche Weise, strenge Sparsamkeit mit einem Kaufverhalten zu koppeln, das jedem Familienmitglied immer das Gefühl gab, ausreichend versorgt zu sein. Paulo hatte zwei Brüder, einer war 9 Jahre älter und mit dem hatte er folglich kaum gemeinsame Interessen. Der andere war etwas mehr als ein Jahr älter und mit ihm teilte er seine Freizeit, sie hatten gemeinsame Freunde und unternahmen täglich irgendwelche Dinge mit denen.
Paulos Mutter kochte gut und gerne, sie wusste immer, mit Lebensmitteln, die gerade günstig zu erstehen waren, etwas Schmackhaftes zuzubereiten.
Sein Vater lobte sie wegen des guten Essens, und man konnte immer beobachten, wie er mit Bedacht aß. Er hielt Paulo und seine Brüder dazu an, immer ihre Teller leer zu essen. Das nahmen sie zwar zur Kenntnis, sie fühlten sich aber wegen des ständigen Wiederholens dieser Aufforderung gelangweilt. Zum Haushalt von Paulos Familie gehörten ein großer Garten, aus dem sie sich mit Gemüse versorgte und Kleinvieh, das geschlachtet wurde und so auch den Speiseplan erweiterte. Die Versorgung von Garten und Kleinvieh war Sache von Paulo und seinen Brüdern, Paulos Mutter behielt dabei aber die Oberhand. Sein Vater war Polizist und leistete Schichtdienst, er konnte oder wollte sich deshalb nicht so sehr um Garten und Vieh kümmern. Er erging sich immer in ausgedehnten Pausen, wenn er zu Hause war, und dazu gehörte eine mindestens zweistündige Mittagsruhe. Das Haus, in dem Paulos Familie zur Miete wohnte, lag neben zwei Obdachlosensiedlungen, in denen die Ärmsten der Armen dahinvegetierten. Der Unterschied zu den Obdachlosen ließ die eigene Situation blendend erscheinen, was sie in Wirklichkeit nicht war, aber man hatte sein Auskommen und war zufrieden.
Paulos Besuch des evangelischen Kindergartens, die Mitgliedschaft seiner Mutter im kirchlichen Mütterkreis und regelmäßige Kirchbesuche ließen Paulos Familie eng an die Kirche heranrücken. Nachdem Paulos Vater über Jahre hinweg seinen Dienst als Presbyter versehen hatte, nachdem regelmäßig der Küster und dessen Frau, aber auch alle Pastoren, die in der Gemeinde eine Rolle gespielt hatten, zu Besuch gekommen waren, verdichtete sich das Verhältnis zur evangelischen Kirche immer mehr. Schließlch wurde Paulos Vater zum Kirchmeister gewählt, das war der Vorsitzende des Presbyteriums und ein Amt, das schon eine gewisse Achtung genoss. Fortan war Paulos Familie Dreh- und Angelpunkt, wenn es darum ging, Entscheidungen zu fällen, die die Kirchengemeinde angingen und bei denen das Presbyterium und Paulos Vater als dessen Vorsitzender mitzubestimmen hatten. Die Pastoren gingen bei Paulos Eltern ein und aus, und weil seine Mutter ein sehr geselliger Mensch war, mit dem man gern zusammensaß, kamen sie auch einfach ohne offiziellen Grund und ohne etwas für die Gemeinde zu erledigen. Auch die Gemeindeschwester kam oft und trank gern einen Schnaps, den Paulos Mutter immer im Kühlschrank hatte. Oft trank sie für ihre Verhältnisse zu viel und fuhr mit ihrem VW, nicht mehr nüchtern, zu ihrer Wohnung über der Kirche zurück. Es hatte sich in Paulos Familie ein regelrecht orthodoxer Protestantismus eingeschlichen, man gab sich gläubig und besuchte immer den Gottesdienst. Das Verhältnis zu den Katholiken war beinahe feindschaftlich, man spottete über deren Fronleichnamsprozession, bei der jemand mit einem Rauchgefäß vorweg ging und es vor einer Monstranz schwenkte.
Читать дальше