Auch wenn die Herstellung und Verwendung der Implants durch den Hohen Rat und per Gesetz geregelt waren, besaß Nundagai die Patent- und Herstellungsrechte. Jeder Bewohner von Mars-Central kannte den Hauptsitz der Nundagai Corporation, selbst wenn er eigentlich nichts mit ihr zu tun hatte, denn das Firmengebäude war ein ebenso ungewöhnlicher, wie beeindruckender Bau.
Das auffällige Gebäude war in grellem Rot gehalten und in seiner Formgebung dem Firmenlogo nachempfunden. Eine Kugel, welche die aufgehende Sonne symbolisierte sowie ein mächtiger Vorbau, der wie der Helm eines alten Samuraikriegers gestaltet war. Selbst die maskenhaften Gesichtszüge waren architektonisch herausgearbeitet worden. Auf manchen Betrachter wirkte das Gebäude beunruhigend, und wäre es wohl noch weit mehr gewesen, hätte die Allgemeinheit eine Vorstellung dessen gehabt, was in seinem Inneren beschlossen wurde.
Im oberen Hornfortsatz des „Samuraihelms“, dem höchsten Punkt des Gebäudes, lag die Kommunikationszentrale des Konzerns. Hier befand sich sogar einer der kostspieligen Hiromata-Krachfunk-Sender, mit dessen Hilfe die Kommunikation zwischen den fernsten Welten im Morse-Code ohne Zeitverlust möglich war. Militärische Dienststellen und zivile Einrichtungen wussten gleichermaßen, wie entscheidend es sein konnte, Informationen in Echtzeit zu übermitteln. Nundagai hatte beträchtliche Summen aufgewandt und seine exzellenten Verbindungen zum Hohen Rat spielen lassen, um alle wichtigen Niederlassungen mit einem Hiromata-Funkgerät auszustatten.
Direkt unterhalb der Kommunikationszentrale, in der hundertfünfzig Angestellte beschäftigt waren, befand sich die Etage mit den Büros und Privaträumen des General-Managers und der Hoch-Manager von Nundagai. Vor wenigen Minuten war eine kodierte Nachricht von der fernen Welt Suffren-12 eingetroffen. Eine Nachricht, die den Hoch-Manager der Kommunikationszentrale veranlasst hatte, sofort die Einberufung einer Versammlung des Hoch-Managements zu beantragen.
Sensei Hiro Yagatana, General-Manager von Nundagai, hatte dem sofort zugestimmt und so trafen sich nun die neun maßgeblichen Entscheidungsträger in einem Raum, der mit modernster Technik ausgestattet war, um ein Abhören der Gespräche zu verhindern.
Der Konferenzraum zeigte deutlich die japanischen Wurzeln des Unternehmens. Hinter dem bequemen Polstersessel des General-Managers stand sogar eine beleuchtete Vitrine, in der sich die vollständige Rüstung und Bewaffnung eines alten Samurai befand. Yagatana legte Wert darauf, zu betonen, dass sie aus Familienbesitz stammte und an die Werte des Bushido erinnerte, die der Sensei auch der Firma zugrunde legte. Immerhin entsprachen sich seiner Meinung nach wirtschaftlicher Wettbewerb und offener Krieg in vielerlei Hinsicht.
Sensei Yagatana nahm die schriftliche Notiz der Meldung entgegen, las sie aufmerksam und rieb sie dann zwischen Daumen und Zeigefinger, wobei das präparierte Material zu Staub zerfiel. Sein Gesicht war ernst, als er sich Sensei Wilbur Lloyd zuwandte, dem Hoch-Manager für den Sicherheitsbereich des Konzerns.
„Wir haben Nachricht von Kazumi-Null. Der Kontakt zu der Sondereinheit ist abgerissen. Sie ist nicht in Kazumi-12 eingetroffen.“
Sie waren es gewohnt für ihre wichtigen Liegenschaften Codebegriffe zu nutzen. So konnten sie bei Anwesenheit einer dritten Person die Identität des Objekts verschleiern.
Wilbur Lloyd, dessen Vorfahren von der britischen Insel stammten und der die Leidenschaft für Tee mit Yagatana teilte, hob eine Augenbraue. „Hat man nachgeforscht?“
„Nachdem zuvor bereits das reguläre Rettungsteam mit seinen Fahrzeugen spurlos verschwunden ist, hat man darauf verzichtet“, antwortete der General-Manager. Er wandte sich halb im Sessel und gab einer zierlichen Japanerin einen dezenten Wink. Die junge Frau mit dem hüftlangen seidigen schwarzen Haar war nicht nur eine vorzügliche Leibwächterin und absolut verschwiegen, sondern verstand sich auch auf die zeremonielle Zubereitung des Tees.
„Eine vernünftige Entscheidung“, meinte einer der anderen Anwesenden. „Wenn die Sondereinheit in Schwierigkeiten gerät, sind die Angehörigen unserer eigenen Security, so gut sie auch sind, kaum in der Lage, ihnen da herauszuhelfen. Und es gibt keinerlei Meldung über ihren Verbleib?“
Yagatana würdigte den Fragesteller keiner Antwort. Er hatte den vollständigen Inhalt der Nachricht wiedergegeben und die Frage war somit überflüssig. Die junge Frau trat zu ihm und er nahm ein Seidentuch und die Schale mit Tee entgegen. Ein kurzes Nicken beschied ihr, sich wieder in den Hintergrund zurückzuziehen.
„Eine verschwundene Schicht, ein verschwundenes Rettungsteam mitsamt seiner Sandkatzen, ein weiteres vermisstes Team, welches in den geheimnisvollen Stollen eingedrungen war, und nun eine volle Interventionsgruppe der Black COBRAs, von der jegliche Nachricht fehlt“, zählte Lloyd auf. „Das kann kein Zufall sein, sondern ist definitiv eine aggressive Handlung gegen die Interessen von Nundagai. Wobei wir allerdings nicht wissen, wer der Urheber ist.“
Einer der anderen Hoch-Manager deutete gegenüber Yagatana eine Verbeugung an. „Wir müssen uns mit der Möglichkeit auseinandersetzen, dass es sich um eine eingeborene Lebensform handeln könnte, die gegen uns aktiv geworden ist, auch wenn unsere Forscher bisher keinerlei Anzeichen für intelligentes Leben entdeckt haben. Natürlich kann es sich um instinktgesteuerte Tiere handeln, doch das Wenige, das wir wissen, könnte ebenso auf intelligenzgesteuerte Aktivitäten hinweisen.“
Der General-Manager schlürfte seinen Tee und nickte dann wohlwollend.
Eine junge Frau wandte sich dem Sensei zu. „Ich gebe zu bedenken, dass es sich vielleicht auch gar nicht um eine heimische Lebensform handelt. Es könnte die getarnte Operation eines Konkurrenzunternehmens sein, welches uns von Kazumi vertreiben will. Möglicherweise ist durchgesickert, was wir dort gefunden haben. Jeder kann sich ausrechnen, was für Gewinne zu erzielen sind.“
Wilbur Lloyd stieß ein leises Zischen aus. „Dem würde ich zustimmen, wenn Kazumi nicht eine ganz bestimmte Besonderheit aufweisen würde. Er wird nicht umsonst als Wirbel-Welt bezeichnet. Der Planet wird von einem umfassenden Wirbelsturm umgeben. Es gibt nur eine einzige ruhige Stelle, das sogenannte Auge. Nur dort ist eine Landung möglich und genau dort befindet sich unsere Hauptbasis. Jedes Eindringen hätte man dort festgestellt und entsprechend darauf reagiert.“
Die junge Frau errötete und nickte. „Ich verstehe.“
Bei aller Sympathie, welche der alte Yagatana gegenüber der jungen Hoch-Managerin empfand, würde er nun sicher darüber nachdenken, ob sie tatsächlich für diese hohe Position geeignet war. Bislang hatte sie sich als fähig erwiesen, doch diese Frage war nicht durchdacht gewesen, denn die Bedingungen auf Kazumi waren allen Anwesenden bekannt.
Wilbur Lloyd erhob sich und verbeugte sich vor dem General-Manager. „Mit der Zustimmung unseres verehrten Sensei Yagatana werde ich die Ereignisse nochmals zusammenfassen, eine vorläufige Analyse vornehmen und einen Lösungsvorschlag unterbreiten.“ Yagatana nickte lächelnd und so fuhr der Hoch-Manager der Sicherheit fort. „Die Vorgänge konzentrieren sich auf Kazumi-12 und dessen unmittelbare Umgebung. Zuerst wurden zwei Geologen auf Außeneinsatz vermisst, welche eine Probebohrung vornehmen sollten. Der Manager von Kazumi-12 schickte ein achtköpfiges S.A.R.-Team mit zwei Sandkatzen auf die Suche nach ihnen. Das Team verschwand ebenso spurlos, wie die beiden Geologen zuvor. Drei Tage später waren es zwölf Arbeiter einer Schicht aus dem untersten Abbaustollen der Anlage. Während der Suche nach ihnen stieß man auf einen kleinen Gang. Zwei unserer Sicherheitsleute gingen hinein und kehrten nicht zurück. Die unterste Ebene wurde auf Weisung des Minenmanagers versiegelt. Wir setzten uns daraufhin mit den Black COBRAs in Verbindung und zahlten für eine Spezialeinheit, die nach den Ursachen dieser außeroedentlichen Vorkommnisse forschen sollte. Eben diese Einheit ist nun ebenfalls zwischen Kazumi-Null und Kazumi-12 verschwunden. Soweit die Tatsachen und nun zu den Spekulationen.“ Lloyd sah die Anwesenden der Reihe nach an. „Es kann sein, dass unsere Untertageaktivitäten irgendeine im Untergrund lebende Tierart aufgeschreckt haben. In diesem Fall muss es sich um eine sehr wehrhafte Art handeln, da sie scheinbar die Spezialeinheit überwältigen konnte. Ja, bitte?“
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